Gesundheit:Raus aus der Starre

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Bei der Ebersberger Regionalgruppe der Deutschen Parkinson-Vereinigung können Betroffene und Angehörige Erfahrungen austauschen und sich ständig über neue Medikamente und Therapien informieren

Von Anja Blum, Vaterstetten

Tennis, Langlaufen, Segeln, Schwimmen, Fechten - das waren einmal die Hobbys von Klaus-Dieter Encz. Als Kaufmann für Knöpfe war er außerdem viel unterwegs, mit Zwischenstopps in London, Paris, Hongkong und Los Angeles. Doch das ist lange vorbei, eine Krankheit hat für den Vaterstettener fast jeden Sport und jede Reise unmöglich gemacht: Er leidet an Parkinson. Nur im Sessel zu sitzen und zu lesen ist Enczs Sache allerdings nach wie vor nicht. Deshalb hat er nicht Nein gesagt, als er 2011 gefragt wurde, ob er die Regionalgruppe Ebersberg der Deutschen Parkinson-Vereinigung leiten wolle. Seit dem stellt er jedes Jahr zusammen mit dem Vorstand ein Programm aus Vorträgen, Ausflügen und Festen auf die Beine. "Endlich wieder was zu tun", sagt Encz und lächelt. Zur Seite stehen ihm Harald Brunner aus Pliening, der als ehemaliger Marketingleiter die Finanzen des Vereins verwaltet, und Gabi Seifferth aus Vaterstetten, die für die Pressearbeit zuständig ist.

Letztere ist auch der Grund dafür, dass Encz und Brunner überhaupt zur Selbsthilfegruppe gefunden haben: Seifferth leitet, dank einer speziellen Ausbildung, eine Parkinson-Gymnastikgruppe beim TSV Vaterstetten - laut Encz ein landkreisweit einmaliges Angebot. Zwölf Betroffene arbeiten dort derzeit gemeinsam daran, ihre Beweglichkeit möglichst lange aufrecht zu erhalten. Denn eines der Hauptmerkmale von Parkinson, einer Erkrankung des zentralen Nervensystems, ist eine zunehmende Versteifung der Muskeln, Rigor genannt. Hinzu kommt der Tremor, ein unkontrolliertes Zittern der Hand.

Die Versteifung beginnt meist in den Armen oder Beinen, kann sich aber auf alle Bereiche des Körpers bis hin zur Mimik ausweiten. "Es gibt Momente, da friert man richtig ein - das Gesicht wird zur Maske, oder man kann plötzlich nicht mehr die paar Schritte bis zum Telefon gehen", erklärt Brunner. "Ich stand mal ziemlich lange vor der Haustür im Regen, weil ich nicht mehr vorwärts kam", erzählt Encz. Besonders schlimm sei so eine Situation aber freilich in der Öffentlichkeit, an der S-Bahn-Türe zum Beispiel, "wenn die Menschen alle hinausdrängen, man selbst jedoch keinen einzigen Schritt tun kann und daher alles blockiert". Als der Vaterstettener Mitte 60 war, bemerkte ein aufmerksamer Klinikarzt, dass er beim Gehen ganz leicht ein Bein nachzog. Die Diagnose: ein Schock. "Das musste erst einmal von mir verarbeitet werden. Dann habe ich mich meiner Familie und den Freunden mitgeteilt", sagt der heute 79-Jährige. Nach diesem Coming-Out habe er jedoch sehr viel Verständnis erfahren.

Harald Brunner und Klaus-Dieter Encz haben in der Vaterstettener Parkinson-Selbsthilfegruppe eine neue Aufgabe gefunden. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Diesen Mut haben indes nicht alle: Die Hemmschwelle, an die Öffentlichkeit zu gehen, sei bei den Betroffenen sehr hoch, berichten die Chefs der Selbsthilfegruppe. "Irgendwie hängt Parkinson ja auch immer das Stigma einer geistigen Behinderung an", sagt Brunner. "Die Menschen sehen nur, dass sich da einer seltsam verhält, und denken gleich, dass da im Kopf was nicht stimmt." Die Symptome seien jedenfalls mit großer Scham verbunden - wohl auch deswegen sei es sehr schwierig, Erkrankte für die Angebote der Selbsthilfegruppe zu gewinnen. "Oft kommt nur der Partner zu unseren Treffen, um sich zu informieren", erzählt Brunner. Das sei auch in Ordnung, schließlich wolle man sich nicht nur um die Betroffenen, sondern auch um die Angehörigen kümmern. "Aber schade ist es schon."

