Generationenwechsel:Wie geschnitten Brot

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Während sich viele Handwerksbetriebe mit der Suche nach einer geeigneten Nachfolge schwer tun, ist in der Ebersberger Bäckerei Freundl die Übergabe an die dritte Generation bereits geregelt

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Richard Freundl ist weiß. Von oben bis unten: Kappe, Poloshirt, Schürze, Hose, Schuhe - alles voller Mehl. Der 25-jährige Bäckermeister steht vor einem Tisch. Um ihn herum breiten sich 140 Quadratmeter aus. Eine üppige Fläche, um zu backen. Vor ihm liegt ein gut ein Meter langer Teigfladen, etwa zwei Zentimeter dick. In seiner rechten Hand hält Freundl einen Roller mit langen Piksern daran. Damit rollt er über den Teig. "Damit die Feuchtigkeit herauskommt", erklärt er. "Durch die Mulden kann sich der Teig entspannen."

Entspannung herrscht bei den Freundls auch bei einem Thema, das bei vielen anderen selbstständigen Handwerksbetrieben im Landkreis eher für Stress sorgt: Der nächste Generationswechsel. In den kommenden fünf bis zehn Jahren steht bei ungefähr 30 Prozent aller 2400 Ebersberger Unternehmen die Übergabe an einen Nachfolger bevor. Das sind etwa 700 Betriebe. Immer seltener würden eigenständige Unternehmen innerhalb der Familie weitergegeben, sagt Christoph Molocher, Betriebsberater bei der Handwerkskammer. Nicht so bei den Freundls: Richard Freundl wird Bäckerei und Konditorei einmal übernehmen; derzeit betreibt sie sein Vater Martin Freundl in zweiter Generation als Nachfolger von Gründer Alois Freundl, dem Onkel seiner Frau Lieselotte.

"Eine Übergabe muss ordentlich vorbereitet sein", sagt Martin Freundl. Er sitzt am Kopf des langen Holztisches im Besprechungsraum der Filiale am Ebersberger Hauptsitz des Unternehmens. Mit ihm am Tisch: Vorgänger Alois, Frau Lieselotte und Sohn Richard. "Eine Übergabe muss reifen." Der 55-Jährige sieht dabei besonders den Nachfolger in der Pflicht, und zwar in mehrerlei Hinsicht.

Zum einen geht es laut Freundl um die persönliche Reife, denn als Chef trage er Verantwortung für seine 96 Mitarbeiter und für deren Familien. "Da werden aus den 96 dann schnell 300 Menschen, die irgendwie davon betroffen sind", dass es anständige Gehälter gibt, die pünktlich gezahlt werden, dass Arbeitszeiten eingehalten werden und dass es genügend Freizeitausgleich gibt. Für Martin Freundl hat das mit Verantwortungsbewusstsein zu tun, aber auch mit Empathie.

Zum anderen brauche der künftige Chef die fachliche Reife, damit ein Generationswechsel gelingen kann. Ein Beispiel: Obwohl Richard Freundl seit Mai vergangenen Jahres den Meistertitel trägt und damit einen Betrieb führen dürfte, ist er im Moment "Bäcker-Volontär", wie er es selbst nennt. Das heißt, dass er immer mal wieder in einem fremden Betrieb arbeitet. Um Erfahrungen zu sammeln. Zuletzt war er für mehrere Wochen in Franken. "Die mögen es dort würziger als hier", erzählt er. Und auch in Sachen Unternehmensführung hat der 25-Jährige einige neue Eindrücke gesammelt. "Das war ein größerer Betrieb als unsere Bäckerei, mit 39 Standorten. Deshalb sind die Strukturen natürlich völlig anders."

Martin Freundl betont aber auch, dass die Notwendigkeit eines Reifeprozesses nicht bedeutet, dass die nachrückende Generation erst dann etwas zu sagen hätte, sobald sie auch offiziell den Betrieb leitet - zumindest handhabt er das so. "Natürlich kommen auch schon jetzt Impulse von meinem Sohn", sagt der 55-Jährige. "Ich gehe ja nicht in eine Richtung, von der ich weiß, dass er dann in ein paar Jahren eine komplette Kehrtwende machen wird." Flexibilität sei hier das Stichwort. "Ein Unternehmen verändert sich eben ständig." Beharrlich seinen alleinigen Kurs zu fahren sei da wenig sinnvoll. Dem Bäckermeister ist ein Satz, den sein Vorgänger einmal sagte, fest im Gedächtnis: "Aus zwei Köpfen kann man nicht einen machen."

