Kunst im Landkreis:Ebersberger Jugendkulturpreis: Kleine Finger in großen Wunden

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Beim Ebersberger Jugendkulturpreis sparen die Nachwuchskünstler nicht mit Gesellschaftskritik. (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Beim landkreisweiten Jugendkulturpreis geht es diesmal um Dinge, die eigentlich keiner braucht. Ausstellung und Preisverleihung finden erstmals im digitalen Raum statt.

Von Anja Blum, Ebersberg

Spätestens, seitdem die Jugend unter dem Motto "Fridays for Future" regelmäßig demonstriert, ist klar, dass große Teile dieser Generation politisch sehr engagiert sind und ein Umdenken einfordern. Anschaulich macht diese Entwicklung auch der Jugendkulturpreis im Landkreis Ebersberg: Seit einigen Jahren werden beim Kreisjugendring zunehmend Werke eingereicht, die den Finger in die Wunden der Menschheit legen, die Probleme benennen und manchmal sogar Lösungen aufzeigen. Die Botschaft lautet: Lasst uns gemeinsam die Welt ein Stückchen besser machen - egal, ob das Wettbewerbsthema "Vorsicht, zerbrechlich" heißt, "Schöne neue Welt" oder "Wachsen".

Diesmal hat die Jury den Kindern und Jugendlichen im Landkreis eine Frage gestellt: "Wer braucht das alles?" - eine Steilvorlage also für Konsumkritiker, Umweltschützer sowie Pazifisten. Die Ergebnisse sind ab Freitag, 2. April, per Online-Galerie zu bestaunen. 48 Arbeiten wurden eingereicht, das bestimmende Thema ist die Vermüllung der Erde. Es geht viel um Plastik und um Tiere, die daran und darin verenden, aber auch um überquellende Kinder- oder Badezimmer. Nur das Nötigste zu kaufen, damit sollte das Umdenken in den Augen der Kinder anfangen. Doch auch andere Felder werden beackert, gerade in der höheren Altersklasse - am Wettbewerb teilnehmen kann man bis 21 Jahre - haben sich die jungen Künstlerinnen und Künstler diffizileren Themen wie Rassismus, Krieg, Ängsten oder Sexismus gewidmet. Ja, es gibt vieles, das wir eigentlich nicht brauchen, brauchen sollten. Die Pandemie allerdings kommt erstaunlicherweise nur am Rande vor.

Im Studio an der Rampe in Ebersberg ist die Ausstellung für den Jugendkulturpreis 2020 des Kreisjugendrings bereits aufgebaut. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Inhalte sind also eher politisch, die Umsetzungen hingegen sehr kreativ, wie es sich für einen Kulturwettbewerb eben gehört. Die Kinder und Jugendlichen haben gezeichnet, gemalt, getextet, getöpfert, gebastelt und gefilmt. Es gibt eine Skulptur aus Zeitungspapier, ein Gemälde auf Spiegel, einen Corona-Rap und ein Lego-Technik-Video. Manche der Arbeiten sind auch interaktiv. Die Unter-Wasser-Collage der zwölfjährigen Emilia Rölle erlaubt es zum Beispiel, eine kleine Plastikflasche hin und her zu bewegen - so dass sie im Bauch eines Walfischs landet. Und eine Keramikschildkröte von Valentina Link, ebenfalls zwölf Jahre jung, muss man erst umdrehen, um den Müll in ihrem Bauch zu entdecken. Etwas auf den Magen schlagen kann einem auch das Objekt von Hannah Chevalier: Die Zwölfjährige hat eine Waage gebastelt, die der Betrachter je nach Belieben befüllen kann - mit einem Mensch, einem Müllberg, einem Hasen oder einer Feder. Was wiegt wohl mehr?

Timo Donaubauer und Julian Müller, 15 und 16 Jahre alt, lassen in ihrem Comic ein Pferd fernsehen - und sich dabei wundern über den ganzen Irrsinn da draußen. Die 19-jährige Alessia Toschi wiederum nimmt in ihrer Geschichte die ungewöhnliche Perspektive einer Zimmerpflanze ein, um die Welt der Menschen zu sezieren. Ein bemerkenswerter Text, der unter die Haut geht. Sehr zynisch kommt dagegen die Zeichnung von Tuana Özkul daher: Die 16-Jährige zeigt auf einer grauen, kalten Skyline allerhand absurde Reklame: "Sympathisch, clever, gut: Homophobie". Oder: "Wettrüsten! 60 Prozent Rabatt". Schade nur, dass lediglich im Din-A-4-Format gearbeitet wurde, so bleibt dem Werk die ganz große Wirkung versagt. Ebenfalls kleinformatig sind die Zeichnungen eines Kunstkurses am Gymnasium Kirchseeon, doch dank ihrer Masse, es sind 15 Blätter, entsteht ein durchaus ansprechender Gesamteindruck: Die 16- und 17-jährigen Schüler haben Porträts im Stile alter Meister geschaffen - ihnen allerdings moderne Attribute hinzugefügt. Rembrandt, Vermeer und Dürer treffen hier auf falsche Wimpern, Strohhalm oder AfD-Brille. Auch Themen wie Schönheits-OPs, Markenklamotten oder Krieg passen - freilich gewollt - so gar nicht ins Bild.

