Flüchtlingshilfe:"Wir machen die Knochenarbeit"

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Giulia Hillebrand, 29, leitet seit August den Zornedinger Helferkreis. Sie klagt, dass die eigentliche Integrationsarbeit zu kurz kommt - und fordert statt Beschwichtigungsparolen mehr Mut vom Landratsamt.

Von Viktoria Spinrad, Zorneding

Drei Jahre sind vergangen, seit in Zorneding die erste von zwei Container-Unterkünften für Flüchtlinge aufgestellt wurde. Vor allem in der zweiten Unterkunft in Pöring beunruhigten einzelne Flüchtlinge mit Alkohol, Randale und Bedrohungen die Anwohner, mittlerweile ist es ruhiger geworden im Dorf. Doch die Ruhe trügt: Denn im Hintergrund versucht der massiv geschrumpfte Helferkreis, die Flüchtlinge zu integrieren - und hat das Gefühl, dass ihn zunehmend Steine in den Weg gelegt werden.

Anlass für einen Anruf bei der neuen Leiterin des Helferkreises, Giulia Hillebrand. Die 29-jährige Jurastudentin berichtet von der Stimmung in den Containern, erzählt, warum echte Integrationsarbeit mittlerweile unmöglich ist - und gibt ihre Einschätzung dazu, wie der Landkreis das alles langfristig schaffen kann.

SZ: Frau Hillebrand, wie ist die Stimmung in den Containern?

Giulia Hillebrand: Auf der Zornedinger Seite läuft es relativ gut. Die meisten Bewohner kommen aus Eritrea, sind mittlerweile anerkannt, haben ihren Alltag. In Pöring hingegen sind die meisten Bewohner völlig frustriert. Viele von ihnen sind bereits abgelehnte Flüchtlinge oder solche ohne Bleibeperspektive und damit ohne Zugang zu Bildung, zu Sprachkursen, zu Arbeit. Das Konfliktpotenzial ist enorm, zumal hier viele verschiedene Nationen untergebracht sind - und viele der Bewohner traumatisiert sind.

Der Zornedinger Container wurde 2015 eröffnet, der Pöringer Asyl-Container 2017. Spielt auch das eine Rolle?

Auf jeden Fall. Als die sogenannte Flüchtlingswelle 2015 kam, war die Willkommenskultur zu spüren. Alle wollten Helfer sein - in der Hochphase bestand unser Helferkreis aus 100 Leuten. Dass die Flüchtlinge persönlichen Betreuer hatten, hat ihnen gut getan, viele von ihnen sind heute auf einem guten Weg. Als aber zwei Jahre später die Pöringer Containerunterkunft aufgestellt wurde, war die Grundstimmung gekippt. Da hieß es: "Wir wollen euch nicht."

Giulia Hillebrand ist in den Endzügen ihres Jurastudiums - und seit kurzem Vorsitzende des Helferkreises. (Foto: Privat)

Mittlerweile ist der Helferkreis auf etwa 20 Menschen geschrumpft. Wie hat das Ihre Arbeit verändert?

Wir operieren mittlerweile wie ein Dienstleistungsbüro, können nur noch das Nötigste machen, um die Flüchtlinge halbwegs in der Spur zu halten: uns um An- und Abmeldungen beim Jobcenter kümmern, Ratenzahlungen für die Container-Mieten vereinbaren, bei aufenthaltsrechtlichen Fragen helfen. Eine ganzheitliche Arbeit mit gemeinsamen Ausflügen oder Kaffeekränzchen mit den Nachbarn - also die eigentliche Integrationsarbeit - ist mittlerweile utopisch geworden.

Warum sind so viele Helfer auf Abstand gegangen?

Ein Großteil ist emotional und kräftemäßig am Ende gewesen. Viele haben auch nicht mehr eingesehen, wieso Ehrenamtler Aufgaben des Staats übernehmen sollen.

Wie sehen Sie das?

