Landgericht München II:445-facher Missbrauch

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Der Vorwurf klingt ungeheuerlich: Ein Wirt aus Kirchseeon soll sich jahrelang an den beiden Töchtern seiner Lebensgefährtin vergangen haben. Er streitet alles ab - die Kinder seien durch ihn "aufgeblüht".

Andreas Salch

Eigentlich ist alles völlig unauffällig im Leben des jungen Mannes. Dass er schon ein halbes Dutzend Jobs hatte, obwohl er erst dreißig ist, mag vielleicht auffallen. Zuletzt als Wirt eines Lokals. Doch das ist geschlossen, weil der gebürtige Italiener seit Dezember in Untersuchungshaft sitzt. Der Grund hierfür klingt ungeheuerlich. Der Mann soll in seiner Wohnung in Kirchseeon die zwei kleinen Töchter seiner ehemaligen Lebensgefährtin in insgesamt 445 Fällen sexuell missbraucht haben. Außerdem geht die Staatsanwalt am Landgericht München II von weiteren sieben Fällen aus, in denen der Wirt versucht haben soll, die Kinder zu vergewaltigen.

Ein Mann aus Kirchseeon soll die Töchter seiner Freundin in 445 Fällen missbraucht haben - doch er streitet alles ab. Die Richter der Jugendkammer am Landgericht München II verhandeln nun den Fall. (Foto: iStockphoto)

Dafür muss er sich seit Dienstag vor der Jugendkammer am Landgericht München II verantworten. Zu den sexuellen Übergriffen soll es zwischen 2000 und 2003 gekommen sein. Die mutmaßlichen Opfer waren damals zwischen sechs und elf Jahre alt. Das ältere der Mädchen, so die Staatsanwaltschaft, habe der Angeklagte von August 2000 bis April 2003 "wochentags praktisch täglich" beim Fernsehen im Genitalbereich berührt, "um sich dadurch sexuell zu erregen." 2001 oder 2002 soll der Angeklagte sich auch an der jüngeren Tochter seiner Freundin vergangen haben. Das Kind war zu diesem Zeitpunkt erst zwischen sechs und sieben Jahre alt.

Nicht einmal zwei Seiten lang ist die Anklageschrift, die Staatsanwalt Konrad Veitenhansl nach Beginn der Verhandlung verliest. Nachdem Staatsanwalt Veitenhansl das Unbeschreibliche vorgetragen hat, belehrt die Vorsitzende Richtern Petra Beckers den Angeklagten. Wenn an den Vorwürfen etwas dran sei, sei jetzt der Moment, das einzuräumen. Insbesondere bei Jugendschutzverfahren, so die Vorsitzende, wirke sich ein Geständnis erheblich zugunsten eines Angeklagten aus. Der 30-Jährige blickt fassungslos vor sich hin und sagt dann: "Ich verstehe es nicht, ich bin enttäuscht." Er habe doch die Töchter seiner Lebensgefährtin wie seine eigene Tochter, das dritte Kind in der Familie, behandelt.

Erst Ende vorigen Jahres habe sich eines der mutmaßlichen Opfer einer Vertrauensperson gegenüber geöffnet und von den angeblichen Übergriffen des ehemaligen Partners ihrer Mutter berichtet, sagt Staatsanwalt Veitenhansl. Warum die Mädchen, heute 18 und 15 Jahre alt, so lange geschwiegen haben, blieb zum Auftakt des Prozesses unklar.

Der Angeklagte und seine Lebensgefährtin lebten sechs Jahre lang zusammen. Im Juni 2002 trennten sie sich. Im Februar 2009 starb die Frau an Krebs. Ihre zwei älteren Töchter lebten bis dahin bei ihr. Das Mädchen, aus der Beziehung zu dem ehemaligen Gastwirt befindet sich bei dessen Eltern. Die ältere Tochter seiner Freundin "ist in mich verliebt gewesen", behauptet der Angeklagte bei seiner Vernehmung. Wenn er unter die Dusche oder auf die Toilette ging, sei das Mädchen ihm "hinterher" und habe die Türe aufgemacht. Als sie ihm beim Herumalbern im Schlafzimmer einmal einen Zungenkuss gegeben habe, habe er ein Gespräch mit ihr allein geführt und auch seiner Freundin später von dem Vorfall erzählt: "Ich glaube das war mein Fehler." Denn von da an habe das Kind so gut wie nicht mehr mit ihm geredet.

Und das zweite Kind seiner Partnerin? Habe er ihm etwas angetan, will die Vorsitzende wissen. Nein, versichert der Angeklagte. Im Gegenteil, das eher in sich gekehrte Mädchen sei durch seine Zuwendung erst so richtig aufgeblüht. 2005, so der Angeklagte, sei er erstmals von einem Rechtsanwalt mit den mutmaßlichen sexuellen Übergriffen konfrontiert worden. Als er seine ehemalige Partnerin daraufhin gefragt habe, ob sie sich dies vorstellen könne, habe sie geantwortet: "Nein." Der Prozess dauert an.

© SZ vom 22.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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