Grafing:Die Kubisten, die sind froh

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Klee, Kandinsky und Picasso würden Bauklötze staunen: Die Kinder der Alten Villa in Grafing entdecken die abstrakte Kunst und das Spiel mit der Verfremdung. Ergebnis des Projekts ist eine bemerkenswerte Ausstellung.

Von Anja Blum, Grafing

Wer jemals mit einem Kind ein Kunstmuseum besucht hat, weiß, wie überaus schwierig es ist, kleine Menschen für Malerei zu begeistern. Wenn auf den Bildern nicht wenigstens mal eine Schlacht oder eine Prinzessin zu sehen ist, geht das Interesse schnell gegen Null. Umso bemerkenswerter also, was den Betreuerinnen der Alten Villa in Grafing nun gelungen ist: Sie haben ihre Kindergartenkinder auf eine Reise geschickt durch die Welt der Fantasie, der Farben und Formen - und so Begeisterung geweckt für abstrakte Kunst. "Meine Welt ist bunt", lautete das Motto des mehrwöchigen Projektes, das nun mit einem Besuch der Pinakothek der Moderne in München und mit einer Vernissage im Kindergarten einen mehr als würdigen Abschluss gefunden hat.

Egal, welchen Ton die kleine Künstlerin für das Gemälde auf ihrer Staffelei als nächstes auswählt: Auf dem Malerkittel haben alle Farben Platz. (Foto: Privat)

Dass im Kindergarten gemalt und gebastelt wird, ist freilich nichts Ungewöhnliches. Doch die Intensität des Kunstprojektes, das in dieser Form das erste Mal in der Alten Villa stattgefunden hat, ging über das alltägliche Maß an Kreativität im Vorschulalter weit hinaus. "Fast im Minutentakt sind neue Werke entstanden", sagt Erzieherin Silke Hofweber und lacht.

Dreieck, Viereck und Quadrat - Paul Klee hätte seine Freude am Geometrie-affinen Nachwuchs. Auch Lejla hat ihren Spaß. (Foto: Privat)

Die "Galerie" im Treppenhaus des dreistöckigen Gebäudes mit Exponaten zu bestücken, war jedenfalls am Ende gar kein Problem mehr, ganz im Gegenteil, der Platz reichte gar nicht aus für die vielen Bilder. Doch nicht nur die Menge an Werken beeindruckt, sondern auch die Qualität der Auseinandersetzung mit abstrakter Kunst.

Dreieck, Viereck und Quadrat - Paul Klee hätte seine Freude am Geometrie-affinen Nachwuchs. (Foto: Privat)

Begonnen hat alles, wie es manchmal so ist, mit einer kleinen Begebenheit: Eine der Betreuerinnen hatte einen Kunstdruck von Paul Klee mitgebracht, der die Kinder sofort faszinierte. Das Bild heißt zwar ganz kindgerecht "Burg und Sonne", bietet allerdings eine recht abstrakte Behandlung des Themas. Zu sehen sind zahllose, verhalten bunte Quadrate, Recht- und Dreiecke, mittendrin eine runde Form, eine gelbe Scheibe.

Das Burgmotiv ist also nur zu erahnen. Inspiriert von diesem neuen Eindruck, so erzählt es Gruppenleiterin Kathi Ebersberger, begannen die Kinder, auf dem Boden bunte Bauklötze nebeneinander zu legen. Jeden Morgen aufs Neue, mit rasch wachsendem Verständnis für die Macht der Formen und Farben. "Sie haben jedenfalls ziemlich schnell gemerkt, wie sie die Steine legen müssen, dass auch etwas dabei herauskommt." Auch machten sich die Kinder auf die Suche nach anderen geometrischen Formen, entdeckten Sechsecke und dergleichen mehr. Nur ein Zweieck, berichtet der sechsjährige Jakob enttäuscht, habe man bislang im Kindergarten leider nicht finden können. Weiter ging es auf Papier, die ersten Farbstudien à la Wassily Kandinsky entstanden.

