Grafing:Geboren im Sternbild Jazz

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Die nächste Generation strahlt hell beim Grafinger Beitrag zum International Jazz Day. Schon zum zweiten Mal muss dieser als Online-Stream stattfinden.

Von Ulrich Pfaffenberger, Grafing

Die Sessions zum "International Jazz Day", zu denen Jazz Grafing einlädt, hinterlassen derart prägende Eindrücke, dass man sich leicht verschätzt, wie lange das schon passiert. Zum vierten Mal erst gab es ein eigenes Programm zu diesem Anlass, zum zweiten Mal schon ohne real anwesendes Publikum, sondern im Online-Stream. Zu einem echten Feiertag gerät dieser Jazz Day, obwohl der Beiklang einer gemeinsamen Session von Musikern und Publikum fehlt.

Ein Chat ist kein spontanes Plaudern mit dem Sitznachbarn, ein Blick in die Gesichter der anderen Gäste, auf ihre Reaktionen ist unmöglich, auch die anderen Nebengeräusche eines belebten Raumes werden bedauernd vermisst. Dennoch: Die Verbundenheit untereinander, erworben in einer langen gemeinsamen Geschichte von Sessions, Konzerten und Festivals, sie trägt diesen Moment auch aus der Entfernung. Schon der Gedanke daran, wie oft in dieser Nacht irgendwo der "Caravan" variiert wird oder eine Hommage an Ella, Duke und Charlie erklingt, erzeugt jene Schwingung, tief drin in der Seele, die über all die Widrigkeiten hinweghilft.

Obwohl der Beiklang einer gemeinsamen Session von Musikern und Publikum fehlt, wird der Jazz Day zu einem echten Feiertag. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mit dem Programm "Rising Stars - Back home" hat Jazz Grafing am Freitagabend jungen Musikerinnen und Musikern eine Bühne geboten, die ihre Wurzeln im Landkreis und seiner reichen Jazz-Landschaft haben. Das darf man getrost auch als Botschaft von der Unsterblichkeit des Jazz sehen: Schaut her, auch wenn uns heute viel fehlt, gibt es doch schon die nächste Generation, die unsere Ideen, unsere Musik weiterleben und weitertragen wird.

Auch wenn Überraschungsgast Josef Ametsbichler im Interview mit dem Quartett seine Sorge anklingen lässt, dass es im Landkreis an jungem Jazz-Publikum mangele. Da passt es als Antwort gut, dass gleich zu Beginn "Pages" von Nate Smith erklangen, in denen die Zeile "As I turn the pages and I let them take me home" die zuversichtliche Botschaft vom Weiterblättern auf immer neue Seiten besingen.

Auch das folgende "Hold on to me", einen eigenen Titel, interpretiert Sängerin Alma Naidu mit der Leichtigkeit einer Seiltänzerin zwischen Sehnsucht, Hoffnung und Bestimmung. Seit ihren Auftritten bei EBE-Jazz 2017 und 2019 hat die junge Sopranistin ihr stimmliches Profil weiter geschärft. Elegant lässt sie den Gesang über die gedachten Notenlinien gleiten, getragen von unbekümmerter Leichtigkeit, strahlt sie eine gewinnende Zuversicht aus, die Freude macht. Die kunstvollen Muster ihrer zweiten Eigenkomposition im Konzert, "Something 'bout the rain", sind eine Verneigung vor der Sinnlichkeit der Natur, die sich im Regen genauso äußert wie in einer Stimme. Es braucht keine prophetische Gabe, um vorauszuhören, wie ihre Ausdrucksstärke und Schwindelfreiheit beim Improvisieren das Tonbild der Ensembles prägen wird, in denen sie mitwirkt.

Nachwuchs-Stars wie Sängerin Alma Naidu werden ins Rampenlicht gerückt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Niklas Roever am Piano spielt inzwischen ebenfalls in der Liga, bei der man keine Fragen mehr nach dem Woher oder Wohin stellt. Seine Hände zu beobachten - dank Kameraperspektive eines der Privilegien beim Stream - lässt unmittelbar erkennen, wie die Gedanken in die Fingerspitzen fließen und dabei spontan wirken, obwohl die Idee schon feste Gestalt hat. Kein Wunder, dass der Ebersberger gleich zwei auffällige Eigenkompositionen zum Abend beiträgt. Sowohl das labyrinthisch angelegte "Mafioso" als auch der nervenzerfetzend spannende Dialog zwischen Piano und Sopran in "The rest is yet to come" sind nicht nur Schmuckstücke dieser Session, sondern würden auch jeder anderen ihren Glanz verleihen.

Dass auch Bassistin Julia Hornung, in Schwabmünchen daheim und über einen ihrer Lehrer, Martin Zenker, ins Ensemble gelangt, mit "Marrakesh" einen eigenen Titel zum Programm beiträgt, ist ein weiteres Merkmal für die ausgesucht hohe Qualität dieses noch jungen Quartetts. Impressionistische Momente und kleine rhythmische Abenteuer fügen sich zu einer Collage, wie sie sich musikalisch nur im Jazz abbilden lässt, und drückt eine beeindruckende Reife im Verständnis für die dramaturgischen Chancen dieses Musikstils aus. Bassistin und Instrument in der Doppelrolle als Begleiter und Gestalter: Hier haben sie Namen, Gesicht und Botschaft. Ein Attribut, das sich Schlagzeuger Johannes Rothmoser, einziger Grafinger in der Band, gleichermaßen verdient hat. Auf den Punkt genau präsent, souverän im Kontrapunkt, respektvoll im Miteinander und mutig beim Aufzünden eigener Lichter, definiert er die Rolle des Drummers im Ensemble so, dass alle Freude daran haben und die Momente genießen, in denen sie spüren: Das war gerade richtig klasse.

Anlass und Format haben am diesem Jazz-Day in Grafing formvollendet zueinander gefunden. Was ausdrücklich auch für die ausgereifte Licht, Ton- und Übertragungstechnik gilt. Die Idee, die nächste Generation ins Rampenlicht zu rücken, verdient alle Anerkennung. Wobei diese vier das Licht kaum mehr brauchen. Als "rising stars", die diesen Namen entgegen seinem inflationären Gebrauch verdienen, leuchten sie schon selbst sehr hell.

© SZ vom 03.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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