Landkreis Ebersberg:Die entscheidenden Minuten

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Roland Feineis an der Zentrale der Helfer vor Ort in Markt Schwaben. Wenn der Piepser einen Alarm meldet, muss es schnell gehen. (Foto: Anneli Krackl/oh)

Markt Schwaben hat nach fünf Jahren Pause wieder ein Team von Helfern vor Ort. Die Dichte dieses Rettungsnetzes im Landkreis steigt damit von 41 auf 55 Ehrenamtliche. Einer der jüngsten berichtet.

Von Korbinian Eisenberger

Am Abend des 28. Dezember ging zum ersten Mal der neue Piepser: Einsatz für Roland Feineis. In Anzing, etwa fünf Kilometer entfernt, war ein Mann beim Abendessen zusammengebrochen. Der 25 Jahre alte Feineis rückte zusammen mit einem Kollegen im Rettungswagen aus. Zehn Minuten nach dem Alarm erreichten sie das Haus. Ein älterer Mann am Boden. "Er war nicht mehr bei Bewusstsein", erzählt Feineis. Von Beruf kümmert er sich um Heizungs- und Sanitäranlagen. Als Bereitschaftsleiter der Ehrenamtlichen ging es an diesem Abend kurz vor Silvester um Leben und Tod.

Feineis zählt zum neuesten Team der "Helfer vor Ort" (HvO) Markt Schwaben, das seit Weihnachten nach mehr als fünf Jahren Unterbrechung wieder in rettender Mission unterwegs ist. 14 Frauen und Männer wechseln sich in Markt Schwaben im Bereitschaftsdienst ab. Wenn der Alarm eingeht, sind sie stets zu zweit: Ehrenamtliche, die ausrücken, wenn der Rettungsdienst noch unterwegs ist. Die HvO haben einen Standortvorteil, weil sie in unmittelbarer Nähe wohnen. Mit dem Team aus Markt Schwaben steigt nun die Dichte der Helfer vor Ort im Landkreis Ebersberg.

Nach Glonn, Hohenlinden und Poing bekommt der Kreis in Markt Schwaben einen vierten Standort. Die Zahl der ehrenamtlichen Helfer vor Ort steigt damit auf 55. Hinzu kommen die sogenannten "First Responder" von den Freiwilligen Feuerwehren, die den gleichen Prinzipien und Regeln folgen. Im Gepäck haben sie mindestens einen Sanitätsrucksack mit Material zur Diagnose, zur Beatmung und zur Versorgung von Verletzungen, und einen automatisierten Defibrillator zur Behandlung von schweren Herzrhythmusstörungen und für Sauerstoff. Ihre Einsätze haben die HvO während der ersten Minuten eines Notfalls. Und diese sind oft die entscheidenden.

Umso wichtiger ist, dass die freiwilligen Helfer gut ausgebildet sind. Jeder Ehrenamtliche muss einen 60-Stunden-Kurs absolvieren. "Zusätzlich haben wir regelmäßig Fortbildungen", sagt Roland Feineis. In anderen Rettungsstaffeln hat er schon viele Einsätze hinter sich. Nicht selten musste er Menschen reanimieren. Beim Telefonat berichtet er auch von Ausnahmesituationen. Von einem Fall, wo er 20 Minuten lang reanimierte -"erfolglos". Auch das ist Teil dieses Ehrenamtes. Auch auf diese Situation bereiten die Schulungen vor. Wenn ein Patient stirbt, sagt Feineis, helfe die Nachbesprechung. "Wir konnten nicht mehr tun, haben alles versucht, was wir konnten." Ihm helfe auch die Familie, sagt er. Sollte die Verarbeitung problematischer werden, arbeiten die Helfer mit einer Notfallseelsorge zusammen. "Die können wir täglich 24 Stunden kontaktieren."

Der Bereitschaftsdienst wird zusammen mit dem Rettungsdienst per Notruf 112 über die Integrierte Leitstelle alarmiert. Diese entscheidet über den Einsatz. Sinnvoll ist das vor allem bei einem entscheidenden Vorsprung, etwa wenn die in Bayern gesetzlich vorgegebene Hilfsfrist von zwölf Minuten sonst nicht eingehalten werden kann. Es geht dabei hauptsächlich um lebensbedrohliche Erkrankungen oder Verletzungen. Herz-Kreislauf-Störungen, Atemnot und starke Blutungen. Der Einsatzort liegt im eigenen Gemeindebereich und meist auch in den umliegenden Orten.

Zu verdanken haben die Menschen im Kreis Ebersberg dieses nun noch engmaschigere Helfernetz dem Glonner Bernhard Nowotny. Der 53-Jährige ist Kreisbereitschaftsleiter und Katastrophenschutzbeauftragter des Roten Kreuzes Ebersberg. Über seinen Beruf hinaus engagiert er sich zudem seit 40 Jahren ehrenamtlich. Nowotny ist so etwas wie der Gründervater der Helfer vor Ort. Auslöser waren damals mehrere Ereignisse in der Region um Glonn, bei denen zufällig Retter des Roten Kreuzes in der Nähe waren und entscheidend - weil sehr früh - eingriffen. "Daran sah man, wie lebenswichtig das hier sein kann", erklärt Nowotny. Und so gründete er im Jahr 1988 eine Zentrale im Landkreis Ebersberg. "Wir waren eine der ersten in Bayern." Es gab damals bereits Vorläufer dieser Art der schnellen Hilfe, in Deutschland und in anderen Ländern. Bekannter wurde das System aber erst Mitte der 1990er Jahre, so Nowotny. "Bis dahin leistete das BRK im Landkreis Ebersberg geradezu Pionierarbeit."

Die vier Teams arbeiten rein ehrenamtlich, ohne Bezahlung. Einsatzfahrzeug, Ausrüstung, Kleidung und die Aus- sowie Fortbildung werden aus Förderbeiträgen und Spenden finanziert. Kompliziert kann es bisweilen sein, ein Team dauerhaft zusammenzuhalten, das zeigten nicht zuletzt die HvO Markt Schwaben. Bis 2015 gab es dort eine Einsatzgruppe, wegen Wegzügen etwa aufgrund eines Studiums oder Berufswechsels löste sich das Team jedoch auf. Gut fünf Jahre später hat nun der Neuanfang begonnen.

Die Frauen und Männer in Markt Schwaben sind zwischen 20 und 30 Jahre alt und damit das jüngste HvO-Team im Kreis. Die Bandbreite insgesamt geht von 19 bis 66 Jahre, 33 ist der Schnitt. Roland Feineis ist mit 25 einer der jüngsten, hat aber viel Erfahrung im Umgang mit einem Defibrillator. Den Abend in Anzing hat er gut in Erinnerung: Als der Rettungsdienst eintraf, war der gestürzte Mann bereits wieder bei Bewusstsein.

© SZ vom 09.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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