Und so gewann das Projekt abstrakte Kunst in der Alten Villa an Fahrt. Die ausgestellten Werke samt dokumentierender Fotos beweisen: Die Kinder haben sich dem Thema in den vergangenen Wochen auf alle erdenklichen kreativen Weisen genähert. Es wurde ausgeschnitten, gefaltet, geklebt, gestempelt, gezeichnet und gemalt was das Zeug hält. Acrylfarben, Ölkreiden, Wachsmalstifte, Fäden und Kartoffeln kamen dabei zum Einsatz.

Kein Experiment war den Betreuerinnen zu abenteuerlich: Was passiert, wenn man mit verbundenen Augen malt? Was, wenn man über die noch feuchte Farbe wischt? Oder pustet? Welche Töne haben Farben? Kann man einen Kreis falten? "Klar, ich hab das geschafft", ist der sechsjährige Jastin überzeugt. Der gleichaltrigen Paula dagegen hat es besonders gefallen, Nasen, Münder und Augen aus Zeitschriften auszuschneiden und mit einer eigenen Collage dem großen Pablo Picasso nachzueifern. Das Vorbild: dessen Bildnis der Dora Maar - und erstaunlicherweise haben die Porträts der Nachwuchskünstler tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Original des Meisters.

Überhaupt scheint es Picasso den Kindern angetan zu haben, der sechsährige Mert zum Beispiel erinnert sich mit Begeisterung an dessen "Sitzende Frau", der er beim Ausflug in die Pinakothek begegnet ist. "Ich weiß gar nicht, wo die hingeschaut hat!?"

Wie man mit einfachen Mitteln kunstpädagogisch viel erreichen kann, demonstriert auch eine Reihe von Zerrbildern: Die Betreuerinnen fotografierten die Kinder und druckten die Porträts in DinA-4-Größe aus . Dann sollten die Kinder ihre eigenen Gesichter in Streifen schneiden und anschließend wieder zusammenkleben - je nach Belieben in richtiger oder auch falscher Reihenfolge. Erkennt man die Freundin dann immer noch? Und wenn ja, woran? Ein kleines, feines Lehrstück über die Kraft der Verfremdung.

"Wir wollten, dass die Kinder das Thema möglichst ganzheitlich erfahren", sagt die Gruppenleiterin Kathi Ebersberger, und man gewinnt den Eindruck, dass das hier alles andere als schwammiges pädagogisches Gerede ist. Vorschulkind Lisa zum Beispiel erzählt, dass sie vor allem die Biografien der Künstler interessant fand, zusammen mit den Erzieherinnen durften die Kinder am Computer nach Informationen zu Kandinsky, Klee und Co. suchen und kleine Infotafeln erstellen.

Aber auch vor anderen Bereichen des Kindergartenlebens machte die Kunst nicht Halt. Beim Turnen etwa bildeten die Kinder mit ihren Körpern am Boden geometrische Formen, und beim morgendlichen Singen entwickelte sich das Kubistenlied schnell zum unangefochtenen Hit: "Die Kubisten, die sind Künstler, die Kubisten, die sind froh - sie malen die Nase den Frauen an den Po. . .", schallt es fröhlich zur Melodie eines Kinderlieds durch die Alte Villa.

Manche der Werke, die in deren Galerie ausgestellt sind, kann man übrigens auch käuflich erwerben. Allerdings scheint das Zahlenverständnis in dem Grafinger Kindergarten in letzter Zeit etwas weniger gefördert worden zu sein: Das ein oder andere Bild ist mit einem 500-Euro-Schildchen versehen. Doch Künstler Korbinian steht dazu, seinen Vater hat er angeblich schon an der Angel.

Allen Eltern und Erziehern, die bei Kindern die Begeisterung für Kunst wecken wollen, empfehlen die Betreuerinnen der Alten Villa in Grafing übrigens das Buch "Große Kunst in Kinderhand" von Jakobine Wierz.

© SZ vom 14.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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