Kino in Ebersberg:Das Leben ist eine Improvisation

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Der Film "Der getrennte Weg" von Valentin Winhart aus Glonn erzählt vom Leben des Jazz-Musiker Franz Dannerbauer, seinem Vater.

Von Ulrich Pfaffenberger

Wenn zwei "getrennte Wege" gehen, dann heißt das in der Regel: "Abschied für immer". Vielleicht aber haben sie auch von Anfang an keinen gemeinsamen Weg genommen. Oder das Trennende ist so schmal, dass man es kaum wahrnimmt. Ja, sogar diese Möglichkeit ist denkbar: Die erst einmal getrennten Wege führen zu einem vorläufig unbekannten Zeitpunkt doch noch zusammen.

Es ist ein vielschichtiger Titel, den Filmautor Valentin Winhart aus Glonn einem Porträt über seinen Vater gegeben hat: "Der getrennte Weg" über den Jazz-Musiker Franz Dannerbauer bedient - in unterschiedlichen Gewichtungen und Ausprägungen - all die genannten Optionen. Selbst die Tatsache, wessen Wege da getrennt verlaufen, erschließt sich erst im Lauf der rund 90 Minuten, in denen sich der Film mal locker, mal eng um seinen Titel windet, wie ein Weg eben, der sich der Topografie anpasst und nicht mit Gewalt durchs Gelände pflügt.

Rund sechs Jahre ist Winharts Arbeit alt, als Abschlussarbeit an der Hochschule entstanden und daher mit ein paar vermeintlichen technischen Mängeln behaftet, die der Autor offen anspricht, als ihn am Ende des Livestreams aus dem Alten Kino am Mittwoch die Moderatorin Barbara Lux fragt, ob er den Film so noch einmal drehen würde. Es spricht für den Sohn, dass ihm in diesem Moment das Handwerk in den Sinn kommt, nicht der Inhalt. Der Weg des Älteren mit dem Jüngeren ist offenkundig noch derselbe.

Franz Dannerbauer, seit Jahren an Parkinson erkrankt, konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht wie geplant zur Vorführung kommen und beteiligte sich via Chat an der Diskussion. Dennoch würde wohl keiner, der zugeschaut hat, sagen: "Er war nicht da." Das Trennende zwischen dem Musiker und seinem Publikum war nur ein paar Bit breit. Eigentlich waren ja, pandemisches Paradoxon, alle da und doch keiner. Die Lebendigkeit der Bilder, die offenen Worte der Wegbegleiter und Angehörigen im Film, vor allem aber die Musik schufen eine alles durchdringende Präsenz. Ein Kunststück, wie der Sohn die Kamera auf den Vater richtet und den Menschen sichtbar macht.

Die Geschichte, die der Film erzählt, ist so abwechslungsreich, überraschend und einzigartig wie eine gelungene Jamsession. Nicht nur, weil der Jazz Dannerbauers Leben prägt, sondern weil die Botschaft jedes Schnitts, die Worte jedes Zeitzeugen, das geistreiche Einflechten musikalischer Zitate und der Mut zur Improvisation beim Komponieren des Films ein glaubwürdiges Ganzes ergeben, das berührender ist als jede ausgefeilte Doku. Spannend ist das Opus nicht zuletzt auch, weil der Sohn einiges Material aus einem früheren Film über den Vater verarbeitet hat, den Heinz-Günter Weber produzierte.

Das Alte Kino in Ebersberg hat nun zueiner Onlinevorstellung samt Filmgespräch mit Babsi Lux eingeladen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

1989 hat Dannerbauer mit seiner Band Music Liberation Unit die LP "The segregated way" veröffentlicht, deren Titel der Film nicht nur in Übersetzung annimmt. Wobei, schon wieder ein Paradoxon, wie es im Leben Dannerbauers häufiger vorkommt, ihm selbst das Wagnis am meisten bedeutete, der gesicherten bürgerlichen Existenz des eigenen, verständnislosen Vaters den Rücken zu kehren und sich der Musik zuzuwenden. Einige Besuche des alten, heizungslosen Bauernhofs in Weiher machen ungeschminkt sichtbar, wie hoch der Preis der Enthaltsamkeit zugunsten der Leidenschaft gewesen sein muss. Auch für Ehefrau und Kind, dem Dannerbauer nach eigenen Worten die "extreme Angst des Musikers vor dem Leben, wenn man nicht abgesichert ist" eigentlich nicht zumuten wollte. Aber: "So, wie's jetzt is, bin i auch glücklich. Ohne Bungalow."

Es fallen viele nachdenkliche Sätze in diesem Film. Jeder von ihnen, ob sie von Dannerbauer kommen oder von anderen, erklärt zweifelsfrei, warum der sich nicht mit der Rolle des Kontrabassisten zufriedengeben konnte. Also komponieren, am liebsten eine Sinfonie, aber keine Klassik, wegen der strengen Form, sondern für den Jazz, der dieses Stilmittel kaum kennt. "Paralyse" heißt das Album, in dem sich dieser Gedanke letztlich aus den Fesseln des Wünschens ins Spielen befreit - und alles aus dem Weg räumt, was sich einer möglichen Trennung entgegenstellt. Einer, der mit auf der Bühne musizierte, fasst es in die lakonischen Worte, als er auf die als anspruchsvoll und schwer spielbar geltenden Kompositionen Dannerbauers angesprochen wird: "Man hat die Musik kennengelernt wie die Person selbst." Es sind bewegende Passagen aus Konzertmitschnitten zu sehen, wo sich in Gesicht und Haltung des Bandleaders alles spiegelt, was seine Musik ausmacht: Wagemut und Entschlossenheit, Neugier und Witz, Lust am Spiel und Begeisterung für die Musik.

Weshalb absehbar ist, was passieren wird, wenn die Krankheit einmal überhandnimmt. "Jeder muss amoi sterb'n", sagt Dannerbauer entspannt in die Kamera. "Es kommt irgendwann, dass i nimmer spiel'n kann. Wenn i nix mehr mach', dann is die Grupp'n g'storb'n." Erst dann trennen sich die Wege wirklich.

Wer den Film nach-sehen möchte: Die DVD ist jetzt unter http://www.mlu-records.de/der-getrennte-weg erhältlich.

© SZ vom 12.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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