Konzert in Haar:Mit Lust und Wucht

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Der "Tölzer Knabenchor" begeistert in der wieder geöffneten Kirche Maria Sieben Schmerzen

Von Udo Watter, Haar

Als der Chor der Knaben mit behutsamem Piano einsetzt und die sphärisch schwebende Melodie des "Panis angelicus", das der großartige Sopransolist von der Kanzel herab singt, kanonartig aufnimmt, da dürfte die Gänsehautdichte im Publikum besonders hoch gewesen sein. Das Stück des in Lüttich geborenen, französischen Komponisten César Franck (1822 bis 1890) ist ohnehin von einer berührenden Innigkeit, und wie hier das klangschöne Timbre der jungen Stimmen zwischen Solo und Tutti zartflächig ineinandergleitet, das weckt beinahe transzendente Assoziationen. Matthias Riedel-Rüppel, Leiter des Kleinen Theaters Haar, hatte nicht zu viel versprochen, als er vor Konzertbeginn freudig ankündigte, er habe "jetzt schon Gänsehaut". Das Renommee des gastierenden Ensembles war natürlich auch dazu angetan, die Erwartungen hoch zu stecken - und der Tölzer Knabenchor wurde dem in der Kirche Maria Sieben Schmerzen eindrucksvoll gerecht.

Dem Konzert in dem Jugendstilbau, der mehr als 100 Jahre als Krankenhauskirche gedient hatte, wohnte in mehrfacher Hinsicht der viel zitierte Zauber des Anfangs inne. Es war zum einen die erste öffentliche Vorstellung nach einer mehrjährigen Sanierung in der Kirche, die als durchaus einzigartiger Sakralbau mit Spannbetondecke und zahlreichen Jugenstilmalereien gilt. Zudem markiert das Konzert den Beginn einer Zusammenarbeit zwischen dem Tölzer Knabenchor und dem Kleinen Theater Haar als Veranstalter. Und überhaupt war da dieses Erlebnis, in einem geschlossenen Raum mal wieder live einem Chor lauschen zu können nach der langen kulturellen Zwangspause: eine Art Wiederbeginn, ein Renaissance-Erlebnis für die Sinne.

Dass die Chormitglieder unter Leitung von Christian Fliegner ebenfalls große Lust verspürten, ihrer Tätigkeit wieder vor Publikum nachzugehen, war von Beginn an spürbar. Den Abstandsregeln geschuldet, war das Ensemble zwar ein wenig luftiger aufgestellt, aber der immensen Klangwucht des Chores tat dies keinen Abbruch. Meist begleitet von Clemens Haudum an der Orgel, der auch bei den zwei reinen Männerchor-Arrangements - Mendelssohn-Bartholdys "Adspice Domine" und Schuberts "Gesang der Geister über den Wassern" - das Dirigieren übernahm, entwickelten die Tölzer eine suggestive Intensität und Kraft, die sie den ganzen Abend durchhielten. Auf dem Programm standen neben den bereits genannten Stücken weitere Kompositionen von Mendelssohn-Bartholdy (Drei Motetten op. 39) sowie zwei Motteten von Johann Sebastian Bach sowie von seinem Großonkel Johann Bach "Unser Leben ist ein Schatten", seinem Schwiegervater Johann Michael Bach "Nun hab ich überwunden" und von seinem Schwiegersohn Johann Christoph Altnikol "Nun danket alle Gott" - also im Wesentlichen Werke des Barocks und der Romantik. Die Akustik in Maria Sieben Schmerzen ist gut, kirchengemäß, aber ohne großen Nachhall, mitunter war die anschwellende Crescendo-Wucht der Soprane (oder auch der Tenöre) daher geradezu schneidend. Besonders beeindruckend bei den Tölzern ist ja - neben ihrer auch am Sonntag gezeigten Klarheit in der Artikulation und Intonationssicherheit - die Fähigkeit vieler Mitglieder, solistisch zu glänzen. Fliegner, der früher selbst ein erfolgreicher Knabensolist war, leistet hier mit seiner stimmbildnerischen Erfahrung und Ausbildung Großes und setzt damit das fort, was Chorgründer Gerhard Schmidt-Gaden wohl schon 1956 im Sinne hatte. Immer wieder stechen während der Interpretationen einzelne, im Chor platzierte Sänger mit solistischen Intermezzi heraus oder entfalten ihre Stimmen, etwas exponierter positioniert, von der Empore oder der Kanzel herab.

Es ist schön zu sehen, mit welcher Ernsthaftigkeit und Freude Knaben- wie Männerstimmen mitgehen, welche Dynamik sie beim Vortrag entfalten. Aber auch, wie souverän Fliegner oder Haudum den Klangkörper im Griff haben, mal mit gemessenen, reduzierten Bewegungen, mal mit temperamentvollen, die Dramaturgie befeuernden. In den doppelchörigen Motetten von Johann Sebastian Bach "Der Geist hilf unserer Schwachheit auf" und "Lobet den Herrn, alle Heiden" (sowie der mitreißenden Zugabe, die in "Alles, was Odem hat, lobe den Herrn" aus "Singet dem Herrn ein neues Lied" mündet) zeigt sich besonders eindruckvoll die interpretatorische wie technische Qualität des Chores - der ja auch mit zahlreichen berühmten Dirigenten wie Nikolaus Harnoncourt, Herbert von Karajan oder Christian Thielemann zusammengearbeitet und viele wichtige Musikpreise gewonnen hat.

Die koloraturreichen, durch teils komplexe Fugenstrukturen geprägte Motetten gehören zur anspruchsvollsten Chorliteratur überhaupt, aber in Haar erklingen sie mit einer fast leicht anmutenden Virtuosität. Einschränkend könnte man sagen, dass nicht zuletzt durch die Wucht der Akustik in der nicht gerade großen Kirche manche Differenzierungen und Transparenzen verloren gehen. Generell hätten dem Programm zudem ein, zwei ruhigere Momente gut getan. So schön die laut triumphierenden Klangfarben der Tölzer sind, ihr intensives Piano gebiert ja ebenfalls Gänsehaut - das zeigten sie nicht nur bei "Panis angelicus", sondern auch bei Mendelssohn-Bartholdys "Veni Domine", das mit einem in Piano schwebenden "et noli tardare" ausklingt.

© SZ vom 13.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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