Debatte in Ebersberg:Ein Pfarrer redet Klartext

Lesezeit: 3 min

Wohin steuert die katholische Kirche? Diese Frage diskutieren Dekan Josef Riedl und Gemeindemitglieder bei der Kolpingsfamilie. Die Prognose: Es sieht nicht gut aus

Von Merlin Wassermann, Ebersberg

Entfremdete Gläubige, Personalprobleme, Missbrauchsskandal: Stadtpfarrer und Dekan Josef Riedl äußert sich deutlich zu den aktuellen Themen in der katholischen Kirche. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Nach Sex, Drugs und Rock 'n' Roll klingt die Diskussion "Wohin steuert die Kirche" eigentlich nicht, und Pfarrer Josef Riedl sieht auch nicht unbedingt aus wie ein klassischer Rockstar. Trotzdem bekommt man, wenn man ihm zuhört, das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Mehr als einmal wird an diesem Abend der Satz fallen: "Das schreiben Sie jetzt bitte nicht in die Zeitung!", wenn Riedl eine spitze Bemerkung gegen die Kirchenpolitik oder gleich einen Papst etwas entschärfen möchte. Doch auch ohne revidierte Aussagen ist der Grundton der Veranstaltung unverhohlen kritisch, ja, man möchte fast von einer Endzeitstimmung sprechen. Wohin steuert also die katholische Kirche? Antwort: nach unten.

Riedl spricht von "U-Boot-Christen" und Hedonisten

Das liegt nicht nur an der zunehmenden Zahl von "U-Boot Christen", wie sie Riedl nennt, also derjenigen Gläubigen, für die Religiosität und Kirche wichtig ist - allerdings nur sehr sporadisch, à la eglise, sozusagen. Sie tauchten besonders in Krisensituationen auf, seien sie persönlicher oder gesellschaftlicher Natur, um zumindest ein Minimum an Trauerbewältigung und Sicherheit abzugreifen. "Gleichzeitig wollen sie erstklassigen Service", klagt Riedl. "Sich für die Kirche einsetzen will hingegen niemand." Insgesamt änderten sich nach Riedls Einschätzung die gesellschaftlichen Milieus stark und damit auch die Rolle von Kirche, Religion und Glaube. "Da muss man auf manche lieb gewonnene Gewohnheit noch mal drauf schauen", so Riedl, wolle die Kirche nicht gänzlich irrelevant werden. Neben submarinen Christen steige auch die Zahl derer im "hedonistischen" Milieu, wie es Riedl bezeichnet. "Die schauen darauf, was sie brauchen, dass es ihnen gut geht - da brauchen sie dann keine Kirche mehr." Die Kirche halte zu starr an alten Mustern fest, ohne sich dem gesellschaftlichen Wandel anzupassen, so der Tenor.

Auch die Zuhörerinnen und Zuhörer im Ebersberger Pfarrheim machen sich hierüber Sorgen. Wie man denn die Kinder auch über die Erstkommunion "bei der Stange halten" könne? "Schwierig", sagt Riedl. "Früher gab es nicht so viel zu tun, heute ist die Kirche neben Sport, Musikschule und Computerspielen nur eines von vielen Angeboten." Und dabei vielleicht auch nicht das attraktivste. Die Kirche könne also ihren Aufgaben nicht mehr so nachkommen wie früher? "Das wird noch viel schlimmer werden", antwortet Riedl düster.

Der Personalmangel wird sich bald stark bemerkbar machen

Dies hängt mit dem zweiten "hausgemachten" Problem der Kirche zusammen, der Personalpolitik. Riedl versteht es, an den richtigen Stellen zu pausieren, so auch nach diesem Satz: "In den nächsten fünfzehn Jahren werden wir bei uns dreißig Prozent der Seelsorger verlieren." Stille im Saal. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Viele Pastoral-, Gemeinde- und Personalreferenten, die in den 1970er Jahren zu arbeiten angefangen haben, werden in diesem Zeitraum in Rente gehen, die Kirche hat aber lange nur sehr wenige neue, junge Leute eingestellt. "Und jetzt konkurrieren wir zum Teil mit großen Unternehmen, wo die guten Leute hohe Positionen beziehen können. Das ist klar, dass da niemand auf der Warteliste versauern will."

Gleichzeitig gehen die Bewerbungen insgesamt zurück, auch auf die Priesterstellen. "Die neuen Priester in der Diözese gleichen nicht einmal die aus, die einfach aus dem Dienst ausscheiden, weil sie zum Beispiel heiraten wollen. Dazu kommen dann noch Todesfälle, Ruhestand, und so weiter." Dementsprechend werden alle Stellen in der Region Ebersberg bis 2030 stark reduziert werden. "Wir haben derzeit im Vergleich zu dem, was wir bis 2030 haben sollen, 200 Prozent Besetzung", so Riedl. Irgendwann platzt einem Gemeindemitglied der Kragen. "Die Kirche verhält sich wie der Chef eines Unternehmens, der Alkoholiker ist und es noch nicht gemerkt hat! So brauche ich die Kirche nicht, da reicht mir auch mein Wohnzimmer!" Riedl, in den Raum deutend, hält dagegen, aber nur ein bisschen: "Wir sind alle Kirche."

Für Riedl ist die Zeit der Volkskirche vorbei

Das Zölibat wird in der Runde kurz angesprochen, wieder durch eine Meldung aus dem Publikum: "Ich verstehe nicht, warum das der Kirche so wichtig ist, wenn wir so viele andere Probleme haben." Schulterzucken. Niemand scheint das hier zu verstehen. Mehr Raum wird dem Themenkomplex Missbrauch in der Kirche eingeräumt. Die Aufarbeitung sei an vielen Stellen unvollständig gewesen, man warte jetzt auf ein neues Gutachten für die Diözese, "mit Nennung von Verantwortlichen." Es soll in der dritten Januarwoche erscheinen. Die Missbrauchsthematik sei zudem in besonderer Weise für die Kirchenaustritte mitverantwortlich. "Selbst Menschen, die der Kirche sehr nahe stehen und ehrenamtlich für sie arbeiteten, treten wegen der Gesamtsituation aus", berichtet Riedl.

Schließlich macht auch die Corona-Pandemie der Kirche zu schaffen, sie kann ihre Stärke als Ort des sozialen Miteinanders nur noch begrenzt ausüben. Nimmt man alles zusammen, sieht Riedl zwei Wege für die Zukunft der Kirche: "Entweder, wir verschwinden einfach komplett. Oder, was man schon beobachten kann, es bilden sich kleine Zellen von Gläubigen, die jenseits der Kirche Christus ehren wollen." In jedem Fall müsse man sich von dem großen volkskirchlichen Gedanken verabschieden.

© SZ vom 06.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: