Interview:Rebell aus Versehen

Lesezeit: 4 min

Regisseur Christian Stückl ist Schirmherr der Theatertage am Vaterstettener Gymnasium. (Foto: Gabriela Neeb/oh)

Christian Stückl ist Schirmherr der Theatertage bayerischer Gymnasien, die heuer erstmals in Vaterstetten stattfinden. Der 57-Jährige, urbayerisch und urban, plädiert für eine Kunst ohne Schranken im Kopf

Von Victor Sattler

Da hat sich Vaterstetten wen eingeladen: Christian Stückl, Intendant des Münchner Volkstheaters, ist seinerzeit vom Gymnasium geflogen, weil er lieber Kostüme nähte, als im Unterricht zu sitzen. Aber das ist nicht alles, was die Schulgruppen, die im nächsten Sommer zu den 63. Theatertagen bayerischer Gymnasien anreisen werden, von ihm lernen können. In welchem Maße Schirmherr Stückl bei den Veranstaltungen präsent sein wird, ist allerdings aufgrund seiner vielen Verpflichtungen noch ungewiss.

Herr Stückl, Sie haben eine Ausbildung zum Bildhauer gemacht, wurden aber mit 17 in Ihrer ländlichen Theatergruppe von dem Journalisten Erich Kuby entdeckt. Haben Jugendliche heute bessere Chancen als 1978, "entdeckt" zu werden?

Christian Stückl: Nein. (lacht) Einfach nein! Klar, es gibt immer noch welche, die irgendwann so infiziert sind vom Theater, dass sie sich dann durchsetzen. Aber ich wollte damals gar nicht Bildhauer werden. Ich hab' mir schlicht gedacht, für's Theater sei Bildhauer genau der richtige Beruf, das wäre irgendwie kompatibel - da befasst man sich mal künstlerisch und kann sich dann weiterbilden. Heute hingegen müssen fast alle Theaterleute durch Schulen gehen, müssen dieses und jenes gemacht haben. Es ist sicher nicht leichter geworden, aber immer noch gilt: Man bekommt nur Chancen, wenn man schon Theater macht.

Zeit wird's, dem Nachwuchs eine Chance zu geben: Im Juli kommen die Theatertage bayerischer Gymnasien erstmals ans Humboldt-Gymnasium Vaterstetten. Werden da Ensembles eingeladen, die begnadet schauspielern, oder auch solche Schüler, die in den Inszenierungen kreativ mitbestimmten?

Was mich fesselt ist, wenn es wirklich aus den Schülern kommt und kein Lehrer den Jugendlichen ein Konzept aufdrückt. Schul-Theatertage sind dann spannend, wenn man verschiedene Sichtweisen kriegt, wenn verschiedene Leute unterwegs sind und Ansätze diskutiert werden. Es gibt ja so viele Möglichkeiten. Wir machen hier am Münchner Volkstheater zum Beispiel jedes Jahr mit 14 Schulen einen "Tag der Quellen", an dem aus Kinder-Tagebüchern aus dem Dritten Reich gelesen wird. Da kommen auf der einen Seite brave Gymnasiastinnen, die alle im schwarzen Kleidchen auftauchen und wahnsinnig gut vorbereitet sind, mit eigener Lichttechnik. Aber dazu eben auch Kinder von der Mittelschule, mit einer viel höheren Durchmischung, die eine Verfolgungsgeschichte oder Ausgrenzung selbst erlebt haben und ganz anders auf diese Texte draufschauen. Das gelingt an den Hauptschulen öfters als an den Gymnasien. Es wär' also mal spannend, die unterschiedlichen Schultypen zu sowas einzuladen.

Welcher ist der Moment, in dem Sie auf Ihrem Stuhl ganz nach vorn an die Kante rutschen?

Es gibt meiner Erfahrung nach Schüler, die sich mit der Schule harttun, aber plötzlich im Theater einen Raum finden, wo sie aufgehen und sich entfalten können. Da kann auch ein Jedermann, der noch mit der Zunge lispelt, daherkommen: Solang er mit Empathie, Lust und Laune spielt, bist du voll dabei, als Zuschauer.