Ich kann schon verstehen, wenn jemand sagt: Das ist mir zuviel. Am Ende ist es aber eine Frage der eigenen Priorisierung, sich eben die Zeit zu nehmen. Dabei hilft es natürlich nicht, dass die Arbeit, die wir hier machen, stetig komplizierter wird. Die Behörden erschweren unsere Arbeit, die Politik legt uns immer mehr Steine in den Weg.

Haben Sie ein Beispiel?

Dieser Trend zeigt sich besonders beim Familiennachzug. Wir hatten einen anerkannten Flüchtling, dessen Frau mit den Kindern aus Eritrea nachziehen sollte. Weil der Antrag im Ausland gestellt werden muss, die Familie aber verfolgt wurde, mussten wir alles von Deutschland aus regeln - unter anderem auch DNA-Nachweise beschaffen, weil die deutsche Botschaft Pässe von den Kindern verlangt hat, diese Eritrea aber gar nicht ausstellt.

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Und dann?

Dann hat die deutsche Botschaft plötzlich immer mehr Forderungen gestellt, die vorher gar nicht zur Sprache gekommen waren: zum Beispiel einen Nachweis über die zivilrechtliche Eheregistrierung nach der - dort eigentlich üblichen - rein kirchlichen Trauung. Davor hatte immer die kirchliche Heiratsurkunde gereicht. Wir haben alles besorgt, das Visum wurde ausgestellt, die Mutter kam mit den Kindern nach Zorneding. Wir dachten: Die Familie ist vereint, wir haben es geschafft. Als dann ihr Visum auslief, hieß es im Landratsamt, dass sie jetzt selber Asyl beantragen müsse. So ein Quatsch, da würde die Familie ja wieder getrennt! In einem anderen Fall hieß es kürzlich sogar, dass von uns besorgten Dokumente eine Fälschung seien.

Was sagt das über die derzeitige Politik?

Die Politik will den Familiennachzug de facto verhindern - mit teils willkürlichen bürokratischen Hürden.

Damit sich anerkannte Flüchtlinge auf dem Wohnungsmarkt zurechtfinden, hat es auch ein Mietertraining gegeben. Mit Erfolg?

Gut ist, dass die Flüchtlinge nun das Gefühl haben, aus eigenen Stücken aktiv werden zu können. Allerdings haben wir immer noch viele Geflüchtete, die seit über einem Jahr längst aus den Containern ausgezogen sein sollten - aber partout keine Wohnung auf dem katastrophalen Wohnungsmarkt finden. Es wird verdrängt, dass die Flüchtlinge nicht einfach verschwinden, sobald die Container aufgelöst werden. Schließlich gibt es eine Wohnsitzzuweisung. Also bleiben sie gezwungenermaßen in den Containern. Das Thema wird leider von den Verantwortlichen totgeschwiegen. Wenn ein anerkannter Flüchtling hier eine Wohnung gefunden hat, dann lag das immer am privaten Engagement von Einzelpersonen. Gott sei Dank gibt es jedoch konstruktive Ansätze der Gemeinde, für den dringend benötigten sozialen Wohnraum zu sorgen.

Wen sehen Sie hier in der Verantwortung?

Eine kürzliche Entscheidung der bayerischen Gerichte hat festgestellt, dass Flüchtlinge, die keinen Anspruch mehr auf die Unterbringung in einer staatlichen Unterkunft haben, sogenannte "Fehlbeleger", nicht wie Obdachlose im eigentlichen Sinn direkt in den Verantwortungsbereich der Gemeinde fallen, sondern vielmehr weiterhin von der Regierung von Oberbayern untergebracht werden müssen. Es freut mich, dass nach neuesten Gesprächen mit unserem Bürgermeister klar geworden ist, dass sich unsere Gemeinde dennoch ihrer sozialen Verantwortung nicht entziehen will und konkrete Pläne für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum in Zorneding hat - die natürlich nicht nur den Flüchtlingen zugute kommen, sondern allen Bedürftigen hier vor Ort. Daher liegt die Verantwortung, um zu Ihrer Frage zurückzukommen, hauptsächlich bei der Regierung von Oberbayern und dem Landratsamt als ausführende staatliche Behörde.

