Jugendschutz:Wenn die Einkaufstüte leer bleiben soll

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Wer ist zu jung für den Rausch? Das muss das Personal im Einzelhandel wissen, das Jugendamt schickt darum Testkäufer los. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Regelmäßig schickt das Jugendamt des Landkreises Ebersberg minderjährige Testkäufer in die Läden, um Alkohol und Tabak zu kaufen. Das Ziel ist, dass das nicht klappt. Große Überraschungen gibt es dabei eigentlich nie - beim jüngsten Testtag allerdings schon.

Von Ulli Kuhn, Ebersberg

Am späten Vormittag trifft sich das sechsköpfige Einsatzteam in einem Vernehmungsraum der Poinger Polizei. Der Weg durch die Wache führt über einen dunklen Gang. Der Vernehmungsraum ist bedrückend klein, weiße Wände, eine kalte Atmosphäre. Ingo Pinkofsky, der zuständige Jugendschutzbeamte und Leiter der heutigen Aktion, findet zum Anfang ernüchternde Worte: "Wir hoffen natürlich immer, dass wir keinen erwischen. Im Normalfall geben aber über 50 Prozent der getesteten Läden Alkohol oder Tabak an unsere minderjährigen Testkäufer heraus. Manchmal auch mehr."

Mit im Raum sind zwei Polizeibeamte, welche die Aktion heute begleiten, Pinkofskys Teamleiter Bernhard Wacht und die Protagonisten: eine 16- und eine 17-jährige Testkäuferin. Beide machen gerade eine Ausbildung zur Verwaltungsfachkraft im Landratsamt. Aufgeregt seien sie eigentlich nicht, sagen sie. "Wir sind dabei, weil es Spaß macht. Außerdem ist es eine gute Abwechslung zum Büroalltag", erklären sie einstimmig. Beide sind zum ersten Mal Testkäuferinnen.

Es gehe nicht um Strafe, sondern um Sensibilisierung, betont das Jugendamt

"Wir nutzen mittlerweile immer Azubis aus dem Landratsamt", so Wacht. Ziel der Testkäufe sei in erster Linie nicht, jemanden zu bestrafen. "Wir wollen sensibilisieren und belehren", so Wacht. Deshalb gebe es auch strikte Vorschriften: "Unsere Tester dürfen nicht älter aussehen als sie wirklich sind. Sie dürfen auch nicht lügen."

Wo sonst Tatverdächtige zum Schwitzen gebracht werden, bespricht das Team nun letzte Einzelheiten. Pinkofsky hat neun Läden im nördlichen Teil des Landkreises ausgesucht. In zwei Autos geht es los zum ersten Testkauf. Wenn Polizei und Jugendamt an der Kasse auf die Beschuldigten zugehen, setze bei eben jenen nicht selten Panik ein, sagt Pinkofsky. "Oft kommen dann die Tränen." Deshalb, und um das Geschäft nicht zu schädigen, würden sie mit den Angestellten in solchen Fällen ein Hinterzimmer aufsuchen, um die Konsequenzen zu besprechen.

Die können teuer werden, das Bußgeld für die Abgabe von Alkohol oder Tabak an Minderjährige beträgt laut Pinkofsky zwischen 1000 und 4000 Euro. Und: "Zu zahlen hat immer der Kassierer." Das Unternehmen an sich werde nur belangt, wenn man nicht nachweisen könne, dass man seine Mitarbeiter entsprechend geschult hätte. "Das können aber heutzutage alle Geschäfte beweisen", sagt der 60-jährige Jugendschützer.

Die Getesteten sind an diesem Tag auf Zack und wollen Ausweise der jungen Kundinnen sehen

Um die Mittagszeit: Ankunft vor dem ersten Geschäft. Die Filiale einer Lebensmittelkette. Polizei, Jugendamt und Testkäuferinnen treffen sich auf einem großen Parkplatz, außer Sichtweite des Eingangs. Die Testkäuferinnen sollen versuchen, hochprozentigen Alkohol zu kaufen. Sie betreten den Laden, Pinkofsky wartet ein paar Minuten, geht dann hinterher. "Ich muss schauen was passiert, damit sich der Kassierer am Ende nicht herausreden kann - und natürlich auch zum Schutz unserer Azubis."

