Klosterbauhof:Unerwartetes sichtbar machen

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Dank des Arkadien-Projekts: Die Projektion "Nachtfahrt/Helden" von Katarina Veldhues und Gottfried Schumacher wird zur nächtlichen Dauerattraktion im Ebersberger Klosterbauhof

Von Michaela Pelz

Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Und zuweilen auch ein gehöriges Maß an Flexibilität. Wer könnte das besser leisten als Kunstschaffende, deren tägliches Brot daraus besteht, aus dem, was sie vorfinden, etwas Neues zu kreieren? So hat der Ebersberger Kunstverein sein Arkadien-Festival nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich verlagert und, "dank der tollen Unterstützung des Landkreises und vor allem von Bürgermeister Proske", so Initiator Peter Kees, zahlreiche öffentliche Orte in die Aktionen einbezogen. Wie den Schlossplatz, an dem von diesem Samstagabend an mit "Nachtfahrt/Helden", von Katarina Veldhues und Gottfried Schumacher, "Projektionen aus dem Arkadien-Bus" stattfinden sollen. Eigentlich. Doch jetzt gibt es mit dem Fahrzeug technische Probleme.

Aber natürlich findet sich eine Lösung. Deswegen steht man nun neben Peter Kees im ansonsten menschenleeren Klosterbauhof vor den sperrangelweit geöffneten Türen des Kunstvereins. Innen schälen sich in der langsam hereinbrechenden Dunkelheit die immer deutlicher werdenden Konturen des rund drei Minuten langen Films auf der 8,40 mal 4 Meter großen Rückwand des Eingangsraums heraus. Die Kirchturmuhr von St. Sebastian schlägt neun Mal, und man hört noch ein paar letzte Vögel. Eine fast perfekte Geräuschkulisse für die vorbeigleitende Landschaft - denn das Video selbst hat keinen Ton.

Definitiv bis 11. Juni wird die Projektion "Nachtfahrt/Helden" von Katarina Veldhues und Gottfried Schumacher jeden Abend in der Galerie des Kunstvereins gezeigt. Sollte der Arkadien-Bus danach wieder zur Verfügung stehen, verlagert sich die Performance auf den Schlossplatz. (Foto: Christian Endt)

Der ist auch nicht nötig, die auf dem unebenen Mauerwerk wandernden Bilder sprechen für sich. Wie durch ein gigantisches Zielfernrohr schaut man aus einem mit 17 Stundenkilometer fahrenden Bus auf einen Teil der ehemaligen militärischen Verteidigungslinie Westwall. Man sieht Bunkeranlagen hinter Maschendrahtzäunen und Nadelbäume mit teils kahlen Ästen, während sich dank des "mitfahrenden" Hochleistungsprojektors inmitten der Vegetation die Gesichter mehrerer junger Männer ins Blickfeld schieben, fast noch Kinder mit ihren 17 bis 20 Jahren. Einer hat die Augen geschlossen, ein anderer richtet den stoischen Blick frontal auf die Betrachtenden, ein dritter ist seitlich eingefangen, während sich Stacheldraht und Astwerk wie eine Maske über sein Gesicht legen, das gleichzeitig jung und verletzlich ist, aber auch abgeklärt-resigniert.

"In der Beschreibung steht, dass es fiktive Soldaten sein sollen - aus Gründen sieht man das sofort. Das sind bestimmt historische Aufnahmen", sagt Andreas Mitterer, Chef des Kunstvereins, der sich dazugesellt hat. Wirklich? Ein Anruf beim Künstlerehepaar in der Eifel bringt Aufklärung: "Die Abgebildeten stammen aus der Großregion", die sich über Luxemburg, Deutschland, Belgien und Frankreich erstreckt. Im Krieg haben junge Männer aus dieser Gegend gegeneinander gekämpft und ihr Leben gelassen, erläutert Katarina Veldhues. Um alte Bilder handle es sich dennoch nicht. "Für unsere Kunst ist wichtig, dass wir jeden selbst fotografiert haben." Gefunden wurden die Models in Freizeitheimen und Schulen - "sie kamen nicht aus den Gymnasien; manche haben sicher eine Menge mehr erlebt als man selbst". Offenbar ist das mit ein Grund, warum man beim Betrachten - durchaus gewollt - Krieg und Leid assoziiert. Dazu sagt Veldhues, die ihre und Schumachers Arbeit als spartenüberschreitend sieht, weil sie Zeichnung, Malerei, und, etwa beim Abspielen der Filme auf schrundigem Untergrund, auch Bildhauerei beinhalte: "Projektion kann das Unvertraute und Unerwartete zeigen. Auch für uns selbst ist jedes Mal wieder überraschend, wie die uns wichtige Transparenz sowie die Kombination von Licht und Körpern zu radikaler Veränderung führt."

Während der "Nachtfahrt" begegnen dem Betrachter die Gesichter junger Männer, die im Krieg gegeneinander gekämpft haben sollen. (Foto: Christian Endt)

Wer herausfinden will, was das Video bei ihm oder ihr selbst auslöst, kann sich nach Einbruch der Dunkelheit in den Klosterbauhof begeben und durch die geschlossenen Türen in die Alte Brennerei spähen, wo der Clip in Dauerschleife laufen wird. "Wenn ich da bin, mache ich auch auf, dann sieht man es noch besser," sagt Kees, dem es ein Anliegen ist, Menschen mit dem, was er tut - oder anregt - zum Diskurs und zum Nachdenken zu bringen. Er werde dann gern auch für Gespräche zur Verfügung stehen, ergänzt der Aktionskünstler.

Definitiv bis 11. Juni wird der Film jeden Abend in der Galerie des Kunstvereins gezeigt. Sollte der Arkadien-Bus danach wieder zur Verfügung stehen, verlagert sich die Performance auf den Schlossplatz. Und falls es die Gesamtsituation im Juli erlaubt, möchte man Veldhues und Schumacher nach Ebersberg holen, damit sie ihre "Nachtfahrt" live durch den Forst durchführen können. Nach Arkadien streben, heißt eben auch: immer flexibel bleiben.

Das Programm des Arkadien-Festivals gibt es unter: http://www.kunstvereinebersberg.de/

© SZ vom 27.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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