Gedenkgottesdienst in Grafing:"Ohnmacht darf nicht unser Leben bestimmen"

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Der Gedenkgottesdienst in der Grafinger St. Ägidius-Kirche. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Mit einer bewegenden Trauerfeier gedenken Bürger und Politiker der vier Opfer des Messerstechers von Grafing-Bahnhof.

Von Korbinian Eisenberger, Grafing

Es war ein schwerer Gang, den die Trauergemeinde am Mittwochabend antrat, um in Worte zu fassen, was sich an Bildern aus Zeitungen und Fernsehen in den Köpfen eingeprägt hatte. Einen Tag nach dem Attentat eines 27-Jährigen, bei dem ein Mann aus Wasserburg ums Leben kam, versammelten sich 150 Trauergäste in der städtischen Pfarrkirche St. Ägidius zu einem ökomenischen Gottesdienst.

Der Mann, der von dem 27-Jährigen erstochen wurde, war Mitarbeiter der Regierung von Oberbayern

Um der Verstorbenen und drei Grafingern, die derzeit noch mit schweren Verletzungen in Krankenhäusern liegen, zu gedenken, erschien neben der versammelten Politprominenz des Landkreises Ebersberg der Präsident der Regierung von Oberbayern, Christoph Hillenbrand. Wie Hillenbrand in einer bewegenden Rede mitteilte, war der Verstorbene ein langjähriger Regierungsmitarbeiter.

"Er war ein liebenswerter, fröhlicher, unendlich geduldiger Kollege", sagte Hillenbrand. 23 Jahre habe der 56-Jährige in der technischen Kommunikationsabteilung gearbeitet, er sei Spezialist für Notebooks und Computerangelegenheiten aller Art gewesen. "Er war ein Problembeseitiger mit Leib und Seele und starb auf dem Weg zur Arbeit", sagte Hillenbrand, der bei seiner Ansprache mit den Tränen kämpfte. Sein Mitgefühl gelte der Familie, er selbst werde den Verstorbenen als "mehr als einen Kollegen in Erinnerung behalten".

Der Mann, der erstochen wurde, war ein Mitarbeiter der Regierung von Oberbayern, der von Regierungspräsident Christoph Hillenbrand (links) in einer bewegenden Rede gewürdigt wird. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Die spontan einberufene Trauerfeier bewegte die Kirchgänger, die sich auf den Holzbänken eingefunden hatten. Der evangelische Pfarrer Axel Kajnath ließ für die Opfer des mittlerweile in eine Klinik eingewiesenen Paul H. "vier Kerzen der Hoffnung aufstellen". Kinder, Jugendliche und Erwachsene verdrückten Tränen oder ließen ihnen freien Lauf.

Nachdem Kameramänner und Fotografen die Kirche auf Bitten der Messdiener verlassen hatten, ordnete Kajnath ein, warum ein Ereignis wie das von Dienstagfrüh die Menschen über die Bundesgrenzen hinaus schockiert. "Nach den Ereignissen von Paris, Brüssel und Bad Aibling sind wir sensibel geworden", sagte Kajnath.

Das Medieninteresse ist auch vor der Kirche groß. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Landrat Robert Niedergesäß spricht davon, dass die Tat den Landkreis verändert hat

Wie tief der Schock im Landkreis Ebersberg 37 Stunden nach der Bluttat von Grafing-Bahnhof sitzt, ließ sich auch an der Rede von Landrat Robert Niedergesäß festmachen. "Der 10. Mai 2016 war ein Tag, der unseren Landkreis verrückt und verändert hat", sagte der CSU-Politiker. Niedergesäß bedankte sich bei den Helfern, "die da waren, um den Opfern beizustehen".

Sein Dank richtete sich an die Polizei und an die Feuerwehren aus Nettelkofen, Grafing und Ebersberg, die in Festuniform mehrere Bankreihen besetzten. Viele seien jetzt traurig, wütend und verängstigt, sagte Niedergesäß: "Wir dürfen aber nicht zulassen, dass dieses Gefühl der Ohnmacht jetzt unser Leben bestimmt".

Auch wenn nichts für einen terroristischen Hintergrund spricht, ist das Messer-Attentat für die Stadt Grafing das schlimmste Ereignis der jüngeren Geschichte, daran ließ Bürgermeisterin Angelika Obermayr kaum Zweifel. "Es ist unfassbar, wie das Verbrechen in unsere Stadt kam und unser Ur- und Gottvertrauen erschüttert hat", sagte die Grünen-Politikerin, die seit 2014 im Amt ist.

Das Attentat werde "in das kollektive Gedächtnis der Stadt einsickern", sagte Obermayr und ordnete es in eine Reihe mit dem Zugunglück von Oberelkhofen ein, bei dem vor mehr als 70 Jahren etwa hundert Kriegsgefangene ums Leben kamen.

So schwer es den Angehörigen der Opfer in diesem Moment gefallen sein dürfte, nahm die Messdienerin auch den Verursacher der Bluttat in ihre Fürbitten. "Wir bitten dich, dass der Verantwortliche die Einsicht hat, Hilfe annehmen zu können", hieß es darin.

© SZ vom 12.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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