Gebeutelte Branche:Dank Lokalpatriotismus

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Lesen hilft, gerade in Krisen wie dieser. Insofern wundert es nicht, dass die Zahl der Literaturfans im vergangenen Jahr zugenommen hat, trotz immer wieder geschlossener Buchhandlungen. (Foto: Christian Endt)

Die Buchhandlungen im Landkreis Ebersberg sind sich einig: Was sie durch die Pandemie getragen hat, ist ihre Kundschaft. Trotzdem bleibt die Lage durchwachsen

Von Michaela Pelz

Seitdem der aktive Wortschatz der Deutschen um die Vokabel "Systemrelevanz" erweitert wurde, weiß man, dass sich der Unterschied zwischen "offen" und "geschlossen" an dem festmacht, was ein Laden verkauft: Bananen, BHs oder Bücher. Und längst nicht immer war man sich bundesweit darüber einig, ob die Bevorratung mit Lesestoff ein Grundbedürfnis ist - oder doch verzichtbar. Eine Herausforderung also für die mehr als 5 000 Buchläden, jene "einzigartige Verbindung von Einzelhandel und Kulturinstitution", so Alexander Skipis vom Börsenverein anlässlich der Präsentation einer Zwischenbilanz zum Buchmarkt in der Pandemie Anfang Juli. Die Quintessenz: Im Jahr 2020 erlitt der stationäre Verkauf Einbußen von 9,0 Prozent, das Onlinegeschäft, mit dem etwa ein Viertel des Gesamtumsatzes erzielt wurde, stieg um 20,9 Prozent - am Gesamtumsatz der Branche hat sich praktisch nichts verändert. Beim Blick auf das erste Halbjahr 2021 zeigt sich im Vergleich mit dem selben Zeitraum des Vor-Corona-Jahrs 2019 allerdings ein Minus von 22,9 Prozent für den Buchhandel. Auch die Läden im Landkreis Ebersberg hat es ordentlich gebeutelt - doch aufgeben musste keiner. Vielmehr haben sie große Unterstützung vonseiten der Kunden erfahren.

"Dieses ganze Hin und Her hat mich persönlich ganz schön mitgenommen. Man fühlte sich wie in einem Tunnel", beschreibt Hedwig Wobken, Inhaberin des Buchladens in Kirchseeon, ihre Gefühlslage. Erst der Jahresanfang mit massiv eingebrochenen Umsätzen, dann die Wiedereröffnung mit sehr erfreulichen Zahlen -"Die Kunden hatten echt Hunger nach Lesefutter" -, gefolgt von erneuten Einschränkungen, deren Auswirkungen lange zu spüren waren. "Anfangs haben wir fleißig ausgeliefert, auch Click & Collect und Click & Meet wurden gut angenommen. Doch als die Kunden Tests machen sollten, um wieder in den Laden zu gehen, war es vorbei - was ich gut verstehen kann", sagt Wobken. Danach habe es gedauert, bis sich alles normalisierte.

Auch Björn Hartung, der neue Besitzer vom Buch Otter in Ebersberg, empfand die ersten Monate als sehr frustrierend: "Wie sich das ständige Auf-zu-auf-zu ausgewirkt hat, kann ich noch nicht einschätzen. Auf jeden Fall ist jetzt die erste Phase, in der ich zufrieden damit bin, wie es läuft." Dennoch bereut er die Übernahme nicht, habe sich doch das bestätigt, was ihn dazu bewogen hatte: die Lesefreude der Ebersberger und ihre ausgewiesene Loyalität zum Angebot vor Ort, die sich selbst dann gezeigt habe, als die Menschen nicht physisch im Sortiment stöbern konnten.

Vom Lokalpatriotismus profitiert man auch in Grafing, wo die Bücherstube Slawik kürzlich zu einer Filiale der Bücher Herzog Medien OHG wurde. Allerdings blieb nicht nur das Team, sondern auch der alte Name erhalten - mit positiven Auswirkungen, wie Filialleiterin Regina Sotta-Rothmoser erklärt. Und Christine Schweinböck, langjährige Mitarbeiterin, fügt hinzu: "Unsere Kunden honorieren, dass sich für sie nicht viel verändert hat. Darum ist neben dem Besuch von Obstladen und Metzger auch ein Zwischenstopp in der Bücherstube nach wie vor fester Bestandteil ihres Einkaufsbummels."

