Flüchtlinge in Markt Schwaben:Deutsch lernen in der Schulküche

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Jeden Dienstag lädt die AG Flüchtlinge an der Markt Schwabener Mittelschule Asylbewerber zu sich ein. Diese sind dankbar für die Abwechslung und den Unterricht, aber auch den jugendlichen Gastgebern bringt der Nachmittag eine Menge.

Von Isabel Meixner, Markt Schwaben

Es riecht nach Plätzchen in der Küche der Mittelschule. Kleine Gruppen stehen zusammen, alle sprechen durcheinander, ein Junge verteilt Kekse. Teller stehen auf der Anrichte, Tassen, Gläser, Löffel und Servietten ebenfalls. Elmin nimmt eine Gabel in die Hand. Vor ihm stehen fünf Asylbewerber, die in der nahen Dreifachturnhalle untergebracht sind. "Die Gabel", sagt er und nimmt eine zweite. "Die Gabeln."

Die Flüchtlinge sprechen ihm mehrmals nach, bewegen dabei übertrieben deutlich die Lippen, bei manchen wirkt es, als bekämen sie gleich einen Knoten in die Zunge. Geduldig wiederholt Elmin die Wörter. Patrick hebt währenddessen einen Zettel hoch, der zeigt, wie "Gabel" geschrieben wird.

Manchmal gerät etwas durcheinander. Bei "Kucheglas" etwa

Ein paar Meter entfernt ist Kevin schon weiter. Er gibt einem Asylbewerber Einzelnachhilfe. Das Arbeitsblatt, auf das der Flüchtling die deutschen Begriffe rund um das Thema Besteck aufgeschrieben hat, ist bereits komplett ausgefüllt und liegt umgedreht auf dem Tisch. Jetzt wird abgefragt. "What is this?", fragt Kevin und hält eine Tasse hoch. "Tasse. Die Tasse", antwortet sein Gegenüber. Dann kommt die Kuchengabel an die Reihe. Der Flüchtling überlegt angestrengt, setzt kurz an, hält inne, dann hellt sich sein Gesicht auf: "Ah, Kucheglas".

Jeden Dienstagnachmittag laden zwölf Ganztagsschüler der AG Flüchtlinge Asylbewerber zu sich an die Mittelschule in Markt Schwaben ein. Sie bringen ihnen ein bisschen Deutsch bei und machen sie mit den hiesigen Gepflogenheiten vertraut. Es sind eineinhalb Stunden, in denen Alter und Herkunft keine Rolle spielen. Plötzlich sind die Sechst-, Siebt- und Achtklässler im Alter von zwölf bis vierzehn Jahren die Lehrer für die meist doppelt so alten Männer, zeigen ihnen, wie man Salat zubereitet, Muffins backt oder welche Farben es gibt.

Die Lehrerrolle gefällt ihnen merklich gut, sie scheinen in der Zeit um einige Zentimeter zu wachsen: Manche Schüler helfen den Flüchtlingen, die richtigen deutschen Begriffe auf das Arbeitsblatt zu schreiben, andere versuchen es mit Einzelgesprächen, wieder andere fragen ab. Dazwischen verteilen sie Kekse und schenken Tee aus - ganz vornehm, in dem sie die Tasse und Untertasse hochheben. Angst vor dem Unbekannten, Vorurteile, Unsicherheiten im Auftreten? Fehlanzeige.

Kanne, Tasse, Löffel: Anschaulichen Deutschunterricht gibt es bei der AG Flüchtlinge an der Markt Schwabener Mittelschule. (Foto: Christian Endt)

"Wir wollen zeigen, dass Integration Spaß machen kann", sagt Lidija Sturman, Jugendsozialarbeiterin an der Mittelschule. Von ihr stammt die Idee zu den zwanglosen Treffen, die sie mit Anna Trinkl, Lehrerin für das Fach Soziales, nun Woche für Woche umsetzt. Für beide Seiten ist der Nachmittag eine Bereicherung: für die Asylbewerber, weil sie Ansprache haben und Deutsch lernen; für die Schüler, weil sie Verantwortung übernehmen, Englisch reden, Vorurteile abbauen können und gewisse praktische Regeln lernen.

Die Schüler gehen nicht in die Unterkunft, um die Privatsphäre zu respektieren

Wie an diesem Dienstag eine halbe Stunde zuvor. Die Schüler - zur AG angemeldet haben sich ausschließlich Jungen - sollen zwei Tische decken, einen für Kaffee und Kuchen, einen für das Abendessen. "Wer deckt daheim manchmal den Tisch?", fragt Anna Trinkl. Keiner meldet sich. Basisarbeit ist gefragt: Welches Geschirr braucht es für welches Essen, wie ordne ich das Besteck richtig an, welche Serviette passt zur Jahreszeit, wie kann ich einen Tisch schön dekorieren? Geduldig misst Elton, wie eben gelernt, mit zwei Fingern den Abstand vom Besteck zur Tischkante. Das solle er doch auch mal zu Hause machen, schlägt seine Lehrerin vor: "Überrasche mal deine Mutter damit."

Nach dem Tischdecken läuft die Gruppe zur Dreifachturnhalle des Franz-Marc-Gymnasiums, wo die Flüchtlinge untergebracht sind. Unterwegs wird gealbert, ein bisschen gerempelt, Sprüche fallen. Das wird sich Minuten später ändern. Die Schüler warten vor der Tür, Lidija Sturman und Anna Trinkl holen die Asylbewerber drinnen ab. Sie wollen nicht, dass gleich die ganze Gruppe in die Privatsphäre der Flüchtlinge eindringt.

Eine feste Gruppe von Asylbewerbern, die immer dienstags in der Mittelschule zu Besuch sind, gibt es nicht: Wer mitkommen will, kann sich jede Woche in eine Liste eintragen oder sich spontan melden. So wie an diesem Tag ein paar junge Flüchtlinge, die gerade Tischtennis spielen. Mit ihren Schulheften unter dem Arm laufen sie mit zur Mittelschule, dankbar für die Abwechslung.

Die Asylbewerber sind dankbar für die Abwechslung

Auch wenn sie offenbar nicht ganz verstehen, wohin sie gerade mitkommen. "This is not the German lesson", erklärt Lehrerin Trinkl. "Ah, okay . . .", antwortet ein Senegalese und schaut irritiert. "What is it?" Dann lächelt er. Ihm scheint es egal zu sein, ob sich nun der Helferkreis oder die Mittelschule um ihn bemüht. "It's good to practice", sagt er. "Practice is the key."

Die Sprache als Schlüssel zur Integration. Und nicht nur die: Auch die Bereitschaft der Bevölkerung, Flüchtlingen in ihrer Mitte aufzunehmen, ist wichtig. Persönlicher Kontakt ist das beste Mittel gegen Vorurteile und Unsicherheiten. Lidija Sturman und Anna Trinkl belassen es aus diesem Grund nicht beim theoretischen Reden über Asylbewerber, sondern suchen mit der AG den direkten Austausch mit ihnen.

Wie man einen Tisch korrekt eindeckt, weiß anfangs auch so mancher Mittelschüler nicht. (Foto: Christian Endt)

Das kommt an bei den Schülern. "Mir macht das Spaß, denen etwas beizubringen", sagt Patrick. Das ist ihm und den anderen auch anzumerken. Zurück in der Schulküche, erklären sie in Zweierteams den Asylbewerbern den gedeckten Tisch. Am Anfang wirken beide Seiten noch nervös, doch mit der Zeit findet jeder seine Rolle. Anna Trinkl und Lidija Sturman halten sich im Hintergrund, sie sind jetzt nicht mehr die Hauptpersonen.

Ein Senegalese lernt schnell und wird prompt selbst zum Lehrer

Das Englischsprechen ist kein Problem für die Schüler, doch die fremden Buchstaben bereiten manchen Arabisch sprechenden Flüchtling Probleme. "Which one is the word?", fragt einer und deutet auf das Blatt, auf dem "der Teller" und "die Teller" geschrieben steht. Ein Senegalese lernt besonders schnell, er spielt schon bald den Dolmetscher zwischen Elmin und Patrick auf der einen und vier Flüchtlingen auf der anderen Seite. Er erklärt seinem Freund den Unterschied zwischen Einzahl und Mehrzahl.

Kevin ist unterdessen sehr zufrieden mit dem Lernfortschritt "seines" Einzelschülers. Das Wort Kuchengabel hat er mittlerweile gelernt, nur beim Glas hakt es noch. "Er kann eigentlich alles", sagt Kevin seiner Lehrerin. Dann hebt er noch einmal kurz das Glas hoch und schaut den Flüchtling fragend an. Der grinst - und sagt das Wort richtig.

Plätzchen backen, spazierengehen: Es gibt noch viele Ideen für weitere Treffen

Nach eineinhalb Stunden ist für die Flüchtlinge der Ausflug in die Welt der deutschen Tischregeln beendet. Und für die Schüler der in die Welt des Lehrerseins, zumindest für eine Woche. Was die Themen der nächsten Treffen sind? Anna Trinkl hat da noch eine Menge Ideen: Die Kleidung soll einen Nachmittag lang eine Rolle spielen, einmal will sie Plätzchen backen, ein Spaziergang durch Markt Schwaben ist geplant, bei dem den Asylbewerbern Begriffe wie Haus, Garten oder Zaun beigebracht werden können.

Der schnell lernende Senegalese, der an diesem Tag das erste Mal bei der AG zu Gast war, hat sich den nächsten Dienstagnachmittag schon vorgemerkt. Er freue sich, regelmäßig so etwas zu unternehmen, sagt er.

© SZ vom 08.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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