Kommentar:Differenziert betrachten

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Die Bewertungen des MDK dienen zwar als Orientierung, sind aber auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Am besten man stattet einem Seniorenheim einen persönlichen Besuch ab

Von Johanna Feckl

Keine Frage: Das MDK-Gesamturteil für den Seniorenwohnpark Vaterstetten von 3,3 ist unterirdisch. Vor allem, weil die Teilbewertung für medizinische und pflegerische Versorgung - das A und O einer jeden Pflegeeinrichtung - sogar noch schlechter ausfällt, beinahe ein "mangelhaft" darstellt. Und dieser Schreck findet noch eine Steigerung, wenn man die Erklärung vom MDK hört, dass eine 1,0 keinesfalls einem extra Fleißsternchen wie an Schulen und Universitäten gleichkommt. Die Bestnote heißt demnach lediglich, dass die minimalen Anforderungen erfüllt sind. Zusätzliche Angebote berücksichtigt der MDK bei seinen Kontrollen nicht, ob sie vorhanden sind oder nicht.

Der Seniorenwohnpark erklärt, dass der Leistungsabfall mit dem Weggang einiger Pflegekräfte zur selben Zeit zusammenhängt. Dass sich dieser Ausfall bemerkbar macht, ist absolut klar, denn die Suche nach Pflegepersonal gestaltet sich langwierig. Da könnte man ebenso gut im Hochsommer mit dem Vorhaben das Haus verlassen, einen Schneemann zu bauen: klappt schon irgendwann, dauert halt nur ein Weilchen.

Ob die Mitarbeiter tatsächlich gegen Prämien abgeworben wurden, lässt sich nicht abschließend klären. Es scheint aber alles andere als unplausibel. Wenn eine Pflegekraft gerne mit dem Chef oder der Chefin zusammengearbeitet hat und dies auch weiterhin tun kann - nur eben in einer anderen Einrichtung -, und dafür auch noch extra Geld winkt, dann sagt sie wohl in vielen Fällen Ja zu diesem Deal. Der alte Arbeitgeber zieht den Kürzeren.

Dass in einem Bereich, in dem es um die Versorgung von alten, zum Teil kranken oder sterbenden Menschen geht, der Begriff "Kopfgeld" angewendet werden kann, zeigt, wie schlimm die Situation um die Pflege in Deutschland bestellt ist: absolut prekär. Das macht Kontrollbesuche des MDK keinesfalls überflüssig. Es ist aber wichtig, sie differenziert zu betrachten: Die Bandbreite, in der sich MDK-Urteile in ein und derselben Einrichtung innerhalb kurzer Zeit bewegen können, ist enorm. Denn die Bewohnerzahl bei kurzfristigen Personalengpässen dementsprechend sofort zu reduzieren, geht nicht - wo sollten die Senioren denn auch hin? Am besten ist immer noch, einem Seniorenheim einen persönlichen Besuch abzustatten, sich mit dem Personal, vielleicht auch mit den Bewohnern zu unterhalten und sich so sein eigenes Bild zu verschaffen.

© SZ vom 24.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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