Praktisch nie von Schließung betroffen war der Bücherladen in Assling, den Inhaberin Karen Schiöberg-Fey scherzhaft als "Kulturkaufhaus" bezeichnet: "Dank des Sortiments mit Presse, Lotto, Schreibwaren und Büchern gab es immer eine Regelung, die für uns greift." Die Dauerpräsenz sei aber nicht nur im Hinblick auf Rätsel- und Malbücher zur Ablenkung oder Nachschub an Büro- und Schulbedarf geschätzt worden: "Die Leute waren froh, bei uns sein zu können, denn wer immer nur im Homeoffice sitzt, kriegt einen Lagerkoller!" Darum sei man sehr gut durch diese Zeit gekommen und habe sogar zahlreiche Neukunden gewonnen.

Übereinstimmend ist es also die Kundschaft, neu oder treu, die für den Erhalt "ihrer" Buchhandlung verantwortlich ist. Deswegen will sich Margot Bartl von AP-Buch in Baldham, für die es im ersten Quartal erklärt gut lief, explizit bei allen für die gezeigte Wertschätzung bedanken. "Von manchen Anrufern kam sogar: "Ich bestell' extra ein Buch, damit Sie nicht zumachen müssen."

Telefonate mit "menschlich unglaublich anrührenden Reaktionen" erlebte auch Elke Knitter in ihrem Poinger Buchladen: "Geht es euch gut? Wie können wir helfen?", wurde da gefragt. Das sei nicht nur psychisch unheimlich aufbauend gewesen, sondern auch finanziell. Trotz der Verluste aus Januar und Februar sei der Fortbestand des Ladens aber gesichert - dank der Mitarbeit von Sohn und Tochter. "In der Familie verzichtet man notfalls schon mal einen Monat aufs Gehalt, wenn es eng wird."

Bei allen Befragten sind die Onlinebestellungen gestiegen: 27,2 Prozent betrug die Zuwachsrate bei den buchhändlerischen Webshops laut Börsenverein - bei Amazon waren es 7,2 Prozent. Worin der größte Unterschied zwischen der Abholung der bestellten Ware im Laden und dem Versand per Post besteht, hat Hedwig Wobken eindrucksvoll den Kirchseeoner Kindern aus Grundschule und Gymnasium gezeigt, zu deren Zoomkonferenz sie am Welttag des Buches zugeschaltet war: Bass erstaunt seien diese beim Anblick der vielen Einzelumschläge gewesen, die man für die Lieferung eines einzigen Tages brauchen würde. Keine Frage, dass also auch unter Umweltgesichtspunkten der Gang in den Laden vor Ort die weitaus bessere Alternative ist.

Wie es im Herbst und Winter weitergehen wird? Schön wäre, wenn der Aufschwung anhielte - ein Marktforschungsinstitut hat ermittelt, dass es trotz monatelang geschlossener Läden 2020 einen Zuwachs von 25 Prozent bei den Buchfans gab, bei den Zehn- bis 19-Jährigen lag das Plus sogar bei 34 Prozent. Björn Hartung hofft derzeit aufs Schulbuch- sowie Weihnachtsgeschäft, außerdem ist er optimistisch bezüglich eventueller erneuter Einschränkungen, weil das Team geimpft sei und dank eines tragbaren EC-Geräts das Geschäft notfalls auch an der Tür abgewickelt werden könne. Ganz viele Novitäten habe er auf jeden Fall bereits vorrätig. Und irgendwann, hofft er, könne er doch noch, wie geplant, Lesungen abhalten.

Hedwig Wobken wird nun mit Hilfe des Förderprogramms "Neustart Kultur" digitale Inhalte produzieren, um ihre Onlinedarstellung aufzupolieren und die Präsenz bei Instagram und Co zu verstärken. Solche Maßnahmen seien gut und wichtig, sagt sie - aber: "Eigentlich will ich doch nur Bücher verkaufen!"

© SZ vom 21.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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