Jetzt nickt Alois Freundl. 50 Jahre seines Lebens hat der heute 89-Jährige als Bäckermeister den Betrieb geführt. 1951 händigte man ihm den Meisterbrief aus, er war damals mit 22 Jahren der jüngste Meister in ganz Bayern. Drei Jahre später, 1954, kaufte er das Haus in der Ebersberger Heinrich-Vogl-Straße, in dem bis heute der Hauptsitz der Bäckerei ist. Angefangen hat der 89-Jährige sein Geschäft mit einem Meister und einem Gesellen. "Damals gab es sechs Bäckereien in Ebersberg bei ungefähr 6000 Einwohnern. Der Kuchen war also schon gut verteilt."

Aber Alois Freundl kam die Nachkriegszeit zu Gute: Die Geburtenrate stieg, und damit auch der Bedarf an Nahrungsmitteln. Außerdem keimte nach den Kriegsjahren, in denen Hunger allgegenwärtig war, die schiere Lust und der Genuss am Essen wieder auf. Und Alois Freundl fand eine Nische, etwas, das seinen Betrieb von den sechs übrigen Bäckereien im Ort abhob. Nämlich das Liefergeschäft. Auch heute noch fährt der Betrieb seine Backwaren aus, vom Stammhaus in seine mittlerweile drei Filialen oder etwa zu Seniorenheimen und Verbänden. Bis nach München.

Für Martin Freundl war das alles neu, als er 1989 in den Betrieb einstieg. Eigentlich hätte der 55-Jährige die elterliche Bäckerei übernehmen sollen - denn auch er kommt aus einer Bäckerfamilie. Ein Kleinstbetrieb. "Es gab Mutter, Vater und mich", erzählt er. "Manchmal kam noch ein Gehilfe dazu, aber das war's."

Dass Alois Freundl, der selbst keine Kinder hat, den Betrieb an seine Nichte und deren Mann übergab, ist für Martin Freundl ein weiteres Beispiel dafür, wie wichtig Flexibilität bei eigenständigen Unternehmen ist. "Es muss ja nicht immer alles an das älteste der eigenen Kinder gehen." So etwa haben auch er und seine Frau einen zweiten Sohn, er ist drei Jahre älter als Richard Freundl. Mit dem Bäckerhandwerk hat er sich aber einfach nicht anfreunden können. Ein Problem war das für Martin Freundl nie. "Ich weiß selber sehr gut, was es heißt, nein zu sagen." 1989, mit 25 Jahren, entschied er sich gegen den eigenen Familienbetrieb und für das Freundl-Unternehmen - die Bäckerei der Eltern hat eines seiner Geschwister übernommen.

Seitdem ist er mit seiner Frau im Freundl-Geschäft. Lieselotte Freundl, 54, ist gelernte Einzelhandelskauffrau. "Meine Aufgaben sind ganz klar im Laden an der Theke, beim Verkauf." Die letzten 15 Jahre, in denen Alois Freundl den Betrieb führte, waren sie und ihr Mann mit im Geschäft - auch Martin Freundl durchlief also den Reifeprozess, von dem er spricht, bevor er Chef wurde. Im Jahr 2004 war es dann soweit.

In den 65 Jahren, in denen es das Freundl-Unternehmen mittlerweile gibt, hat sich viel verändert im Backhandwerk. "Das Getreide zum Beispiel", sagt Richard Freundl. "Das aus den 1950er Jahren kann man mit dem heutigen nicht mehr vergleichen." Die Eigenschaften der Pflanzen hätten sich durch Dünger und andere Pflanzenschutzmittel gewandelt, so sei nun zum Beispiel der Eiweißgehalt höher. Dadurch hätten sich etwa die Teigruhezeiten verlängert. "Auch die Verbraucher haben sich verändert", sagt Martin Freundl. In den 1970er Jahren habe es angefangen, dass es mal Mohn- und Sesamsemmeln gab. "Wenn man sich die Theken heute anschaut - da ist eine solche Vielfalt!" Derzeit liegen Bio und vegane Backwaren im Trend. Nur Brot und Brezn zu backen reiche schon lange nicht mehr aus.

Zurück in der Backstube: Martin und Richard Freundl zwacken mit geübten Handgriffen kleine Flatschen von einem Teig ab und klatschen sie auf eine Waage. 100 Gramm. Passt. Es wird ein wenig gezwirbelt und der glitschige Teig kommt auf ein Blech. Allgäuer Seelen werden die gebackenen Batzen am Ende sein. Im Hintergrund dudelt leise Radiomusik, während Vater und Sohn weiter zwacken, klatschen und zwirbeln. Alles ganz entspannt.

© SZ vom 16.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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