Im Flüchtlingscontainer in der Zornedinger Bahnhofstrasse gibt es mittlerweile wieder einen Sicherheitsdienst. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wie läuft die Zusammenarbeit mit dem Landratsamt?

(stöhnt) Vor drei Jahren war der Umgang mit den Flüchtlingen wirklich schrecklich, mittlerweile läuft es etwas besser. Der eingesetzte Ehrenamtskoordinator ist wirklich bemüht, uns zu helfen. Die Ausländerbehörde, die sich um die Anerkannten kümmert, wurde ja zum Glück um einige junge Leute aufgestockt. Die Arbeit der Sozialbetreuung, die für die nicht Anerkannten zuständig ist, machen allerdings de facto wir. Es heißt von dort, dass einmal in der Woche jemand bei den Containern vorbeischaut - das als Betreuung zu bezeichnen, ist natürlich ein Witz. Ein großes Problem ist auch, dass die eigentlichen Verantwortlichen in der Regierung sitzen und das Landratsamt nur ausführende Behörde ist. Das ist sicher auch für die Mitarbeiter nicht einfach. Auf der anderen Seite können sie sich bei Problemen immer hinter der Regierung vor ihrer Verantwortung verstecken.

Zuletzt hat der Landrat in einer Gesprächsrunde verkündet, dass man den Ermessensspielraum bei Arbeitserlaubnissen mehr ausschöpfen wolle. Hat man im Helferkreis eine Veränderung bemerkt?

Nein. Aus unserer Sicht hat sich da gar nichts verändert. Leider sind das Beschwichtigungsparolen der Politik, die nicht eingelöst werden. Das Landratsamt versteckt sich nach wie vor hinter den Regelungen. Da fehlt es am Mut, die Dinge einfach mal anzupacken. Sofern es eine entsprechende Priorisierung vom Chef der Behörde gegeben haben sollte, ist davon in der konkreten Umsetzung nichts zu bemerken. Um glaubwürdig zu sein, müsste es gelingen, sowohl den Flüchtlingen, aber, vor allem, auch den Firmen, die teilweise händeringend nach Mitarbeitern suchen oder diese behalten wollen, eine echte Perspektive durch Arbeit oder Ausbildung zu geben.

Was muss noch passieren, damit Zorneding und der Rest des Landkreises "das schaffen"?

Wir bräuchten einen Hauptamtlichen oder zumindest einen Minijobber oder Freiwilligen im Landratsamt, der oder die den Helferkreisen die Behördenarbeit abnimmt. Jemand, der den Flüchtlingen mit dem Papierkram hilft, Behördenduktus übersetzt, die kein Deutscher versteht. Wir arbeiten momentan mit der Gemeinde an einer Möglichkeit, so eine Stelle einzurichten. Im Moment machen wir die gesamte Knochenarbeit. Damit wir uns wieder auf die Integrationsarbeit konzentrieren können, bräuchte es auch jemanden, der den anerkannten Flüchtlingen bei der Wohnungssuche hilft. Außerdem könnten mehr Vereine die Flüchtlinge aktiv integrieren - so, wie es der TSV Zorneding tut. Der Helferkreis braucht einen Freiwilligen-Pool, die hier und da einzelne Flüchtlinge an die Hand nehmen, sie zum Dorffest mitnehmen oder zum Sport. Das können auch Schüler machen. Und eins möchte ich noch sagen.

Bitte.

Manche denken: Die Arbeit des Helferkreises ist eh für die Katz. Das stimmt aber nicht, auch, wenn uns die Politik feindlich gegenübersteht. Wir konnten viele Zornedinger Flüchtlinge in Berufsschulen unterbringen; auch die gemeinsamen Projekttage an der Grundschule haben etwas bewegt. Heute grüßen die Schüler die Flüchtlinge auf der Straße, nehmen sie ganz selbstverständlich als Teil der Gemeinde wahr. Solche Projekte zeigen ihnen: Unsere Gesellschaft ist vielseitig. Und das muss auch ganz oben in der Politik ankommen.

© SZ vom 04.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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