Kleinkunst:Plausch mit Mehrwert

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Emmanuel Peterfalvi alias "Alfons" präsentiert in einer Vorpremiere im Alten Kino Ebersberg sein neues Programm: Es erzählt Geschichten aus dem Paris der Siebzigerjahre

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Alfons zuzuhören ist wie ein Plausch mit der französischen Nachbarin. Mit viel "ö" im "en" und Betonung auf dem "rin", sowie dem sich einschleichenden Gefühl, am Ende des Gesprächs grundlegend, allumfassend und in großer Ausführlichkeit über alle Aktualitäten informiert worden zu sein. Zumindest über all jene, welche die Nachbarin gerade bewegen und ihr im Stile einer Assoziationskette über die Lippen sprudeln. Und vermutlich ähneln solche durchaus charmanten, aber schlecht in den eng getakteten Zeitplan passenden Begegnungen den Gesprächen mit einer x-beliebigen Pariser Concierge - um gleich mal ein deutsch-französisches Klischee zu bedienen. Wobei der Comedian Alfons, im Paris der ausgehenden Sechziger Jahre als Emmanuel Peterfalvi geboren, nicht ansteht, im Alten Kino selbst ein fast karikaturgleiches Bild jener Concierge zu zeichnen, die alles sieht, alles weiß und in jedem Pariskrimi die erste Anlaufstelle der ermittelnden Kommissare ist.

Zur Vorpremiere für sein neues Programm ist der französische Wahldeutsche von Hamburg nach Ebersberg gekommen, wie schon einmal vor zwei Jahren. Und offenbar hat es dem Mann mit der unvermeidlichen orangefarbenen Trainingsjacke damals gut gefallen bei Markus Bachmair, seinem Team - und dem Publikum im Alten Kino, weshalb er jetzt wieder da ist, um die Resonanz auf sein neuestes Werk zu testen. Das berühmte Puschelmikro hat er zu Hause gelassen, stattdessen hält er einen Packen handbeschriebener Zettel fest, auf denen sich ganz vortrefflich Vermerke für besonders laute Lacher des Publikums eintragen lassen. Vielleicht pflegt er diese Marotte - ebenso wie die orange Jacke mit den blauen Streifen, die viel zu weite kackfarbene Anzughose unter einem geschmacklosen Polohemd zu völlig deplatzierten Laufschuhen - häufiger; das Ebersberger Publikum aber fühlt sich einbezogen ins Bühnenprogramm. "Ihr habt mir vor zwei Jahren Glück gebracht", erklärt Alfons - und bekommt den erhofften Beifall aus dem ausverkauften Saal. Offenbar hatten die Ebersberger auch ihn in ihn guter Erinnerung.

Seit 1981 lebt Peterfalvi, der mit seinem tollpatschigen Reporter Alfons eine Kultfigur der deuschen Kabarettszene geschaffen hat, in Hamburg. In die Deutschen habe er sich verliebt, hat er einmal gesagt. Seit drei Jahren hat er auch einen deutschen Pass. Und doch kann er von seinen französischen Wurzeln nicht lassen. Wieso sollte er auch? Wäre Peterfalvi nicht Alfons und damit diese wunderbare Melange aus einem aufgebrachten Louis de Funès und einem lakonischen Claude Brasseur, würden die Geschichten aus seiner Kindheit, die er auch im neuen Programm erzählt, nicht in Paris spielen, sondern in einer beliebigen deutschen Großstadt, hätten sie nicht ein Fünftel ihres Charmes. Außerdem gäbe es darin keine Concierge, keine Neandertalerknochen im Hausflur, keinen Nichts-als-Bademanteltragenden Monsieur Fournier, kein Naturkundemuseum und wahrscheinlich auch weniger Baguette.

Hat Alfons sein Vorgängerprogramm der grand-mère gewidmet, seiner Großmutter, die dem KZ in Auschwitz nur knapp entkommen konnte, während sein Urgroßvater darin umkam, geht es diesmal um seinen Vater - zumindest den imaginären Vater seiner Kunstfigur. Wie der achtjährige Alfons, damals noch nicht mit Puschelmikrofon, sondern lediglich mit einem Anrufbeantworter bewaffnet, der auch ja jeden Anruf des von der Mutter getrennten Vaters aufzeichnen soll, sich durch das Paris der Siebzigerjahre schlägt, ist anrührend und komisch zugleich. Weniger als in seinen früheren Programmen spielt Alfons die Karte deutsch-französischer Missverständnisse - erntet für seinen latent ironischen Hinweis, dass die modische "Empathie" ursprünglich "Mitgefühl" hieß und somit eine deutsche Erfindung sei, auch nur ein ungläubiges Raunen. Er bleibt relativ eng an seiner Geschichte, knüpft in den ersten 70 Minuten, in denen er ohne Punkt und Komma erzählt, Fäden auf, die er nach der Pause zu einem versöhnlichen Ende führt. Ein bisschen ist es wie in einer französischen Tragikomödie, bei der die Bilder aber ausschließlich im Kopf der Zuschauer entstehen. Bilder von sämtlichen Autofahrern eines Viertels, die sich kreativ und lautstark um zwei freie Parkplätze streiten, von einer reichlich skurrilen Hausgemeinschaft, die stundenlang über die richtige Farbe für das Treppenhaus debattiert - und von der Concierge natürlich, die um die Nöte eines kleinen Jungen weiß, und beinahe vom bedrohlichen Modernismus des Programms "Concierge 2000" abgeschafft wird.

Peterfalvis neues Programm - soweit er es nicht verändert - weist von einer vielleicht manchmal verklärten Vergangenheit hinaus in eine Zukunft, die von Typen wie Trump, von der Schwierigkeit, in Zeiten der Gendergerechtigkeit das Richtige zu sagen, von Umwelt- und sonstigen Gefahren geprägt ist, aber auch von der Hoffnung, dass "der Mensch irgendwann endlich menschlich wird". Und so hat der Plausch mit dem französischen Nachbarn mehr als nur Unterhaltungswert. Er bekommt Ziel und Richtung. Ganz folgerichtig geht das Ebersberger Publikum auch die ganze Strecke gerne mit und kommt zuletzt "an einen Ort, wo es warm und trocken ist", und wo einer "ganz viele Leute zusammen getrommelt und ihnen eine Geschichte erzählt" hat.

© SZ vom 03.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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