Die Kinder und Jugendlichen haben gezeichnet, gemalt, getextet, getöpfert, gebastelt und gefilmt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Einen historischen Bezug weist auch das Objekt von Franziska Winkler auf: In einer großen alten Mappe liegt eine Zeitungs-Collage, das Papier stammt aus dem Jahr 1927. Der 15-jährigen Künstlerin geht es dabei um "schlechte Nachrichten" - heute wie damals weit verbreitet, wie die Arbeit zeigt. Doch hier sind die Artikel teils überklebt mit feinen Ölmalereien: eine Frau, eine Rose, ein Schmetterling. "Ich denke, dass die Kunst ein Ausweg aus dem ernsten Alltag ist", schreibt Franziska Winkler. Mit dem komplexen, problembehafteten menschlichen Innenleben setzt sich auch Anastasia Mitschke auseinander: Die 17-Jährige hat ein verstörendes, dunkles Bild eingereicht, eine wilde Komposition aus Menschen in Nöten, Tieren, Händen. Umrahmt wird das Bild von Worten wie "einsam, hilflos, krank, Versagen oder Ablehnung". Puh.

Nachdenklich macht auch der detailreiche Objektkasten von Roqia und Yasir Golmani, zehn und acht Jahre alt. Denn die afghanischen Geschwister lassen hier tief in ihre Seelen blicken, breiten aus, was sie lieben und was sie verabscheuen. Größer könnten die Gegensätze kaum sein: Krieg und Flucht - Sicherheit, ein Zuhause und ein Ort zum Lernen. Apropos: Die Montessorischule Niederseeon hat ebenfalls eine Arbeit eingereicht, ein großes Objekt zum Thema Plastikmüll. Eine Insel aus Abfällen haben die Schülerinnen und Schüler gestaltet, aus der Mitte ragt ein Taucher, eine Schaufensterpuppe mit Maske im Gesicht, Haube auf dem Kopf, Tüten und Kabelbindern an den Armen. "Irgendwann werden wir in unserem Müll ertrinken", scheint dieses Mahnmal sagen zu wollen. Am Rand prangen Schilder mit besorgniserregenden Daten: Eine Dose braucht 200 Jahre, bis sie sich aufgelöst hat, eine Windel 450 und Alufolie 700 Jahre.

Das Thema der Arbeiten in diesem Jahr lautet: "Wer braucht das Alles?". (Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Die Jury war von der Nachdenklichkeit, Emotionalität, spielerischen Leichtigkeit, der Professionalität und Freude am Gestalten wieder sehr beeindruckt", heißt es auf der Homepage, die den Jugendkulturpreis nun präsentiert. Denn leider war es dem Kreisjugendring als Veranstalter diesmal wegen der Pandemie nicht möglich, die Ausstellung gemeinsam mit allen jungen Künstlern, ihren Familien und Freunden zu eröffnen. "Wir hätten euch so gerne persönlich gratuliert, hätten gerne mit euch zusammen gelacht und euch gefeiert", schreibt die Jury, die diesmal aus Barbara Lux vom Alten Kino, SZ-Fotograf Peter Hinz-Rosin, Janis Michal vom Kreisjugendring und Luci Ott vom Kunstverein Ebersberg besteht. Und: "Wir hoffen, dass es uns gelungen ist, euren eindrucksvollen Arbeiten auch mit einer Online-Ausstellung einen gebührenden Rahmen zu verschaffen."

Das heißt: Im Studio an der Rampe, der Galerie des Kunstvereins über dem Klosterbauhof, wurde eine Ausstellung mit allen eingereichten Arbeiten aufgebaut, anschließend fotografiert und gefilmt. Nun kann man also in einer Online-Galerie alle Bilder, Objekte und Videos bestaunen. Von einigen Einreichungen gibt es sogar mehrere Bilder in der Galerie - Details, die man dem Publikum nicht vorenthalten wollte, die sich erst beim genauen Hinsehen und Anfassen offenbaren, sowie Begleittexte. Außerdem gibt es einen von Luci Ott moderierten Rundgang durch die Ausstellung.

Zu besichtigen sind die Werke wegen Corona ausschließlich per virtuellem Rundgang . (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Und wer dabei ein Lieblingswerk entdeckt, darf das sehr gerne kund tun: Alle Ausstellungsbesucher sollen auch dieses Mal für einen Publikumspreis abstimmen (bis zum 11. April möglich). Das Ergebnis wird dann zusammen mit den Auszeichnungen durch die Jury bei einer digitalen Preisverleihung am Freitag, 23. April, um 18 Uhr bekannt gegeben. Ansonsten heißt es für die Kinder und Jugendlichen im Landkreis, weiter durchzuhalten. Wie singen Amelie Sieben und Pauline Bastian, beide zwölf Jahre alt, in ihrem Corona-Rap? "Alle zwei Wochen hoffen wir neu, doch dann heißt es nein, es muss wohl so sein. Ich bin daheim, mit dem Handy allein, Lock down, down, down".

Unter https://www.kjr-ebe.de/veranstaltungen/jugendkulturpreis-2020/ gibt es alle Informationen, den Link zur Galerie, den virtuellen Ausstellungsrundgang sowie die Preisverleihung.

© SZ vom 01.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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