Klettersport im Landkreis Ebersberg:Die richtige Linie zum Ziel

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Jugendliche im Landkreis klettern für das Naturerlebnis. Sie streben nach immer neuer Herausforderung

Von Sophie Rohrmeier

Der Markt Schwabener Kletterturm ist ein ehemaliges Klärwerk. Für den Umbau gewann die DAV-Sektion den Wettbewerb "Quantensprung 2020" des Bayerischen Landes-Sportverbands. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Die Finger der linken Hand krümmen sich und pressen sich gegen den Widerstand, den ihnen der Griff bietet. Der Arm ist gestreckt, der gespannte Oberkörper hält in genau ausgeloteter Balance das Körpergewicht parallel zum Überhang. Die Zehen drücken sich gegen einen kleinen Vorsprung. Der Halt ist stabil. Aber eine falsche Bewegung - und Christian Huber hätte ihn verloren. Der 17-jährige Poinger klettert gerade die schwerste Route in der Markt Schwabener Kletteranlage. Kräftige Muskeln und Adrenalin - das macht Klettern zum Trendsport. Auch im Landkreis haben die Kletteranlagen des Deutschen Alpenvereins (DAV) in Markt Schwaben und Grafing immer mehr Zulauf. Doch hier, im ländlichen Raum, wo der Alpinismus verankert ist, zieht nicht allein die Mode die Menschen an die Kletterwand.

"Wir machen's alle nur für draußen", sagt Christian Huber, der vor fünf Jahren das Klettern für sich entdeckt hat. Inzwischen ist er einer der Besten unter den jungen Kletterern in der Markt Schwabener DAV-Sektion. In deren nicht-kommerzieller Halle trainieren die Bergsteiger, Boulderer und Kletterer, um bei gutem Wetter an den Fels zu können. Der Verein will der Jugend die "Freude und Nähe zur Natur" vermitteln, sagt Vorstand Walter Kressirer. "Heute fahren viele auf Wettkämpfe ab, aber wir fahren mit den Jugendlichen lieber in die Berge." Alle drei Wochen haben sie hier die Möglichkeit, am Fels zu klettern. Das Ziel ist, "in der Natur den Weg zu suchen, nicht nur Plastik zu klettern", wie Kressirer sagt. Deshalb versuchen die Routenschrauber in Markt Schwaben, sich bei der Montage der Klettergriffe am Naturfels zu orientieren. Wie Sportkletterer und Boulderer Michael Niedermair, der in der Kletterhalle der DAV-Sektion Ebersberg-Grafing versuchte, die Route namens "Zwergentod" zu bauen.

Zwergentod nennt man es, wenn eine Stelle in der Wand für den Kletterer aufgrund seiner Körpergröße nicht überwindbar ist. Solche Argumente zählen aber für Niedermair nicht. Der 28-Jährige vertraut auf seine Kraft (siehe Interview). Er mag die "Plastikeierei" in der Halle zwar nicht - aber wenn er am Wochenende raus an den Felsen fährt, braucht er das Training. In der Grafinger Halle kann er sich gut vorbereiten, obwohl sie klein ist. "Ganz nach oben, bis es nicht mehr weiter geht" - so lautet die Antwort auf die Frage nach dem Weg zur Kletteranlage im Kiermeier-Gebäude am Bahnhof. Aus dem kleinen Obergeschoss haben die Grafinger das Maximum herausgeholt: Die Seilrouten strecken sich zehn Meter in die Höhe, etwa 15 Routen bis zum Grad 8+ gibt es hier - und etwa zehnmal so viele Boulderrouten. Als Extra gibt es einen kleinen Boulderraum, zu dem man, natürlich, klettern muss. Eine Leiter führt auf das winzige Plateau, wie auf ein Hochbett. Da passt es, dass da auch ein Sofa steht. Denn so hart die Grafinger auch klettern: "Abends ein Bier zusammen", das gehört für Niedermair auch zu seiner Kletterleidenschaft.

Heimelig ist es in der Grafinger Halle, in der auch Kinder trainieren. Und wie die Anlage, so sind auch die Mitarbeiter. Herzlich, aber unaufdringlich heißen sie willkommen, wer an die kleine Theke in der Anlage kommt. Und wer neu ist und Interesse zeigt, der bekommt Interesse zurück. Anders als in kommerziellen Hallen gibt es hier nicht "diesen Zwang, besonders gut auszuschauen", sagt Robert Hettesheimer, Jugendreferent und Sportkletter-Trainer. Zwar wachse die "Kletter-Community im Landkreis", sagt Niedermair, "aber die wenigsten sind voll dabei".

Was das wahre Klettern ist - darüber können sich Aktive trefflich streiten. Kressirer sagt, für Trad-Kletterer, die ohne Bohrhaken und nur mit eigener, mobiler Sicherung klettern - traditionell eben - "ist es ein Unterschied, ob ich fünf Meter glatte Wand hochklettere oder ob alle zwei Meter ein Haken hängt, wie beim Sportklettern". Die Jugendlichen hier üben zuerst in einem Gebiet mit Sicherungsmöglichkeiten. Erst wenn sich Talent zeigt, lernen sie, sich selbst zu sichern. Dafür trainieren sie in der Halle an schweren Routen. Die gelbe 9er-Route in der Schwabener Halle haben erst zwei Leute geschafft, einer davon ist Christian Huber. Sie ist technisch anspruchsvoll. "Und weil sie einen Überhang hat, fordert sie Ausdauer und Kraft", erklärt der 19-jährige Florian Kaiser, der in Kletterschuhen auf dem leicht federnden Boden steht.

Julia Kressirer indes zieht die kurzen Routen vor und deshalb das Bouldern: "Ich liebe das gemeinsame Austüfteln der Grifffolgen", sagt die 14-Jährige. Damit ist sie nicht allein, in Markt Schwaben klettern viele Mädchen. "Klettern war lange ein Männersport. Aber inzwischen ist es ausgeglichen", sagt Julia, die gerade auf der Treppe hinab in die runde Halle Pause macht. Plötzlich hallt ein Schrei durch den hohen Raum. Christian Huber hat sich nach oben gepusht. Seine Freunde stehen unten und jubeln. Das ist laut Kressirer typisch für die Vereinsarbeit. Auch unter den Grafingern herrscht dieser Gemeinschaftssinn. "Die 5 feuert den 9er an und der 9er die 5", sagt Hettesheimer. Dabei ist Klettern ein Risikosport, das wissen die Jungs und Mädchen, die in Markt Schwaben trainieren. Zum Beispiel kann der Sicherer Fehler machen. "Das darf eben nicht passieren", sagt Florian. "Aufpassen muss man immer." Ihm gefällt die psychische Herausforderung: "Du weißt, du musst dran bleiben." Und noch wichtiger: der Felsen. Florian genießt es, wenn er den ganzen Tag im Freien ist. "Man sucht sich eine schöne Linie in der Natur." Im Landkreis selbst aber gibt es kein Klettergebiet im Freien - offiziell. Der Grafinger Niedermair lacht. Nur "unter der Hand", für Insider, kursieren Felsen. Wegen des Naturschutzes. Dem Sport sind rechtliche Grenzen gesetzt - die körperlichen zu sprengen aber ist der Kern der Faszination. Genau das hält Kletterer Tobias Reiter für das, was man für das "echte Leben" mitnehme: das Probieren und das Durchsetzungsvermögen. "Im Endeffekt wird man nie fertig."

Infos: www.alpenverein-grafing.de und www.dav-marktschwaben.de.

© SZ vom 27.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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