Welturaufführung in Ebersberg:Textfeuerwerk trifft Bilderflut

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Diesmal keine Kunstfigur: Georg Schramm sitzt quasi als er selbst auf der Ebersberger Bühne. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Kabarettist Georg Schramm begeistert mit seiner Lesung von Thomas Bernhards Roman "Alte Meister" in einer Adaption des Wiener Comiczeichners Nicolas Mahler

Von Michaela Pelz

Was für ein Glück, in oder um Ebersberg herum daheim zu sein! Es gibt jede Menge Natur, es gibt Einkaufsmöglichkeiten, vor allem aber gibt es den Verein Altes Kino und den Alten Speicher. Dieser Kombination - dem nimmermüden Einsatz des Teams rund um Markus Bachmeier sowie den Abmessungen des Saals - ist nicht nur zu verdanken, dass allen Widrigkeiten zum Trotz das Kulturangebot des Landkreises aufrechterhalten werden kann, sondern sie beschert dem Publikum beim Auftakt der aktuellen Herbstsaison (man geht ins 29. Jahr!) eine Welt-Uraufführung, für die Georg Schramm extra aus dem Ruhestand zurückgekehrt ist. Fast könnte man sogar von einer Doppelpremiere sprechen: Denn ohne auch nur eine der Kunstfiguren, die in vielen Köpfen untrennbar mit ihm verbunden sind, steht (oder besser: sitzt) der Ausnahmekabarettist mit ungegeltem Haar und Jeans statt Anzug quasi als er selbst auf der Bühne. Dort liest der 71-Jährige gut sechzig Minuten lang ausdrucksstark und verhaspelfrei (ein gutes Dutzend Mal hat er dafür geprobt) aus Thomas Bernhards Roman "Alte Meister". Allerdings in der Adaption von Nicolas Mahler, weswegen parallel auf einer großen Leinwand dessen charakteristische Figuren mit den langen Nasen zu sehen sind.

Das Ganze spielt im Wiener Kunsthistorischen Museum, wo der notorisch übel gelaunte Musikkritiker Reger seit drei Jahrzehnten regelmäßig im Bordone-Saal vor einem Tintoretto sitzt, Bücher umblättert, ohne sie zu lesen, und über Fehler und Verfehlungen in Kunst, Musik, Philosophie und Politik sinniert, die er sodann mit elaborierten Schimpftiraden von hinreißendem Rhythmus kommentiert. Der davon berichtende Ich-Erzähler ist sein langjähriger Bekannter Atzbacher, ein Privatgelehrter. 2011 hat der Wiener Autor und Zeichner Mahler eine halb so lange Neu-Interpretation des 330-Seiten-Werks geschaffen, die texttreu den Kern bewahrt und ihm gleichzeitig eine zusätzliche Dimension verleiht. Etwa, wenn es um den kuriosen Saaldiener Irrsigler geht, den der mürrische Reger tatsächlich mag und der eigentlich viel lieber zur Polizei gegangen wäre. Schon auf den ersten Blick schließt man sie ins Herz, diese rührende Gestalt mit ihrer ganz eigenen Würde.

An anderen Stellen gelingt es dem Zeichner - der sich selbst lieber als Humorist bezeichnet -, Bernhards ohnehin gekonnter Ironie eine weitere Spitze zu verpassen, indem er mit wenigen Strichen auf den Punkt bringt, wofür im Original viele Zeilen kaum ausreichen. Er karikiert zahlreiche bekannte Werke, schafft Wiedererkennbarkeit allein durch die Haartracht - etwa bei Bach, Händel, Mozart und Goethe - und wenn der Text sich an Heidegger abarbeitet, dem "Pantoffel- und Schlafhaubenphilosoph", dann ist die Darstellung der beschriebenen Banalitäten ein wahres Fest für Augen und Lachmuskeln.

Die an diesem Abend gezeigten Zeichnungen sind jedoch nicht einfach dem Buch entnommen, sondern vom vielfach preisgekrönten Multitalent Mahler extra neu bearbeitet. Mal wurden Bild-Text-Kombinationen zugunsten der reinen Illustration aufgelöst, mal Fragmente erstellt, die sich nach und nach zu einem Ganzen zusammenfügen - optimal bei dieser Form der Präsentation. "270 Bilder hat er mir geschickt", berichtet Schramm im Gespräch, "deutlich mehr als im Originalbuch enthalten sind. 196 davon habe ich genommen." Die Auswahl sei ihm nicht schwergefallen, eine Herausforderung sei es vielmehr gewesen, Mahlers Version mit zusätzlichem Text aus der Urfassung zu erweitern, um eine Auftrittsdauer von einer Stunde (ohne Pause) zu erreichen. "Gleichzeitig fand ich manche Bilder so schön, dass ich extra Kunstpausen eingebaut habe, damit sie länger stehen bleiben können." Denn anders als bei der individuellen Betrachtung einer Graphic Novel ist es hier ja der Vortragende, der das Tempo vorgibt und - teilweise sogar mitten im Satz - "umblättert". Ein Unterfangen, das dem Künstler einiges abverlangt, wie erkennbar wird, als bei einer kleinen technischen Panne alle weiteren Bilder im Schnelldurchlauf über die Leinwand sausen. Die Leute stört es nicht, sie lachen und klatschen, während Schramm souverän an der richtigen Stelle den Faden wieder aufnimmt.

Schramm hat die Sache einfach im Griff - sein Timing beim Einspielen der Bilder ist ebenso perfekt wie die Lesegeschwindigkeit. Am Ende quittiert das Publikum die rundherum gelungene Lesung mit anhaltendem Applaus, der beim Schlussappell sogar noch intensiver wird. Denn da fordert der Künstler sichtlich bewegt alle auf: "Unterstützen Sie die Veranstalter! Ihr Aufwand ist jetzt zwei- bis dreimal so groß - bei einem Drittel der Einnahmen." Davon kann auch Bachmeier ein Lied singen: An diesem ausverkauften Abend sitzen gerade mal 150 Menschen im Alten Speicher. Unter ihnen der Ebersberger Kabarettist Hans Klaffl, der das Engagement seines Kollegen sehr lobt, zumal er es ebenfalls "als Verpflichtung betrachtet, bei jeder Gelegenheit zu spielen, um den Laden am Laufen zu halten". Über den Abend sagt er: "Ich bin sehr beeindruckt! Hier sind drei Genies zusammengekommen. Ich weiß nicht, ob jemand anderes das so könnte!" Ein Trost für all jene, die live nicht dabei sein konnten, ist der Livestream. Für alle, die sich "noch nicht aus dem Haus trauen" - oder für die, die eben leider nicht in oder um Ebersberg herum leben.

© SZ vom 15.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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