Grasbrunn:Gemüt und Seele

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Großer Abend mit deutscher und russischer Musik

Von Claus Regnault, Grasbrunn

Schon die Umschlagseite des Programmhefts ließ ahnen, was dem Publikum bevorstand: Dort blickten zwei Paar große dunkle Augen aus schönen Frauengesichtern, Fenster in die Tiefe der russischen Seele. Die Russinnen Tatjana Vassiljeva, Violoncello, und Anna Gourari, Klavier, bestritten ein Programm, in dessen erster Hälfte das deutsche Gemüt in Werken von Schubert und Schumann zur Sprache kam, nach der Pause die russische Seele des Dimitri Schostakowitsch.

Es begann mit Schuberts eher leichtgewichtiger "Sonate in a-Moll für Arpeggione und Klavier", 1824 komponiert zur Demonstration des 1823 in Wien gebauten Arpeggione, einer Bogengitarre mit sechs Saiten, ein Zwitter zwischen Gitarre und Cello. Leider hört man das Werk nicht mehr mit diesem seltenen Instrument, sondern als Cellosonate, die von Frau Vassiljeva etwas zaghaft mit dünnem Ton angestimmt wurde. Dieses Werk, für den Solisten keineswegs leicht zu bewältigen, ist melodiöse, nicht sehr anspruchsvolle, aber eben gemütvolle, ja gemütliche Musik zur Unterhaltung des damaligen Freundeskreises des Komponisten.

Danach das durchaus andere Kaliber, Robert Schumanns "Fantasiestücke op. 73", ein Lieblingsstück für Klarinettisten, denen es vornehmlich zugedacht ist, hier in der von Schumann gebilligten Fassung für Cello und Klavier. Leidenschaftliche und auch (deutsch-)tiefe Musik, in welcher der von Frau Gourari mit großem romantischen Atem verwirklichte Klavierpart ungleich eloquenter als bei Schubert ist. (Es gibt übrigens die Originalfassung mit Klarinette in einer frühen Einspielung mit Jörg Widmann und Anna Gourari.)

Nach der Pause das Hauptwerk des Abends, die "Sonate für Violoncello und Klavier" von Dimitri Schostakowitsch, ein in den ruhigeren Sätzen 1 und 3 gefühlstiefes Werk, dessen Sprache vergangenheitsbezogen spätromantisch ist. In die 30er Jahre, also auch in das Geburtsjahr dieses Werkes 1934, fällt die zunehmende Verhärtung und Reglementierung der russischen Kunstszene durch das Sowjetregime. Im Sommer 1934 verkündete der einstige Humanist und zum Stalin-Verherrlicher gewandelte Staatsdichter Maxim Gorki die Doktrin des sozialistischen Realismus. In diese Zeit fällt bei Schostakowitsch nach seinen stürmischen politaggressiven Werken bis zu den Höhepunkten der beiden Opern "Die Nase" und "Lady Macbeth von Mzensk" ein kompositorischer Rückzug in das eher Private der Kammermusik, darunter das Cello-Duo. In der Literatur wird dies teilweise als Kotau des Komponisten vor der Staatsdoktrin angesehen, die von den Komponisten verständliche, sangbare, staatsverherrlichende Musik verlangte. Vergleichbar der Situation der fortschrittlichen Komponisten, die in Deutschland während des 3. Reichs verblieben waren, führte der Weg in die innere Emigration. Als solche könnte man auch die Zurücknahme der kompositorischen Sprache in das Private der Kammermusik bei Schostakowitsch ansehen, verbunden mit der Wiederentdeckung der eigenen romantischen Seele, wie sie die Cellosonate von 1934 dokumentiert.

Die Interpretation durch das Duo war atemberaubend richtig und verinnerlicht. Die beiden Russinnen fanden allerdings auch den richtigen sarkastischen Ton, von dem Schostakowitsch im Scherzo und im Finale des Werkes nicht lassen konnte, das Scherzo wie manisch getrieben, das Finale als humorige Parodie auf den Marschrhythmus. Insgesamt eine großartige Interpretation des Werkes, die seine wahre Bedeutung verwirklichte.

Jubelnder Beifall und darauf als Zugabe die bei Leibe nicht nur gemütvolle, sondern zutiefst leidenschaftliche Musik des Schwesterwerks zu Schumanns "Fantasiestücken op. 73" - das "Adagio und Allegro op. 70" - zwölf Tage später komponiert und in seiner komprimierten Aussage noch überzeugender. Ein großer Abend, mit fragloser technischer und musikalischer Kompetenz.

© SZ vom 28.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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