Haar/Vaterstetten:Zoff unter Nachbarn

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Der Haarer Ortsteil Ottendichl bietet sich als Abkürzung für die Fahrt aus München in das geplante Vaterstettener Wohngebiet an. (Foto: Angelika Bardehle)

Gegen ein neues Wohngebiet, das Vaterstetten plant, wehrt sich nun die Gemeinde Haar. Dort fürchtet man sich vor noch mehr Verkehr

Von Bernhard Lohr, Haar/Vaterstetten

Haar und Vaterstetten hatten es in der Vergangenheit schon einige Male nicht leicht miteinander. Sobald die aufstrebende Gemeinde im Landkreis Ebersberg Fachmärkte auf der grünen Wiese ansiedeln wollte, gab es deutliche Worte aus dem Haarer Rathaus. Damit würden innerörtliche, gewachsene Strukturen kaputt gemacht, beklagten die Haarer. Jetzt steht das Verhältnis vor einer erneuten Belastungsprobe. Die Haarer beklagen, dass ihnen Vaterstetten durch ein angrenzendes neues Wohngebiet mehr Verkehr auf die Straßen lenken will. Die Akteure auf beiden Seiten wirken gereizt.

Dabei mag die Vorgeschichte eine Rolle spielen. Vor allem aber geht es um ein Thema mit Sprengkraft. Denn wie in vielen Gemeinden im Münchner Umland wird in Haar mehr und mehr deutlich, was für Probleme der Siedlungsdruck schafft. Die Klagen über wachsenden Verkehr auf der B 471 werden lauter. Sie kommen aus dem Ortsteil Ottendichl und aus der zentralen Geschäftsmeile in Haar, der Leibstraße. Dort stehen viele der von der B 471 kommenden Autofahrer täglich im Stau, weil die Kreuzung an der B 304 überlastet ist. Ähnlich sieht es in der Vockestraße aus.

Abhilfe ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Pläne, auf dem ehemaligen Klinikareal in Haar an der B 471 mit dem Jugendstilpark ein Wohngebiet für mehr als 2000 Einwohner zu schaffen, werden auf die belasteten Straßen zusätzlichen Verkehr bringen. Und jetzt kommt Vaterstetten dazu. Denn auch dort ist ein Wohngebiet geplant, das Haars Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) am Dienstagabend im Bauausschuss des Gemeinderats in seiner Dimension mit den Haarer Wohnbauplänen verglich. Das werde "fast so groß wie unser Jugendstilpark", sagte sie.

Freilich erwartet keiner, dass vom Jugendstilpark Verkehr ausgeht, der Vaterstettens Straßen belasten könnte. Umgekehrt schon. Grund der Befürchtungen sind die Pläne für das Wohngebiet "Vaterstetten West und Nordwest", das westlich der Dorfstraße und südlich der Ottendichler Straße entstehen soll. Auf 15,3 Hektar sollen dort 490 Geschosswohnungen entstehen, dazu 105 Wohneinheiten in Reihen- oder Doppelhäusern. Zudem sind ein Gewerbegebiet geplant und eine Seniorenwohnanlage sowie eine Kita. Ein erst vor kurzem fertiggestelltes Gutachten hat nun ergeben, dass ein Teil des Verkehrs aus diesem und in dieses Gebiet über die Ottendichler Straße und die Kreuzung an der B 471 in Ottendichl fließen wird. 14 200 Fahrzeuge werden dort aktuell am Tag gezählt. Auf 18 100 Fahrzeuge könnte die Zahl bis 2030 ansteigen; wenn das Wohngebiet dazu kommt auf 18 800.

700 Fahrzeuge mehr: Das war für die Haarer Grund genug, als in der Bauleitplanung beteiligte Nachbarkommune am Dienstag formell Einspruch gegen die Planung zu erheben. Dabei ließ sich niemand durch die Aussage des Gutachtens besänftigen, dass auch ohne die Vaterstettener Pläne bis zum Jahr 2030 die "Kapazität" der Kreuzung "erreicht" sein würde. Bürgermeisterin Müller sagte: "Ich sehe sehr wohl, dass die 700 Kfz einen Unterschied machen." Sie beklagte zudem, dass sich die Vaterstettener nur mit dem für den Landkreis Ebersberg zuständigen Straßenbauamt in Rosenheim abgestimmt hätten, aber nicht mit den Behörden in Freising und München.

Antonius van Lier (FWG), Vorsitzender der Bürgervereinigung Ottendichl, sagte, die Zahl 700 sei niedrig angesetzt. Wer aus dem neuen Wohngebiet nach München oder Feldkirchen fahren wolle, werde den Weg über Ottendichl nehmen. Und Gerlinde Stießberger (CSU) rief die bestehenden Probleme an den Zufahrten von der Leib- und Vockestraße auf die B 304 in Erinnerung, die ihre Partei immer wieder thematisiert. "Die Kreuzungen packen das nicht", sagte sie, "da sind wir sowieso am Limit." Deshalb habe ihr Vorgänger ja auch darauf gesetzt, die B 471 zu verlegen, sagte Bürgermeisterin Müller, leider ohne Erfolg. Das "Zeitfenster" für dieses ambitionierte Vorhaben sei jetzt aber wohl geschlossen.

Dass Vaterstetten deshalb seine Wohnbaupläne abbläst oder abspeckt, erwartet niemand. Nach Jahren der Diskussion in Vaterstetten steht die Bauleitplanung kurz vor dem Abschluss. Im Vaterstettener Rathaus wollte sich keiner offiziell zu dem Vorgang äußern. Bürgermeister Georg Reitsberger war nicht im Haus. Doch zwischen den Zeilen war am Mittwoch bei Rathaus-Mitarbeitern herauszuhören, dass das Verständnis für die Haarer Befindlichkeit begrenzt ist. Überall entstünden neue Wohngebiete, massiv etwa in Poing. Da könne man sich als Nachbar nicht querlegen. Nun wollen sich die Bürgermeister zusammensetzen. Dem Vernehmen nach geht es darum, ob sich Vaterstetten am Ausbau der Kreuzung der Ottendichler Straße mit der B 471 beteiligt. Reitsberger habe sich gesprächsbereit erklärt, aber keine Zusagen gemacht.

© SZ vom 17.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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