Als Christa Stewens 1994 als Abgeordnete in den Bayerischen Landtag kam, gab sie als Beruf "Hausfrau" an. Damals habe man ihr gesagt, dass sie das doch so unmöglich angeben könne, erzählt Stewens bei einem Kaffee in ihrem Haus in Poing. Daraufhin habe sie erwidert: "Warum nicht? Das mache ich eben hauptberuflich mit sechs Kindern."
27 Jahre später sitzt die 76-Jährige in ihrem Esszimmer, fein gekleidet im blauen Samt-Oberteil und Blazer, und denkt zurück an ihre politische Laufbahn. Die sechs Kinder sind längst aus dem Haus, inzwischen ist Stewens sogar stolze Großmutter von 24 Enkeln.
Dass sie einmal so tief in die Politik einsteigen würde, hätte sie nie gedacht. "Eigentlich wollte ich Medizin studieren", sagt sie und lacht. Doch dann kam alles anders. Mit 19 Jahren wurde sie schwanger, brach das Abitur ab und blieb erst einmal zu Hause bei den Kindern. Erst das dritte Kind kam in den Kindergarten, schließlich auch die drei, die noch folgten.
"Schon damals war es total schwierig, einen Kindergartenplatz zu bekommen", blickt Stewens zurück. Ihre erste politische Aktivität war daher, einen Verein namens "Kindergarten auf dem Land" zu gründen. Als Stewens dann 33 Jahre alt war, ging sie den nächsten Schritt in die Politik. Sie wurde CSU-Gemeinderätin in Poing. Es folgten Ehrenämter als zeitweise stellvertretende Bürgermeisterin in Poing, Kreisrätin in Ebersberg oder auch als Umweltpolitische Sprecherin der CSU-Kreistagsfraktion - all das aber auf kommunaler Ebene.
Dann, mit 49 Jahren, betrat Stewens die größere politische Bühne. 1990 wurde sie oberbayerische Bezirksrätin und 1994 zog sie sogar für den Stimmkreis Ebersberg in den Bayerischen Landtag ein. "Als Neueinsteigerin in den Landtag habe ich mit meinen fast 50 Jahren sicherlich zu den Älteren gehört." Dass Stewens erst so spät für den Landtag kandidierte, hatte freilich einen Grund: Zu diesem Zeitpunkt waren ihre Kinder schon weitestgehend selbständig.
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"Ja, und dann ist es so richtig losgegangen", sagt die heute 76-Jährige. Damit meint sie gewiss, die politischen Ämter, die dann noch kommen sollten: 1998 Bayerische Staatssekretärin für Landesentwicklung und Umweltfragen, 2001 Bayerische Staatsministerin für Arbeit, Sozialordnung, Familie und Frauen und von 2007 bis 2008 sogar stellvertretende Ministerpräsidentin Bayerns.
Bei einem Blick auf diesen langen Lebenslauf mit all seinen Haupt- und auch zahlreichen Ehrenämtern kommt dem ein oder anderen da vielleicht die Frage in den Sinn: Wie hat sie all das organisiert - mit ihren sechs Kindern? "In der Kommunalpolitik spielt sich ja vieles abends ab, da war dann immer mein Mann zu Hause", so Stewens. Und dass sie Einblicke sowohl in das Leben einer Großfamilie als auch in die Politik hatte, habe ihr sehr gut getan. "Ich finde es wichtig, beides zu kennen."
Zwar hatte sie in den 90er Jahren als Frau im Landtag noch Seltenheitswert, benachteiligt oder gar gemobbt hat Stewens sich aber nie gefühlt, sagt sie. "Ich habe mich als Frau immer ganz wohl gefühlt. Alle Politiker sind stets fair mit mir umgegangen." Dafür verantwortlich macht die Poingerin unter anderem ihre eigene Offenheit und ihren Umgang mit Kollegen.
Auch für Stewens Kinder dürfte es etwas ganz Besonderes gewesen sein, so eine bekannte und engagierte Mutter zu haben. "Meine Familie stand immer hinter mir, die Kinder fanden es gut, was ich machte." Doch die Politikerin erinnert sich an den Moment, als sie 2001 Bayerische Sozialministerin wurde. "Da rief mich mein Sohn an und sagte: ,Jetzt stehst du in allen Zeitungen, pass auf dass du in keine Skandale rutschst.'" Schmunzelnd erzählt Stewens, dass sie ihrem Sohn damals antwortete, sie wolle sich bemühen.
Im Landtag habe sie sich unter den anderen Abgeordneten erst einmal beweisen müssen, deshalb wollte sie sich gründlich in die Materie einarbeiten. Doch am meisten "gebüffelt" habe sie, als sie Sozialministerin wurde, so Stewens. "Sozialversicherung, Arbeitsversicherung, Rentenversicherung. Ich glaube, als Abgeordnete muss man sein Leben lang lernen." Wenn Stewens einmal etwas nicht verstanden hat, sei sie sich nicht zu schade gewesen, Kollegen oder Mitarbeiter um eine Erklärung zu bitten. "Schließlich ist es viel schlimmer, als Ministerin etwas zu unterschreiben, was man nicht versteht, als einfach nachzufragen", findet Stewens.
Dieses ständige Weiterbilden sei es auch, was Menschen jung und fit hält. Stewens selbst könnte der beste Beweis dafür sein. Mit acht ihrer insgesamt 24 Enkel war sie gerade erst für ein paar Tage am Thiersee in Österreich, wenige Tage später noch mal mit sechs Enkeln am Staffelsee. Erst im Juli hatte sie ihr Amt als BRK-Kreisvorsitzende nach 24 Jahren an die Anzinger Bürgermeisterin Kathrin Alte abgegeben. Auch bei der Wahl zur Bezirksvorsitzenden des BRK-Oberbayern ist sie nun nicht mehr angetreten. Doch wer jetzt meint, bei der 76-Jährigen könnte nun bisweilen Langeweile aufkommen, der irrt.
Weiterhin sitzt Stewens unter anderem ehrenamtlich im Stiftungsrat des Ambulanten Kinderhospizes München (AKM), wo sie eigenen Aussagen zufolge als ehemalige Sozialministerin gelegentlich als "Türöffnerin" agieren kann. Unter all den Ehrenämtern, die sie im Laufe ihres Lebens inne hatte oder gar immer noch hat, "rangiert die Arbeit beim AKM in Wichtigkeit und Notwendigkeit für mich ganz oben".
Ja, die zwanzig Jahre seien wirklich stressig gewesen, sagt Stewens rückblickend. Zeit für sich hätte sie wenig gehabt. Die Pläne für ihre Zukunft sind daher Reisen und viel Zeit mit ihrer Familie und ihren Enkeln zu verbringen. "Ich möchte von nun an keinen Geburtstag meiner Kinder oder Enkel mehr verpassen."