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Pinkofsky steht vor einer kleinen Insel mit Oster-Leckereien - von dort hat er einen guten Blick auf den Kassenbereich - und kramt durch die Schokolade. "Diese Schokoeier hier nannten wir früher immer Wurfeier", sagt der Jugendschützer und deutet mit einer Geste an, woher der Name kommt. "Ich mag ja Marzipan." Die Schokohasen-Lollis hingegen, fände er nicht so gut. Er scheint vertieft ins Gespräch, hat aber immer ein Auge auf seine Testkäuferinnen.

Diese stehen mittlerweile mit einer Flasche Schnaps an der Kasse. Die Gesichtszüge ruhig, keine Spur von Anspannung. Dann, sie sind an der Reihe. Die junge Kassiererin nimmt die Flasche, möchte sie über den Scanner ziehen - dann blickt sie die beiden Testkäuferinnen an. Sie fragt nach dem Ausweis. Die 16-Jährige nimmt ihren Ausweis und gibt ihn der jungen Frau. Diese macht alles richtig und behält die Flasche ein.

Wer keinen Schnaps an die Jugendlichen ausgibt, bekommt dafür eine Urkunde

Das Team sammelt sich wieder bei den Autos. Pinkofsky aber muss nochmal rein. Wenn sie den Alkohol abgeben, bekommen sie Ärger. Wenn sie aber alles richtig machen, bekommen sie eine Urkunde. "Das ist der schönste Teil meiner Arbeit", sagt Pinkofsky. "In so einem Fall gehe ich auch vor allen Kunden zu der Kassiererin und überreiche die Urkunde."

Er spricht die Kassiererin an und entschuldigt sich bei den Kunden, die an der Kasse warten. Als die Frau den Ausweis des Jugendschützers sieht, ist sie kurz verwirrt. "Das war ein Testkauf. Sie haben alles richtig gemacht, super." Sie strahlt über beide Ohren - und die Kunden auch. Es ist eine schöne Szene mit zwischenmenschlicher Wärme und argloser Freude.

Auf dem Weg hinaus kommt noch eine Kundin auf Pinkofsky zu und fragt, was denn passiert wäre, wenn die Kassiererin den Alkohol herausgegeben hätte. Pinkofsky erklärt es der Frau und steigt dann in sein Auto. "Sehen Sie, das ist toll. Da sieht man, dass die Testkäufe wirklich Aufmerksamkeit schaffen." Nach diesem guten Start in den heutigen Arbeitstag sind alle in guter Laune. Die Sonne scheint - es ist ein schöner Tag.

Normalerweise gibt es bei jeder Tour mindestens einen Gesetzesverstoß

Ingo Pinkofsky und Bernhard Wacht geben aber auch einen Dämpfer: "Dass wir heute noch jemanden erwischen, ist eigentlich so gut wie sicher." Man hätte es noch nie erlebt, dass an einem Tag keiner einen Fehler macht. Zumindest bei den nächsten drei Testkäufen bewahrheitet sich diese Befürchtung nicht: Die jungen Ermittlerinnen machen ihren Testkauf und kommen mit leeren Händen heraus. Pinkofsky geht jedes Mal mit einer Urkunde hinein. Erleichterung und Freudestrahlen - überall glückliche Gesichter.

Nun steuern die Fahrzeuge einen Getränkemarkt an, alte Bekannte, wie sich herausstellt: "Die haben den Test noch nie bestanden. Es ist jedes Mal das Gleiche", so Pinkofsky. Die jungen Damen gehen hinein - eine Flasche Malibu soll es sein. Für die Polizisten, die den Tag bisher mit guter Laune und netten Gesprächen auf Parkplätzen verbrachten, könnte es nun gleich zum Einsatz kommen. Doch die Testkäuferinnen kommen auch hier mit leeren Händen heraus. Pinkofsky kann es kaum glauben - läuft auch hier wieder mit Urkunde bestückt in den Laden.