60 Mitglieder hat die Regionalgruppe Ebersberg momentan, seit ihrer Gründung vor 15 Jahren wächst sie kontinuierlich. Doch es ist noch Luft nach oben: Rein statistisch müssten im Landkreis nämlich etwa 200 Parkinsonpatienten leben, das haben Brunner und Encz errechnet. Deutschlandweit gehe man von mindestens 250 000 Betroffenen aus. "Aber wir sind bislang nur rund um Vaterstetten bekannt, 80 Prozent unserer Mitglieder kommen aus dieser Umgebung. Im restlichen Landkreis kennt man uns gar nicht", bedauert Brunner. Deswegen hat die Selbsthilfegruppe nun eine große Offensive gestartet. Sie hat knapp 200 Briefe an Bürgermeister, Ärzte, Physiotherapeuten und Apotheken verschickt - mit der dringenden Bitte, Betroffene auf das Angebot aufmerksam zu machen.

Bislang ist aber noch keine eine spürbare Resonanz auf diese Aktion zu verzeichnen. Doch Encz und Brunner geben nicht auf, "denn wir wissen, dass sich die Menschen bei uns wohlfühlen, wenn sie erst einmal da sind." Hilfe bietet die Regionalgruppe den Betroffenen und Angehörigen in mehrfacher Hinsicht: durch informative Vorträge und Veranstaltungen, durch Erfahrungsaustausch und Geselligkeit. "Wir haben uns mittlerweile einen ziemlich guten Ruf erarbeitet, eben weil wir keinen Trübsinn blasen, sondern etwas Positives auf die Beine stellen", sagt Brunner nicht ohne Stolz.

Überhaupt sei eine positive Einstellung "die halbe Miete", sagt Encz, denn so lasse sich - zusätzlich zu den Medikamenten - der Verlauf der Krankheit verlangsamen. Parkinson ist nicht heilbar, es schreitet stets voran. Ziel aller Therapien kann es daher nur sein, die Lebensqualität der Betroffenen so lange wie möglich zu erhalten. Und das funktioniert mittlerweile ganz gut. "Es gibt Fortschritte, weil sich in der Forschung viel getan hat", sagt Encz. Zu beobachten ist das auch an den Chefs der Selbsthilfegruppe: Beide haben ihre Symptome gut im Griff, können laufen, sprechen und alles andere, lachen viel. Nur ein leises Zittern und eine gewisse körperliche Unruhe verraten, dass sie an der Nervenkrankheit leiden. "Ohne Medikamente säße ich heute im Rollstuhl", sagt Encz.

Eine gute Nachricht, sofern man davon sprechen kann, ist außerdem: An Parkinson stirbt man nicht. "Zum Tod führen meist irgendwelche Folgeerkrankungen, Lungenentzündung zum Beispiel", erklärt Brunner. Das rühre daher, dass sich viele Parkinsonpatienten aufgrund einer Versteifung der Rachenmuskulatur oft verschluckten, so dass die Lunge ständig gereizt werde. Um Symptome wie dieses zu verhindern, nehmen Parkinsonpatienten verschiedene Medikamente mit teils erheblichen Nebenwirkungen ein - "die Beipackzettel sollte man sich lieber nicht durchlesen", sagt Brunner und lacht.

Doch bevor man sein gewohntes Leben komplett verliert, nimmt man so einiges in Kauf. Allerdings gleicht die Medikation für Parkinson einem Hexenwerk: Kombination und Dosierung der Mittel müssen ganz individuell getestet und auch immer wieder neu eingestellt werden, da die Wirkung meist nach einiger Zeit nachlässt. "Das ist ein permanentes Suchen und hoffentlich Finden", sagt Encz, der sein jüngstes Experiment mit Wirkstoffpflastern gerade erst wegen übler Hautirritationen abgebrochen hat. "Jetzt schluck ich eben wieder Pillen", sagt er und zuckt lachend mit den Schultern.

Anlässlich des Welt-Parkinson-Tags präsentiert sich die Regionalgruppe Ebersberg am Montag, 11. April, von 15 bis 17 Uhr mit einem Informationsstand im Foyer des GSD-Seniorenwohnparks in Vaterstetten. Beim nächsten Treffen am Mittwoch, 13. April, klärt Hannelore Riegler vom VdK Bayern über die verschiedenen Formen der Unterstützung für Menschen mit einer chronischen Erkrankung durch Gemeinde, Landkreis und Freistaat auf. Die Veranstaltung im "Altschütz" in Vaterstetten beginnt um 15 Uhr. Infos gibt es bei Klaus-Dieter Encz unter (08106)5768 oder online unter www.parkinson-ebersberg.de

© SZ vom 11.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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