Grafing:Fotos, die erschüttern

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Bei der Eröffnung der Ausstellung in der Stadtbücherei erzählt Till Mayer, wie seine Fotos entstanden sind. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Till Mayer porträtiert Menschen in Kriegs- und Krisengebieten. Einige seiner Bilder sind nun in der Stadtbücherei Grafing zu sehen.

Von Peter Kees, Grafing

"Bin ich noch ein guter Mensch? Kann ich es noch sein? Im Krieg musste ich sechs Menschen töten." Das sind Worte von Barry Romo. Barry Romo hat als junger US-Soldat im Vietnam-Krieg gekämpft. Er kommt damit nicht klar. Seitdem findet er kaum mehr Schlaf. Der Kriegsveteran ist einer von den Menschen, die Till Mayer porträtiert hat. Till Mayer ist Lokaljournalist in der oberfränkischen Kleinstadt Lichtenfels. In seiner freien Zeit geht er auf Reisen und besucht Menschen, deren Leben durch Krieg und Gewalt, durch Flucht und Vertreibung geprägt ist. 15 der Portraits, die bei diesen Reisen entstanden sind, hängen seit Freitag in der Stadtbücherei Grafing.

Wenn man von einem Anschlag oder von Kriegsereignissen hört, werden Zahlen genannt, die Zahl der Toten, die Zahl der Verletzten. Welche Menschen dahinterstehen, bleibt unbekannt. Till Mayer will der Anonymität des Terrors ein Gesicht geben, Einzelschicksale zeigen, weltweit. Er reist in Krisengebiete, etwa in den Gaza-Streifen, in den Kongo, nach Uganda, nach Laos, Serbien, Kroatien, nach Vietnam, Myanmar, Thailand, Somalia, in den Irak oder in die Ukraine und porträtiert Menschen, deren Schicksale von Katastrophen geprägt sind.

Die Aufnahmen zeigen Menschen, denen Arme oder Beine fehlen

Ihnen fehlen Arme oder Beine, sie sitzen im Rollstuhl oder leiden seelisch. Der heute 24-jährige Phongsavath Manithong aus Laos hat als Jugendlicher eine sauber polierte Eisenkugel geschenkt bekommen. Er wusste nicht, dass es ein Streubomben-Blindgänger aus den Zeiten des Vietnam-Krieges war. In seinen Händen ist die Bombe explodiert. Dabei hat er beide Hände verloren und ist seitdem blind. Trotzdem ist er Hip-Hop-Tänzer.

Mayer hat ihn besucht, mit ihm gesprochen und ihn fotografiert. "Ich will die Menschen fröhlich machen", sagt ihm der Tänzer, der auch für die universelle Ächtung von Streubomben kämpft. Allein in Laos existieren noch heute mehr als 80 Millionen Streubomben-Blindgänger, mehr als in jedem anderen Land.

Auf einem weiteren Foto ist ein kleiner Junge aus dem Irak zu sehen. Er ist schwach. Seine Augen sind glasig. Die Aufnahme machte Mayer 2003. Kurz darauf ist der Junge gestorben, wie viele andere Kinder auch, wegen Wassermangel, schlechter Ernährung und einer nicht funktionierenden Klimaanlage. Es gab keinen Strom. Der schwache Junge war zu großer Hitze ausgesetzt. Ursache für diese Mängel war das Embargo der Vereinten Nationen, wie Mayer sagt. Er trifft aber auch Menschen wie Barry Romo, die als Soldat Opfer wurden.

Seine Reportagen erscheinen bei Spiegel Online. Eine Auswahl der Bilder ist nun auch in Grafing zu sehen. Es sind Tafeln mit Schwarz-Weiß-Fotografien und Texten darauf, in denen Mayer die Geschichten seiner Protagonisten erzählt. Der Terror ist sofort personifiziert. Alles Abstrakte löst sich auf. Die kollektiven Dramen erhalten persönliche Gesichter. Es ist unbequem, diese Menschen zu sehen und doch ist es notwendig. Es geht um Empathie.

Zur Eröffnung der Ausstellung "Barriere:Zonen" ist der Autor selbst anwesend. Er beginnt mit einem kurzen Film: Die 82-jährige Sofja Wasyliwna lebt in der Ukraine von 45 Euro Rente im Monat. Flaschen und Papier muss sie zum Überleben und für Medikamente sammeln. Ihre Stimme in dem Video ist sehr eindringlich. Die Frau hat den Zweiten Weltkrieg noch miterlebt. Sie ist erschüttert von dem gegenwärtigen Krieg in der Ukraine. Krieg schafft Leid. Sie kann es nicht verstehen.

Til Mayer will aufrütteln, doch seine Prognose ist nicht rosig

Nach dem Vietnam-Krieg, erzählt Mayer später, hätten sich mehr als 60 000 Vietnam-Veteranen das Leben genommen. Das seien mehr, als die US-Streitkräfte an Gefallenen hatte. Mayers Reportagen, seine Fotografien sind schonungslos. Sie zeigen verstümmelte Menschen. Manche Bilder machen Mut, andere wühlen auf. Da liegen vier schwerstbehinderte Kinder auf hölzernen Pritschen. Ihre Eltern arbeiten täglich 14 Stunden für den Lebensunterhalt. Laut Rotem Kreuz sind nach wie vor 1,3 Millionen Menschen in Vietnam Agent-Orange-Opfer. "Ich würde so gern mehr für meine Jungen tun. Es schmerzt furchtbar, dass ich es nicht kann," sagt die Mutter Huyn Thi Le. Eine Entschädigung von den USA hat sie nie erhalten.

Till Mayer will aufrütteln, die Schatten von Konflikten in einer Welt zunehmender Unruhe zeigen. Das gelingt ihm auch. Und, er hat eine Botschaft. Seine Prognose ist nicht rosig: Konflikte werden zunehmen und auch bei uns näher rücken. Aus seiner Sicht fehlen politisch denkende Menschen. Seine Fotografien, seine Portraits stimmen nachdenklich. Noch bis zum 31. August ist die Wanderausstellung "Barriere:Zonen" in der Stadtbücherei Grafing zu sehen.

© SZ vom 04.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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