Konzert:Stampede durch die Gehörgänge

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"Kunst und Musik" findet erstmals im Alten Kino statt und bittet das "Brooklyn Lager Trio" mit dem wütenden Drummer Sean Noonan auf die Bühne. Jeremy Teigan und Izzy Wiggum haben alle Hände voll zu tun, die wundgejazzten Ohren wieder zu heilen

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Jeremy macht es spannend. "Ob Ihr das packt?, nuschelt er ins Mikro - und irgendwie ist da ein boshafter Unterton zu hören. In Tarnfarben hat er sich auf die Bühne geschlichen, sein Banjo geschnappt, danach die E-Gitarre, und erst einmal dem Blues gehuldigt, als wolle er die "Sons of Anarchy" zu ihrem allerletzten Bike-Ride irgendwo im heißen Kalifornischen Hinterland geleiten. "Tell me, I'm not wrong" schnarrt er ins Mikro, und, nein, er liegt ganz sicher nicht falsch.

Gitarrist Izzy Wiggum, hier mit Begleitung von "Rüdiger", huldigt kraftvollen Indie-Rock-Melodien. (Foto: Christian Endt)

Das Alte Kino ist sein Wohnzimmer, und die vielleicht 50 Gäste, die das schummerige Halbdunkel am Donnerstagabend dem halbgaren Sonnenschein im Biergarten vorgezogen haben, sein Publikum: Man kennt sich hier, weiß auch, wen Jeremy Teigan, der großartige australisch-bayerische Gitarrist meint, wenn er nuschelnd frotzelt, "der Andi quatscht schon wieder". Andreas Mitterer, Vorsitzender des Ebersberger Kunstvereins, der gemeinsam mit Teigan und dem Alten Kino seit Beginn des Jahres die Reihe "Kunst und Musik" organisiert. Normalerweise, sagt Mitterer anschließend oben auf der Bühne, könne er ja etwas über Kunstwerke erzählen, die rund um die Töne herum aufgehängt sind, wenn man sich zu den Ausstellungen des Kunstvereins in der Alten Brennerei treffe. Doch erstmals ist das Alte Kino Ort des Geschehens, also läuft es diesmal anders.

Sean Noonan gilt als Berserker am Schlagzeug und macht seinem Ruf alle Ehre´. (Foto: Christian Endt)

Und wie anders. Da wird ein minutenlanges Video gezeigt von einem Besuch des längst verwehten Papsts Johannes Paul II. Er hatte im Jahre 1979 den New Yorker Madison Square Garden gerockt und tausende von jungen Leuten lediglich durch das Erheben seiner Stimme zu Räuspern und ähnlichen Geräuschen in hysterische Ausbrüche getrieben. Die Qualität des Videos ist so unfassbar schlecht, dass das schon fast wieder Kunst ist. Haben wir wirklich vor so wenigen Jahren solch verwaschene Bilder geguckt? Dann holt sich der Poinger Gitarrist und Sänger Izzy Wiggum einen "Briefkassisten" auf die Bühne - wer nicht weiß, was das ist, der möge seinen Briefkasten abmontieren und einmal versuchen, darauf zu trommeln. Der Mann aus dem Publikum, der sich als "Rüdiger" vorstellt, was er aber vielleicht nicht ist, macht das so professionell, dass ihm Jeremy Teigan schon beim ersten Song, in dem er die Percussiongrundlage zu Izzy Wiggums selbst geschriebener Musik gibt, eine Cajon unterschiebt und ein Hi-Hat daneben hinstellt. Klang Wiggum vorher eher wie ein stärkerer Max Herre, entpuppt er sich jetzt als veritabler Vertreter eines melodischen und variablen Indie-Rocks. Die Melodien schreibt er selbst, die Texte aber stammen von Miley Cirus oder Celine Dion: In dieser Kombination hat die Musik mit dem Weichspüler-Pop jener Damen aber nichts mehr zu tun. Wiggums Stimme ist warm, mal sonor, mal schneidend, gemeinsam mit "Rüdiger" rockt er den Saal.

Doch war da ja noch die unverhüllte Drohung von Jeremy Teigan: Nach "all diesem Zeug" komme das Brooklyn Lager Trio. Ob wir das packen?

Als Musik für "Hartgesottene" waren Drummer Sean Noonan und seine Mitstreiter angekündigt worden. Der Schlagzeuger aus Brooklyn als "ein Berserker". Und, ja, schon das erste Trommelstakkato des New Yorker Experimental-Jazzers gleicht einer Stampede, die sich durch die Gehörgänge fräst wie eine Herde wild gewordener Rinder durch eine Wagenburg. Unterstützt wird er von Harry Saltzman am Saxofon und Norbert Bürger an der Gitarre. Doch was heißt schon "unterstützen": Die beiden Ausnahmemusiker stehen mit all der Kunst ihrer Instrumente musikalisch Spalier für den wildgewordenen Lockenkopf, der im goldbestickten Gladiatorengewand eines Schwergewichtsboxers die Arena betreten hat, sein Instrument schlägt, prügelt, streichelt, tritt, gerne auch mal mit Sticks bewirft, dazu mal singend flüstert oder wütenden Sprechgesang in die Kaskaden seiner Trommelschläge einflicht. Manchmal erinnert er an Frank Zappa, dem er sogar ein Musical geschrieben hat. Der avantgardistische Punk-Jazz, den Noonan mit seinen beiden Kollegen pflegt, ist faszinierend und verstörend zugleich. Nichts, was man sich im Wohnzimmer über den Kopfhörer bei einem schönen Glas Rotwein reinziehen möchte, eher die Begleitmusik zu einem wahnsinnigen Trip durch die Nacht, der von durchaus stärkeren Getränken begleitet sein darf. Die Frage drängt sich auf, was die Musiker da auf ihren Notenblättern stehen haben, ob die von Noonan geschriebenen Songs wie "Hidden treasures" oder "Baby" tatsächlich in mitteleuropäischer Tradition gebräuchlichen Notenschlüsseln notiert sind. Mal ist es Zwölftonmusik, gelegentlich Chromatik - die vergleichsweise melodisch daher kommt-, mit unfassbaren Brüchen im Rhythmus, dem nur solch großartige Musiker wie diese Drei überhaupt folgen können. Meistens klingt das wie die Suche nach der Quadratur des Kreises mit den Mitteln des Instruments, oder, wie Saltzman es ausdrückt, wie der Versuch, Musik zu machen, die gleichzeitig laut und leise ist. Jedenfalls hinterlässt sie ganz sicher Spuren in den Gehörgängen.

© SZ vom 03.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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