Halbjahr an Schulen:Dialog statt Zwischenzeugnis

Lesezeit: 4 min

Mittlerweile ersetzt das Lernentwicklungsgespräch an 85 Prozent der Grundschulen im Landkreis das Zwischenzeugnis. Die Erfahrungen sind laut Schulamt durchweg positiv.

Von Anja Blum

Die eigenen Stärken und Schwächen einschätzen und dem Chef Rede und Antwort stehen: Eine Situation, die viele aus ihrem Arbeitsleben kennen und so mancher wohl nicht unbedingt schätzt, wird langsam Standard an den Grundschulen des Landkreises Ebersberg. Lernentwicklungsgespräch nennt sich die Praxis, die mittlerweile vielerorts das bislang gängige Zwischenzeugnis ersetzt.

Etwa 85 Prozent der 23 Grundschulen hätten das neue Verfahren bereits eingeführt, sagt Angela Sauter, die Direktorin des Ebersberger Schulamts. Seit 2014 steht es den Grundschulen frei, ob sie zum Halbjahr in den Jahrgangsstufen eins bis drei den schriftlichen Leistungsnachweis oder ein dokumentiertes Gespräch bevorzugen. Entscheiden darf jeweils die Lehrerkonferenz, allerdings nur in Absprache mit dem Elternbeirat. Die vierten Klassen sind davon ausgenommen: Sie erhalten wie bisher einen Zwischenbericht und das Übertrittszeugnis.

Die Schüler schätzen sich selbst ein

Bei dem Lernentwicklungsgespräch handelt es sich um ein zweistufiges Prozedere: Der Schüler erhält einen mehrseitigen Fragebogen zu allen schulischen Bereichen, den er zu Hause ausfüllen muss. Wie steht es mit dem Rechnen, dem Schreiben und dem Lesen, wie mit Kunst und Sport? Aber auch seine sozialen Kompetenzen und sein allgemeines Lernverhalten - Kann ich gut zuhören? Beteilige ich mich an Gruppenarbeiten? - soll das Kind einschätzen.

Außerdem darf es Vorschläge für die sogenannten Zielvereinbarungen machen: Wo möchte ich noch besser werden? Was muss ich noch besonders üben? Die Klassenleitung füllt den gleichen Bogen aus ihrer Perspektive aus. Die Ergebnisse werden dann in einem persönlichen Gespräch zwischen Schüler und Lehrer verglichen und diskutiert, dann einigt man sich auf ein, zwei Ziele, auf die das Kind sich von nun an konzentrieren soll. Die Lehrer wiederum sind angehalten, sich in den folgenden Wochen beim Kind nach den Fortschritten in eben diesen vereinbarten Punkten zu erkundigen.

Die Eltern dürfen bei dem Gespräch dabei sein, aber nur als stille Beobachter. Auch beim Ausfüllen des Fragebogens sollen sie nicht mehr Hilfe geben als unbedingt nötig und die Entscheidungen des Kindes nicht beeinflussen. Für den Bogen gibt es laut Schulamtsleiterin Sauter freilich eine Vorlage, die aber jede Schule - in gewissem Rahmen - nach den eigenen Vorstellungen verändern könne. "Dabei geht es vor allem darum, die Fragen und das Ankreuzsystem so zu gestalten, dass die Kinder alles gut verstehen."

Die Kinder fühlen sich ernst genommen

Lernentwicklungsgespräch: Das klingt zunächst nach Bürokratie und möglicher Überforderung der Schüler - bewährt sich in der Praxis jedoch offenbar. "Ich habe zu 95 Prozent positive Rückmeldungen", sagt Sauter. Und auch sie selbst sei "Feuer und Flamme" für dieses neue pädagogische Konzept: "Das Schöne ist, dass sich die Kinder durch dieses Gespräch wirklich ernst- und angenommen fühlen und enorm daran wachsen."

Im Zentrum stehe dabei das Lob, es gelte, dem Schüler seine Stärken und Fortschritte bewusst zu machen. Und mögliche Missverständnisse könnten sofort geklärt werden. "Das ist wirklich die halbe Stunde des Kindes", sagt Sauter. Demgegenüber ziele das bislang übliche Zwischenzeugnis, bis zur zweiten Klasse ein reines Wortgutachten, aufgrund seiner recht starren pädagogischen Formulierungen doch etwas am Kind vorbei. "Das kann man stolz den Großeltern zeigen, aber es zu verstehen, ist für Grundschüler nicht so einfach", so Sauter.

Auch für die Eltern kann das Gespräch aufschlussreich sein

Und die Eltern? Denen falle es freilich oftmals schwer, sich nicht in das Gespräch einzumischen, sagt die Schulamtsleiterin: "Aber wenn man es schafft, sich zurückzuhalten, kann es sehr interessant sein, das eigene Kind in der Kommunikation mit der Lehrerin zu erleben." Und wenn darüber hinaus noch Klärungsbedarf bestehe, könne man jederzeit die üblichen Sprechstunden nutzen.

Schon reichlich Erfahrungen gesammelt mit der neuen Form des Zwischenzeugnisses hat die Grundschule Steinhöring. Hier wurde das Lernentwicklungsgespräch bereits im Schuljahr 2014/15 getestet - mit großem Erfolg. Sowohl die Lehrerschaft als auch die Eltern hätten die Neuerung als sehr positiv empfunden, sagt die stellvertretende Rektorin Tanja Beattie. Ziel der Gespräche sei es, die Schüler zur Reflexion über ihr Lernen anzuregen, und das habe sehr gut funktioniert. "Den Kindern ist ganz viel bewusst geworden und sie haben wirklich tolle Ideen eingebracht." Sei es, dass das Ballspielen nun regelmäßig mit dem Onkel geübt werden oder ein kleiner Zettel auf dem Pult ans häufigere Melden erinnern könnte.

In Steinhöring wurden die Fragebögen überarbeitet

Doch bei einer erfolgreichen Probephase hat man es in Steinhöring nicht bewenden lassen: Danach wurde ein Feedbackbogen an die Eltern verteilt - mit sehr aufschluss- und hilfreichen Ergebnissen, wie Beattie sagt. Vor allem zum Fragebogen hätten die Eltern konkrete Verbesserungsvorschläge gemacht. "Schließlich haben sie genau mitbekommen, bei welchen Fragen es Verständnisprobleme gab." Dementsprechend wurde das Papier noch einmal überarbeitet, also noch kindgerechter formuliert. Beatties Fazit: Das Gespräch sei eine "Bereicherung für alle Beteiligten".

Darauf hofft man auch an der Grafinger Grundschule, wo das Lernentwicklungsgespräch in diesem Schuljahr eingeführt wurde. Das Kollegium habe sich, bis auf eine Ausnahme, dafür ausgesprochen, sagt Rektorin Renate Schwarz-Reis, der Elternbeirat bereitwillig zugestimmt. Ein Resümee könne sie allerdings noch nicht ziehen, da die Phase der Gespräche noch nicht abgeschlossen sei.

Zu reichlich Diskussionen hat das neue Verfahren hingegen an der Kirchseeoner Grundschule geführt. Die Lehrerschaft sei zu Beginn komplett geteilter Meinung gewesen, erzählt Rektor Franz Kraxenberger. Ob die Neuerung zeitlich zu stemmen sei, hätten sich einige gefragt oder befürchtet, dass die Schüler mit dem ungewohnt intensiven Kontakt zum Lehrer überfordert sein könnten. Doch mittlerweile sei, auch aufgrund der guten Erfahrungen an anderen Schulen, eine Entscheidung zugunsten des Gesprächs gefallen, so Kraxenberger. Und die neue Abstimmung sei "relativ eindeutig" gewesen. Los geht es in Kirchseeon erst im kommenden Schuljahr, dann aber "gleich g'scheid", wie der Rektor sagt, also in allen drei Jahrgangsstufen. "Genug diskutiert."

© SZ vom 26.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lernentwicklungsgespräch
:Eine Bereicherung für die Kinder

Die Sorge, dass das Lernentwicklungsgespräch zum Schulhalbjahr die Schüler überfordert, ist unbegründet. Es zeigt ihnen vielmehr, dass ihre Meinung gefragt ist.

Von Anja Blum

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: