Kultur im Landkreis Ebersberg:Vier Solisten, vier Quartette

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Im Zornedinger Martinstadl kommen Ausnahmekünstler zu einem Abend vor 150 Gästen zusammen: Oliver Triendl, Hyeyook Park, Gregor Sigl und Patrick Demenga spielen Mahler, Wolf, Dünser und Brahms

Von Oliver Fraenzke, Zorneding

Sonntagabend im Zornedinger Martinstadl: Vier internationale Solisten verbinden sich zum hochkarätigen Quartett. Die Geige spielte Hyeyoon Park. (Foto: Christian Endt)

Was passiert, wenn vier Ausnahmesolisten zusammen auf einer Bühne stehen? Im Zornedinger Martinstadl gibt es die Antwort: Mit ihren Instrumenten widmen sie ihre Energie der kammermusikalischen Gemeinschaft und der innermusikalischen Ausgestaltung: Oliver Triendl als künstlerischer Leiter des Kulturvereins Zorneding-Baldham hat den Ruf, internationale Größen auf den Bühnen des Landkreises Ebersberg zu präsentieren. Einen Beweis liefert er an diesem Sonntagabend in mehrfacher Ausführung. Darunter: Violinistin Hyeyook Park, die bislang jüngste Gewinnerin des ARD-Musikwettbewerbs und trotz ihres jungen Alters bereits weltweit gefragte Konzertsolistin.

Die Bratsche bekleidet Gregor Sigl, der im Artemis-Quartett wirkte und nach dessen Auflösung in diesem Jahr nun seine durchschlagende Durchdringung des Kammermusikrepertoires in den Dienst neuer Projekte stellt. Und dann steht Patrick Demenga auf der Bühne, er gehört seit Jahren zu den führenden Cellisten der Schweiz, leitet mehrere Festivals und leitet eine Konzertvorbereitungsklasse in Lausanne. Über Triendl vom Kulturverein Zorneding-Baldham muss wohl an dieser Stelle wenig gesagt werden: Als Lokalmatador gestaltet der in Ebersberg lebende Pianist grundlegend das Kulturleben des Landkreises, er gehört zu den bedeutenden Bewahrern unbekannter Literatur und hielt diese auf mehr als 100 CD-Produktionen fest.

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(Foto: Christian Endt)

Gemeinsam mit der Geigerin spielten: Bratscher Gregor Sigl...

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(Foto: Christian Endt)

...Pianist Oliver Triendl aus Ebersberg...

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(Foto: Christian Endt)

...und Cellist Patrick Demenga.

In dieser Zusammenstellung gelingt den vier Musikern vor 150 Gästen eine vollends aufeinander abgestimmte Darbietung der vier programmierten Werke, die je Bezug zur österreichischen Hauptstadt Wien nehmen. Vor einem konzentriert lauschenden, verhältnismäßig gut gefüllten Saal hebt das Ensemble an mit Gustav Mahlers einsätzigem Klavierquartettsatz a-Moll: Ein düsteres, abgeklärtes Werk, das gerade gegen Ende Konventionen hinterfragt und nur pro forma und nicht wirkungstechnisch auflöst, eher der Arbeit eines greisen Mannes denn des damals sechzehnjährigen Studenten entsprechend.

Es handelt sich um den einzigen Satz an Kammermusik, der von Mahler erhalten ist, auch die restlichen Sätze dieses Werkes gelten als verschollen. Es folgen Drei Gesänge Hugo Wolfs aus Wilhelm Meister, bearbeitet für die Besetzung des Abends von Richard Dünser, von dem im Anschluss ein Klavierquartett mit dem Beinamen Ricordanze dargeboten wird - beide Werke als Uraufführungen. Die Wolf-Lieder instrumentierte Dünser derart meisterlich, dass man sie für Originalwerke halten möchte, so elegant disponierte er die Stimmen auf die vier Instrumente. Sein dreisätzig angelegtes Quartett atmet ganz andere Ausmaße, entzieht seinen Ausdruck der Wiener Traditionslinie bis hin zu Berg und Webern, zitiert dabei - zumeist kaum merklich - aus einem Fundus an Werken von unter anderem Brahms, Zemlinsky, Berg bis Janáček, führt deren Wirkung allerdings ausnahmslos in die Jetztzeit und kreiert eine durch und durch spannende, dabei trotzdem publikumswirksame Stilistik.

Die einzelnen Stimmen entsprechen den Möglichkeiten und Ausdrucksarten der Instrumente, sind ihnen quasi auf den Leib geschrieben. Über die Realisierung des großen Bogens lässt sich nach einer einzigen Aufführung noch zu wenig aussagen. Deutlicher kann statuiert werden, dass Dünser die einzelnen Phrasen und Momente mit Sorgfalt und Detailverliebtheit bekleidete, reibenden Harmonien Raum zum Entfalten gab. Selten wurden zuletzt schnelle Passagen mit angemessener Dichte an Informationen versehen, so dass der Hörer diese auch aufnehmen kann und nicht von Eindrücken erdrückt wird.

Nach einer kurzen Pause schließt das Programm mit dem jugendlich sprühenden Klavierquartett Nr. 1 in g-Moll op. 25 von Johannes Brahms, einem hochvirtuosen und formal weitdenkenden Werk, mit dem sich der Verfasser in Wien gleichermaßen als Pianist wie als Komponist vorgestellt und sogleich seinen Ruf untermauert hat. Keiner der vier Sätze lässt wirkliche Ruhe aufkommen, so packt einen das Quartett und zerrt einen unerbittlich bis zum Schluss, nimmt Musiker wie Hörer wortwörtlich mit. Als Zugabe gibt es dann noch den E-Dur-Mittelsatz von Brahms' c-Moll-Quartett op. 60 als versöhnlichen Ausgang.

So sehr bei Park, Sigl, Demenga und Triendl die scheinbare Leichtigkeit technischer Makellosigkeit beeindruckt, so merkt der Hörer vom ersten Ton an, dass diese alleinig im Dienst des Ausdrucks steht und der volle Fokus aller Mitwirkenden auf einheitliches, aus dem gleichen Atem und dem gleichen Puls herauskommendes Zusammenspiel gerichtet ist. Jede Stimme soll zum Tragen kommen und die Vorzüge des jeweiligen Instruments einer Ganzheit zur Verfügung stellen, die erst im Moment entstehen kann. Man spürt den Drang der Instrumentalisten, nicht in die Routine lupenreinen Vortrags zu verfallen, sondern gerade das einzigartige Element eines jeden Stückes hervorzuheben, also die Regelbrüche, die Missklänge und die Momente wahrer, gespannter Inspiration. Was Richard Dünser während eines Gesprächs mit Oliver Triendl vor seiner Uraufführung ausdrückt, darf als Leitbild für das gesamte Konzert dienen: "Das Publikum soll nach den Dissonanzen lechzen."

© SZ vom 02.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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