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An der Kasse steht ein großer blonder Mann. Als er von dem Jugendschützer gelobt wird, beginnt er zu lächeln: "Ich bin der stellvertretende Chef, das wäre ja peinlich, wenn mir das jetzt passiert wäre." Vom Kollegen an der Nachbarkasse kommt ein freundschaftliches Grinsen.

Pinkofsky sieht auf dem Kassenbildschirm die Aufschrift: "Jugendschutz: 01.03.2005". "Hier steht ja das aktuelle Fälligkeitsdatum, das ist ja super." Außer lächelnden Gesichtern also auch hier nichts zu holen.

Vor dem Zigarettenkauf üben die Testerinnen noch, die Namen der Marken auszusprechen

Zur Abwechslung sollen die Testerinnen beim nächsten Geschäft versuchen, Tabak zu kaufen. Vorher noch ein kurzes Sprechtraining. "Kannst du das aussprechen?" Die 16-Jährige versucht es. Der Name der französischen Zigarettenmarke ist aber auch kompliziert. Sie probieren ein paar Marken durch - an der Kasse soll es ja authentisch klingen.

Doch die Testerinnen gehen leer aus und so finden sich auch hier keine durch Bußgeldverfahren oder Jobängste verursachten Tränen - im Gegenteil. Die Sonne scheint und die Laune bleibt weiterhin gut. Im Auto zum nächsten Termin geben sich Pinkofsky und Wacht aber realistisch: "Uns ist klar, dass wir durch unsere Arbeit nicht gänzlich verhindern, dass Jugendliche an Alkohol und Tabak kommen. Aber wir durchbrechen eben die Regelmäßigkeit."

Der letzte Testkauf für diesen Tag, wieder in einer Einzelhandelsfiliale. Pinkofsky steht mal wieder vor einem Regal, diesmal mit Aussicht auf Mehl - und ein Auge immer auf seine Azubis gerichtet. "Ich habe kürzlich einmal eine Backmischung mit Dinkelmehl gehabt, das war eigentlich echt lecker." Dann plötzlich: Aufregung. "Wow, das ist eine Sauerteig-Schnellbackmischung. Sauerteig muss ja sehr lange ruhen. Auf dieser Backmischung steht, dass es damit viel schneller geht - das muss ich mal ausprobieren."

Dieses Mal machen alle alles richtig, vielleicht sehen die Testerinnen aber auch zu jung aus

Bei dem eingespielten Test-Duo hingegen gibt es wenig Aufregung. Wie immer an diesem Tag gehen sie mit leeren Händen aus dem Laden. "Das haben wir so auch noch nicht erlebt", urteilt das Team von Jugendschutz und Polizei einstimmig. Alle scheinen durchweg glücklich mit der Situation - man ist sich aber sicher, dass die Bilanz insgesamt sehr viel schlechter aussieht. Die Polizistin findet klare Worte: "Ist natürlich schön, dass es heute einmal so gelaufen ist - normal ist aber etwas anderes."

"Es kann natürlich daran liegen, dass wir jetzt schon länger diese Testkäufe machen, etwa seit 2016." Pinkofsky denkt, es könnte sich einfach herumgesprochen haben. "Unsere Testkäuferinnen sehen heute aber auch wirklich sehr jung aus - auch das könnte es sein." Trotzdem sei heute ein guter Tag für den Jugendschutz. "Die Jugendlichen hier scheinen es schwer zu haben", sagt Wacht. Alle schmunzeln.

Auch die Testkäuferinnen sind glücklich. Es sei aufregend gewesen und sie seien froh um die Unternehmen und ihre Angestellten. "Ist ja am Ende gut für die Geschäfte, wenn sie sich keinen Ärger einhandeln." Aber sind sie nicht doch ein wenig enttäuscht, dass sie nichts bekommen haben? Die 17-Jährige sagt: "Naja, ein bisschen vielleicht schon ..."

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