Seit 1990 bringen Sie in Ihrer Heimat alle zehn Jahre ein christliches Stück auf die Bühne: Oberammergaus weltberühmte Passionsspiele über Tod und Auferstehung Jesu - nichts für den Jedermann. Wer ist beim Casting leichter zu kränken: Ihre Oberammergauer oder ein Haufen Zehntklässler?

Natürlich gibt's in Schulen genauso wie bei mir draußen die Enttäuschten. Aber selbst die Jugendlichen haben schon ein klares Gespür dafür, wenn man jemanden neben sie stellt, der richtig gut ist. Man muss ihnen bloß, und das ist die Kunst des Regisseurs oder Lehrers, einigermaßen vermitteln, dass man das Richtige für sie ausgesucht hat.

Vergangenes Jahr haben Sie zwei Hauptrollen der Passionsspiele mit Muslimen besetzt und wurden dafür von der Presse zum "Provokateur" geschlagen. Der erste evangelische Darsteller 1990 ging ebenfalls auf Ihre Kappe. Was bekäme derweil ein Schultheater wohl zu hören, das Schüler nach Religionen siebt?

Das wäre, Gott sei Dank, undenkbar. Ich habe ja noch nie auf jemandes Religion geachtet. Aber in Oberammergau kenne ich leider nur die Jugendlichen, die man im Gemeindeleben antrifft. Ich saß frustriert in einem Café, als ich einen Bua hinter mir reden gehört hab' und sofort fasziniert war, wie gut seine Stimme ist: Cengiz Görür ist grade 18 geworden und hat die drittgrößte Rolle im Passionsspiel, den Judas, gekriegt. Es gab bei uns davor genaue Regeln für die Besetzung, die Religionszugehörigkeit war eine davon. Das bedeutet, der gesamte Gemeinderat saß also da und hat sich gesagt: "Was machen wir jetzt? Der ist Moslem, aber er ist saugut." (lacht schallend) Letztlich haben sie's gefressen. Als das die Runde machte, kamen mit einem Mal neun Jungs mit ausländischen Wurzeln zum Vorsprechen, die sich davor niemals getraut hätten, mich nur auf der Straße anzusprechen.

Es scheint, Sie vereinen bayerische "Leitkultur" und Progressive in Ihrer Person. Welches dieser beiden Lager hat mehr Spaß am Provozieren?

Die Leute, die ständig versuchen, Zeichen der Abgrenzung zu setzen. Das ist die Provokation. Ich glaub', die haben ein schlechtes Selbstbewusstsein. Mir nimmt meine Religion nämlich niemand weg, auch kein Muslim. Ich hab' meine in mir. Ich kann es einfach dem Markus Söder nicht glauben, dass er jetzt auf einmal so katholisch ist, dass er überall ein Kreuzl bräuchte. (lacht)

An Herrn Söder übte auch die Demonstration "Ausgehetzt" Kritik, zu der Sie und Ihr Haus im Sommer neben anderen Kulturstätten aufriefen.

Das war eine ganz logische Aktion. Hab' ich mir einmal durchgelesen - und klar machen wir da mit. Dann wurde mir von CSU-Stadtpolitikern wie Josef Schmid plötzlich vorgeworfen, "Du bist doch eine neutrale Institution der Stadt München!", weil ich nicht bloß als Privatperson, sondern als Volkstheater unterzeichnet habe. Aber nix da, wir sind weder die Polizei noch Richter, sind auch keine Lehrer, für die das Neutralitätsgebot vielleicht grad' noch gelten mag. Nein, wir verstehen uns hier so ähnlich wie die Presse: Wir haben Meinungsfreiheit und sind genau dafür da, diese kundzutun. Die CSU hat damals jeglichen Angriff auf sie als linksradikal abgetan, weil sie so nervös war.

Bei aller Freiheit - gibt es Meinungen, die weder auf eine Schul- noch Volksbühne dürften?

Auf der Bühne darfst du immer alles sagen. Es muss sich nur einordnen lassen, für die, die unten sitzen. Die Bühne hat noch nie beschrieben, wie gut die Welt, sondern wie schwierig der Mensch ist, mit all seinen komplizierten Umgängen; es ist eine Forschungsanstalt am Menschen. Verkehrt wäre dabei eine Bühne, die zur Propaganda wird. Eine rechte täte ich total verabscheuen, eine linke braucht es auch nicht.

© SZ vom 19.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: