Hilfe in Not:Der Bedarf lässt nicht nach

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Ansprechpartner in schweren Zeiten: Geschäftsführerin Angela Rupp (von links) sowie Hanna Dott und Birgit Dimotsios setzen sich für Frauen in Not ein - ob telefonisch oder im persönlichen Gespräch. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Seit 30 Jahren setzt sich der Verein "Frauen helfen Frauen" für Frauen und Mädchen ein. Das Thema Prävention soll künftig vermehrt im Fokus stehen

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Ist Luisa hier? Noch nicht ganz, aber die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. In zahlreichen Landkreisen deutschlandweit ist Luisa schon da, zum Beispiel in Freising und Landshut, und bald nun auch in Ebersberg. Nein, hinter diesem Namen verbirgt sich keine Frau aus Fleisch und Blut. Luisa, oder genauer gesagt die Frage "Ist Luisa hier?" bezeichnet ein Angebot für Frauen, die im Nachtleben Hilfe in einer unangenehmen Situation suchen. Ins Leben gerufen hat das Präventionsprojekt der Frauennotruf in Münster, im Kreis Ebersberg setzt es der Verein "Frauen helfen Frauen in Ebersberg" um. Geschäftsführerin Angela Rupp freut sich, dass der Verein genau 30 Jahre nach seiner Gründung im Jahr 1989 genügend personelle und finanzielle Kapazitäten besitzt, um solch ein Projekt zu stemmen - denn der Bedarf an Hilfsangeboten für Mädchen und Frauen sei da. "Vor allem bei der Prävention ist noch viel Luft nach oben!"

Seit knapp einem Jahr leitet die 57-Jährige den Ebersberger Verein. Die 29 Jahre zuvor gab es keine offizielle Geschäftsführung. "Der Vorstand hat irgendwann gesehen, dass die Anforderungen an den Verein und seine vielfältigen Arbeiten nicht mehr ehrenamtlich ohne eigene geschäftsführende Stelle zu bewältigen sind", sagt Rupp. Schließlich beschloss im Frühjahr 2018 der Kreistag - der größte Geldgeber des Vereins, daneben finanziert er sich auch durch die Regierung von Oberbayern und Spenden -, eine Stelle mit 30 Stunden für geschäftsführende Aufgaben und Frauenberatung zu finanzieren. Auf dieser Position sitzt nun Rupp.

"Vor 30 Jahren gab es überhaupt keine hauptamtlichen Mitarbeiterinnen", sagt Rupp, die zuletzt das Frauenhaus in Erding leitete, als dessen Träger noch der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) war. Erst zwei Jahre nach Vereinsgründung, 1991, waren finanzielle Mittel für zwei Festanstellungen gesichert. Ein Gros der Arbeit lag dennoch in den Händen von Ehrenamtlichen, auch heute noch. Neben Rupp arbeiten im Verein aktuell zwei hauptamtliche Mitarbeiterinnen in Teilzeit, aber es sind weit mehr Frauen, die den Verein unentgeltlich unterstützen - nämlich acht.

Von dem Ausbau der Festanstellungen abgesehen haben sich in 30 Jahren Vereinsgeschichte auch die Aufgaben verändert. Zu Beginn gab es noch fünf Arbeitsgruppen: einmal ein Literaturkreis, der zweite Zirkel war ein regelmäßiger Frauentreffpunkt, das "Frauen-Café". Eine weitere Gruppe hieß "Frauen und Frieden", eine andere beschäftigte sich mit dem Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches, dem "Abtreibungsparagrafen". Und zuletzt riefen die Gründungsfrauen den Arbeitskreis "Notruf für vergewaltigte, sexuell missbrauchte und misshandelte Frauen, Mädchen und Jungen" ins Leben.

Mit den Jahren sind die verschiedenen Arbeitsgruppen weggebrochen, es waren einfach zu wenig Kapazitäten für zu viel Arbeit da. Nur der Notruf ist geblieben, wenn auch mit verändertem Namen. "Der ursprüngliche ist nicht ansprechend", sagt Rupp. Beratungsangebote sollten besser positiv formuliert sein. Jetzt heißt es "Frauennotruf Ebersberg". Ganz simpel, mehr braucht es nicht. Mittlerweile stellt der Notruf die größte Säule der Vereinsarbeit dar.

Auch wenn sich der Name des Notrufs verändert hat - die Frauen und Mädchen, die sich an ihn wenden, sind gleich geblieben: "Alle!" Ein schlichtes und zugleich imposantes Urteil, das Rupp fällt. "Gewalt, egal ob sie psychisch oder physisch ist, gibt es in allen sozialen Schichten, in allen Kulturen, und in allen Altersgruppen." Das Stereotyp des biertrinkenden Arbeiters im fleckigen Unterhemd, dem gerne mal die Hand gegenüber seiner Ehefrau ausrutscht, habe auf gar keinen Fall etwas mit der Realität zu tun, betont die Sozialpädagogin. Dass sehr viele Gewaltvergehen gegen Frauen von Partnern oder Ex-Partnern ausgehen, das jedoch stimmt. Weil solche Fälle so häufig vorkommen, ist neben dem Frauennotruf auch die Fachberatungsstelle bei häuslicher uns sexualisierter Gewalt beim Verein angesiedelt.

"Die Betroffenen sind vor allem in einem solch reichen Landkreis wie Ebersberg häufig Frauen, die ein eigenes Einkommen und Besitz haben", sagt Rupp. "Theoretisch könnten die meisten von ihnen auch unabhängig sein und sich vom gewalttätigen Partner trennen - genügend Geld hätten sie." Das Problem: Häusliche Gewalt fange in den meisten Fällen bei psychischer Gewalt an, erklärt Rupp. Und die werde als solche oft gar nicht wahrgenommen. Fatal sei, dass sich daran aber in vielen Fällen ein schleichender Prozess entspinne: von der Beleidigung hin zu körperlicher und sexualisierter Gewalt, und das in Verbindung damit, dass die Frauen ihr Selbstwertgefühl und ihre Selbstachtung verlieren. Man könnte auch sagen: Alles dreht sich um Macht und Kontrolle, das kehrt Rupp immer wieder hervor.

Typischerweise sieht das laut Rupp folgendermaßen aus: Das kannst du nicht! Du bist zu blöd dazu! Du taugst nichts! Damit beginnt oft der Leidensweg der Frauen, denen die 57-Jährige in der Beratung begegnet. Dann kommt die Kontrolle: Kilometerstand, Handy, Chatverläufe, Kontobewegungen. Einblick in die Finanzen der Familie haben die Frauen oft keine, selbst dann nicht, wenn sie selbst arbeiten. Es geht weiter mit Drohungen: Kindesentzug, sollte sich die Frau trennen. "Wenn man das den Betroffenen hundert Mal erzählt, dann glauben sie das irgendwann auch", sagt Rupp. Oder Morddrohungen. Ganz am Ende stehen körperliche Misshandlungen und sexualisierte Gewalt. "Dass einem die Hand aus Versehen auskommt, ein Ausrutscher, so etwas gibt's nicht!" Das betont die Sozialpädagogin vehement. Stattdessen spricht sie von einer Gewaltspirale: Die Abstände zwischen den Vorfällen werden mit der Zeit kürzer, die Gewalt intensiver.

In diesem Jahr haben sich bisher 92 Menschen ratsuchend an den Verein gewandt. Überwiegend seien das Frauen gewesen, aber auch ein paar Männer und ein Kind, so Rupp. 180 Mal gab es telefonische Beratungen und 137 persönliche Gespräche oder Kontakte, wie zum Beispiel die Begleitung bei einem Behördengang. "Wenn das so weiter geht, werden wir heuer mehr Beratungen haben als im vergangenen Jahr", sagt Rupp. Ob die Betroffenen anrufen oder persönlich vorbeikommen, macht zeitlich keinen Unterschied. "Ein Telefonat dauert in der Regel auch gerne eine Stunde", so die Sozialpädagogin. Was aber anders ist: Die Betroffenen hätten am Telefon das Gefühl, das Gespräch leichter abbrechen zu können, wenn es ihnen zu viel wird. "Und das ist völlig legitim!"

Für Rupp lautet der Schlüssel für die Arbeit des Vereins Prävention. "Wir wollen nicht nur an den Symptomen arbeiten, sondern die Gesellschaft auch so verändern, dass solche Fälle gar nicht erst passieren." Zu präventiven Maßnahmen zählt etwa der Selbstbehauptungskurs für Mädchen, den der Verein regelmäßig organisiert. Ein Pendant gibt es übrigens auch für Buben. Die Kleinen lernen dort, dass sie auch "Nein!" sagen dürfen.

Den Präventionsfaktor möchte Rupp künftig noch mehr in den Fokus rücken. Deshalb kommt nun auch Luisa. Mit der Frage "Ist Luisa hier?" oder der Aussage "Luisa ist hier!" können sich Frauen in teilnehmenden Bars, Kneipen und Clubs an das Personal wenden und bekommen dort unmittelbar und diskret Hilfe. Diese kann recht unterschiedlich aussehen: eine Begleitung zum geparkten Auto, oder die Möglichkeit für eine Auszeit vom Feiern hinter der Bar, bis hin zum Verständigen der Polizei. Es kommt auf den Fall an. Das Personal ist geschult und auf verschiedene Szenarien vorbereitet. Im Kreis Ebersberg wird bislang ein Festivalveranstalter in Kooperation mit dem Verein seinen Angestellten die Schulung ermöglichen. Ein Plakat in den Gastroräumen weist die Besucherinnen auf die Kampagne hin. Jetzt wünscht sich Rupp nur noch, dass viele weitere Gastrobetreiber und Veranstalter in der Region an dem Luisa-Projekt teilnehmen.

Betroffene erreichen den Frauennotruf von Montag bis Freitag von 9 bis 14 Uhr unter (08092) 88110 oder per E-Mail an info@frauennotruf.de. Termine zu anderen Uhrzeiten oder zum persönlichen Gespräch können individuell vereinbart werden.

© SZ vom 24.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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