Grafinger Erzählwettbewerb:Vielversprechendes Startkapital

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Der Erzählwettbewerb geht weiter: Zu einem Treffen erscheinen ein Dutzend Interessierte, es wurden bereits drei Manuskripte abgegeben.

Von Anja Blum, Grafing

Der Funke des Erinnerns scheint endlich übergesprungen zu sein in Grafing: Zu einem ersten, unverbindlichen Treffen für eine Fortsetzung der "Grafinger Geschichten" sind ein Dutzend Interessierte im Stadtmuseum erschienen, bereits drei Manuskripte wurden abgegeben. Und das ist beileibe keine Selbstverständlichkeit, hatte sich der erste Durchgang des von Michael Skasa initiierten Erzählwettbewerbs, welcher der Zeit zwischen Kriegsende und Wirtschaftswunder gewidmet war, doch äußerst zäh gestaltet. Monatelang warb der Autor und Kulturkritiker aus Grafing in seiner Heimatstadt um Interesse und Teilnahme am Erinnern, lange schien es, als kämen gar nicht genügend Texte zusammen.

Letztendlich aber gelang das Unterfangen doch: Aus 25 Beiträgen komponierten Skasa und seine Mitstreiter einen bemerkenswerten Band aus Grafinger Geschichten über die "wilden Jahren gleich nach dem Krieg". Der Titel des Büchleins verrät schon den Tenor der so persönlichen wie aufschlussreichen Erzählungen "Nix gehabt - und so viel erlebt".

Alteingesessene schildern darin ihre Erlebnisse zwischen Überlebenskampf und völliger Freiheit, erzählen von Entbehrungen und sozialen Spannungen, aber auch von einer Kindheit voller Abenteuer, wie man sie sich heute nicht mehr vorstellen kann: Wie sie durch die Natur vagabundierten, auf verstaubten Speichern und in Tümpeln voller gefährlicher Munition das Paradies entdeckten.

Zu einem Höhepunkt im Grafinger Kulturleben des vergangenen Jahres geriet schließlich die Präsentation des Buches mit namhaften Schauspielern und der Biermösl Blosn: Die Stadthalle war ausverkauft, das Publikum über die Maßen begeistert. Und die Erfolgsgeschichte geht weiter: "Mittlerweile ist die erste Auflage von 1300 Exemplaren ausverkauft", berichtet Franz Frey vom Fördervereins des Grafinger Museums nicht ohne Stolz beim Treffen für die Fortsetzung des Projektes. Doch grämen muss sich deswegen niemand: "Es gibt schon eine zweite, diesmal sogar mit festem Einband", erklärt Frey.

Auch wer die Buchpräsentation in der Stadthalle verpasst hat, erhält nun eine zweite Chance: Initiator Skasa hat über den Münchner "Seerosenkreis" eine Wiederholung organisiert, und zwar am Freitag, 24. April, um 19.30 Uhr im Künstlerhaus am Lenbachplatz in München. Die Grafinger Geschichten werden diesmal vorgetragen von Gerhard Polt, Gisela Schneeberger, Maria Peschek und Michael Skasa, es musiziert die zweite Generation der Well-Familie, die Nou-Well-Cousinen. Karten gibt es über das Künstlerhaus.

Nun hoffen Skasa und seine Mitstreiter auf viele berührende Geschichten aus der neueren Zeit, der zweite Band soll sich den 50er bis 70er Jahren in Grafing und Umgebung widmen. Die Initiatoren sind zuversichtlich: "Sie alle sind ein tolles Startkapital, es wird auf jeden Fall weitergehen", sagt Frey bei der ersten Versammlung, an der Skasa aufgrund anderer Termine leider nicht selbst teilnehmen kann. "Die Frage ist nur: Welche Themen, welche wichtigen Einschnitte gibt es in diesen Jahrzehnten?"

Zu den einschneidenden Ereignissen in den 50-er bis 70-er Jahren in Grafing gehört eine gewaltige Explosion im Fernmeldeamt am 16 Juni 1967. (Foto: Helmut Wohner)

Um den Interessierten das Erinnern zu erleichtern, hat Stadtarchivar Bernhard Schäfer eine Liste einschneidender Ereignisse zusammengestellt, "Impulsgeber" nennt er sie selbst. "Es sollen ja nicht allgemein bekannte geschichtliche Vorgänge geschildert werden, sondern das persönliche Erleben", erklärt er, "aber diese Stichpunkte können vielleicht helfen, sich an die ein oder andere Anekdote zu erinnern, die daran anknüpft". Auf der Liste finden sich unter anderem die Stadterhebung, das erste Eisstadion, die Siemens-Produktion, der Start des Gymnasiums, eine Explosion im Fernmeldeamt, der S-Bahn-Anschluss, das Freibad und dessen Nutzung für die Olympischen Winterspiele.

Doch dass man sich über mangelnde Themen keine Sorgen machen muss, zeigt schon das erste Treffen deutlich: Die meisten der Anwesenden betonen, dass sie viele, viele Geschichten zu erzählen hätten, und es dauert nicht lang, dann tauchen sie gemeinsam in ihre Erinnerungen ab. Werfen sich gegenseitig Namen und Schlagworte zu, lachen, nicken oder schütteln auch mal die Köpfe. Als Außenstehender kann man den verschlungenen Pfaden dieser Gespräche freilich schnell nicht mehr folgen.

Doch eins ist klar: Es wird spannend bleiben. Von einem Mord ist die Rede, vom Grafinger Rotlichtviertel, vom Schlesierfasching, von den ausländischen Studenten am Goethe-Institut, von handfesten Streitigkeiten, beachtlichen Räuschen und vom Fußball. Zudem bringt Frey als Moderator die Diskussion immer wieder geschickt in Gang: "Wie war das, als der erste Fernseher ins Wohnzimmer kam - und mit ihm die Nachbarn?", fragt er. Oder: "Was hat es damals bedeutet, ein Haus zu bauen?" Wir werden es vermutlich bald erfahren.

Interessierte Autoren können sich unter Telefon (08092) 70359 an Bernhard Schäfer vom Stadtarchiv wenden. Einsendeschluss ist zum Schulanfang Mitte September.

© SZ vom 10.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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