Lyrik:Dichter und Schlenker

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Slam-Poet Alex Burkhard brilliert in Markt Schwaben

Von Victor Sattler, Markt Schwaben

Die große Täuschung gleich vorweg: Das Programm auf den Plakaten gebe es so gar nicht mehr, gesteht ein zerknirschter Alex Burkhard dem Publikum im Theater am Burgerfeld. Angekündigt worden war der Bayerische Meister im Poetry-Slam mit einem selbstironischen Plädoyer fürs Skandinavistik-Studium. Am Freitagabend macht die Studienwahl aber nur mehr einen kleinen Teil des Programms aus, denn Burkhard nutzt die Chance, zum ersten Mal eine ganze Sammlung seiner Texte vorzutragen. Ein Schuss ins Blaue also - der sich aber auszahlte und bei den Markt Schwabenern auf große emotionale Resonanz stieß.

Mitten in den Massen zielloser Jugendlicher, im Kreuzfeuer buhlender Fachschaften, die Studienanfänger für sich ködern, treffen wir den jungen Alex Burkhard, der sich zum abseits liegenden Skandinavistik-Stand hingezogen fühlt. "Mareike, kann man bei uns so Skandinavien-Zeugs studieren?", brüllt die Sekretärin bei der Einschreibung nach hinten - und Alex Burkhard wird beim Anblick des Lichthofs bewusst: "Genau hier streute also eine junge Sophie Scholl ihre Flugblätter aus". Womit er den Nagel der Bedeutungslosigkeit, der sich bis dahin eher wie eine Schraube ins Holz seiner Identität drehte, gleich auf den Kopf trifft: "Es geht überhaupt nicht um mich in dieser Welt. Und es geht doch nur um mich!"

Als Burkhard dann, im echten Leben sowie am Abend, schnell von der Skandinavistik abdriftet, wird ihm das von den Markt Schwabenern nachgesehen. Teils, weil das Gefühl dieser ersten Uni-Tage so gut als Rahmen für die restlichen Geschichten aus alten Poetry-Slams funktioniert, aber auch, weil ihm die Übergänge von Prosa zu rhythmisch performten Stücken trotzdem fließend gelingen. Schnell zeigt sich: Burkhard ist für alle Sprachen und Kulturen sensibel, er rügte Angewohnheiten wie das unpersönliche "man", mit dem man in der dritten Person über sich selbst spreche, genauso wie die schwammigen Antworten von Fußballern nach dem Spiel. Die widerwärtigste sprachliche Ausgeburt aber sei "Ich habe Mexiko gemacht" - also das Gebaren, mit dem das Reisen nur noch schnell als Erledigen aus Erlebniszwang abgehakt würde. Eine ähnliche Rastlosigkeit plagte auch seine Exfreundin: "Es gibt Tausende Männer, die größer sind als Du", sagt sie zu ihm in dem Slam-Text "Gegen die Unverbindlichkeit". Er kann das nicht bestreiten. Auch Tausende, die länger im Bett könnten. "Wenn wir jemandem begegnen, der besser aussieht als Du", beschließt die Freundin also, "dann gehe ich mit dem weiter." Markt Schwaben johlt mitleidig.

Was ist Alex Burkhards Geheimnis? Er hat komplexe Erzählstrukturen aus dem englischsprachigen Raum adaptiert und baut sie gezielt um den deutschen Habitus herum. Durchblicken lässt er das in seinem Text "Cliffhanger", für den er das inflationär gebrauchtes Mittel zur Spannungserzeugung einfach auf seinen langweiligen Alltag anwendet. Oder: In dem Text "Was ich ihr nicht schreibe" breitet er drei Stimmen, die eigentlich eigene Bildschirmdrittel bräuchten, nebeneinander aus: Was er seiner neuen Damenbekanntschaft wirklich schreibt, was er ihr nicht sagt ("Ich bin den Tag im Bett geblieben / und hab Dir ein Sonett geschrieben"), und noch das dritte Ich, das dazwischen moderiert. In der Tradition des "Running Gags" schreibt er zudem Elemente nach seinen Schlenkern noch einmal in die Nummer hinein; solche, die beim ersten Mal nur ein Schmunzeln, beim Wiedersehen schon ein schallendes Lachen provozieren.

Burkhard ist der überempfindliche, ungehaltene, alles überdenkende moderne Mann, der beim US-Publikum längst einer der beliebtesten Antihelden, aber in Deutschland bislang noch als tuntig bis frauenfeindlich stigmatisiert ist. Frauen könne er nicht in seine WG einziehen lassen, weil er sich aufrichtig in sie verliebe, sobald sie einmal in ihre Tasse Tee pusteten - Männer aber auch nicht, weil sie alle cooler seien als er. Die Bühnenfigur Alex Burkhardt hat sein Loser-Dasein so fetischisiert, dass er aus der Position des Gesellschaftsschwächsten heraus absolut alles, was falsch läuft - ob Abschiebungen oder Massentierhaltung - kritisieren kann, und dafür vom Publikum ehrfürchtige Atemstocker und ehrliche Lacher bekommt.

© SZ vom 02.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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