Von Poing nach Alaska und Co.:Die ganze Welt mein Zuhause

Lesezeit: 7 min

Kathrin Heckmann, aufgewachsen in Poing, ist "Fräulein Draußen": Sie betreibt einen der bekanntesten Reiseblogs im deutschsprachigen Raum, im Juni ist das erste Buch der 32-Jährigen erschienen

Von Johanna Feckl

Es ist ein Freitag im Hochsommer, Pausentag für Kathrin Heckmann. Seit gut fünf Wochen ist die 32-Jährige da schon mit dem Fahrrad in Schweden unterwegs, vom Süden immer weiter Richtung Norden, im Idealfall bis nach Norwegen. An diesem Tag wird aber nicht geradelt, es steht Pausentag-Programm an: die wenigen Kleidungsstücke, die sie bei sich trägt, waschen. Frische Lebensmittel einkaufen und kochen. Ein paar auf Reserve anschaffen, aber ja nicht zu viele, es muss schließlich alles in den Packtaschen am Fahrrad verstaut werden. Viel essen ist wichtig an Pausentagen, ebenso wie schlafen, zwischendurch vielleicht mal ein bisschen Yoga und Stretching, um den Körper bei Laune zu halten. Einen groben Plan für die Route der kommenden Tage zurechtlegen. Und viel rumliegen. So schildert Heckmann ihren Plan für den Tag. Klingt gemächlich. Aber: "Pausentage sind eigentlich immer relativ anstrengend", sagt Heckmann. Fahren sei entspannter. "Ich sitze einfach gerne von morgens bis abends auf dem Rad - und wenn ich dann ins Zelt falle und nur noch ein paar Nudeln schlürfen kann, dann war's ein guter Tag."

Im Moment sitzt Kathrin Heckmann aber, die blonden Haare offen, vor ihrem Laptop, in der Gemeinschaftsküche einer Unterkunft in einem kleinen Ort in Nordschweden. Unweit von ihrer Herberge befindet sich der sogenannte Vildmarksvägen - die "Wildnisstraße" im nördlichen Jämtland und südlichen Lappland, die am höchsten gelegenen asphaltierten Straße in Schweden. Oder anders formuliert: Das Örtchen liegt ziemlich ab vom Schuss - genau so, wie es die 32-Jährige am liebsten mag. Trotzdem funktioniert die Internetverbindung hervorragend. Heckmann, aufgewachsen in Poing und seit einigen Jahren Münchnerin, ist Bloggerin. Seit 2013 schreibt sie unter dem Namen "Fräulein Draußen" übers Fernwandern und seit neuestem auch über das Fernradeln auf Wegen, wo es die Regel ist, tagelang keinem anderen Menschen zu begegnen. Im Juni erschien ihr erstes Buch, in dem sie beschreibt, was das mit ihr gemacht hat - diese intensive Art des Draußenseins.

Als "Fräulein Draußen" bloggt Heckmann über ihre Reisen durch die Natur. (Foto: Privat)

Von der Bloggerin zur Autorin: "Das war eine wahnsinnige Umstellung", sagt Heckmann. Weg von "kurz und knapp", hin zu "Gedanken mal wirklich auserzählen", so beschreibt sie den Unterschied. Ist das eine also schlechter als das andere? Nein, das nun nicht, sagt die 32-Jährige. Nur anders eben. Nachdem sie bereits gut sechs Jahre lang von ihren weltweiten Wandererlebnissen in Blog-Form berichtete, sei die Arbeit an ihrem Buch eine spannende Abwechslung gewesen. Teilweise finden sich Texte zur selben Tour sowohl im Buch als auch auf dem Blog. Aber wer beides liest, wird feststellen, dass es sich nur theoretisch um dieselbe Wanderung handelt. In ihrem Blog-Eintrag zum Amatola Trail zum Beispiel, der durch die Wildnis Südafrikas führt, setzt sie sich mit den einzelnen Etappen auseinander, gibt Aufschlüsse über Ausrüstung und Anforderungen, die ideale Reisezeit oder Verpflegungs- und Übernachtungsmöglichkeiten. Im Buch hingegen beschreibt Heckmann, wie sich auf dieser Wanderung ihre Insektenphobie in eine Faszination für die kleinen Viecher verkehrt hat. Eine Wanderung - zwei Geschichten.

Aber wie wurde aus der Poingerin Kathrin Heckmann das "Fräulein Draußen, die Wanderin, Bloggerin und Buchautorin? Vor sieben Jahren, 2013, konnte noch keine Rede davon sein, dass Heckmann ein solches Leben führen würde. Damals saß sie als Marketingmanagerin in einem Münchner Büro. Acht Stunden am Tag. Oft mehr. Oft auch an Wochenenden. Zeit zum Reisen blieb nur an Urlaubstagen: Mal mit Freunden in den Alpen unterwegs sein, ein anderes Mal Camping, Festivalbesuche, eine erste Fernreise. "Ich habe keinen einzigen Urlaubstag zu Hause verbracht", sagt Heckmann. Aber erst mit einer zweiwöchigen Reise nach Schottland ging sie den ersten Schritt hinaus aus ihrem damaligen Büroleben in ihr jetziges Draußenleben - aus einer spontanen Laune heraus.

Selbst Tiefschnee kann Kathrin Heckmann beim Draußensein nicht aufhalten, etwa bei einer Wanderungen durch die Weiten Finnlands. (Foto: Kathrin Heckmann/oh)

Zum ersten Mal wollte die 32-Jährige damals alleine verreisen, zum ersten Mal alleine wildcampen. Warum? Warum nicht! Mittlerweile braucht sie das sogar, das Alleine-Unterwegssein. "Es ist intensiver, weil man viel mehr auf sich selbst achten kann", sagt Heckmann. "Ich suche das Naturerlebnis und nicht das soziale Erlebnis." Damals, vor dieser ersten Soloreise nach Schottland, stieß sie bei der Recherche nach Ausrüstung auf einige Blogs. "Das fand ich spannend - und dachte mir, dass es mir bestimmt auch Spaß machen würde, über meine Reisen zu schreiben." In einer "Nacht- und Nebelaktion", wie die 32-Jährige sagt, habe sie dann den Blog aufgesetzt und sich einen Namen dafür überlegt: "Fräulein Draußen" war in der Welt.

Blogs wurden ab den 2000er Jahren immer beliebter - das Wort "Blog" ist übrigens zusammengesetzt aus "Web" und "Log", also "Weblog", zu Deutsch Internet-Tagebuch. Gleichzeitig mit der Blog-Leserschaft von "Fräulein Draußen" wuchsen auch ihre Social-Media-Kanäle. Mittlerweile hat Heckmanns Instagram-Account, mit dem sie ihre Trips beinahe live begleitet, 21 100 Abonnenten - selten sind Posts dabei, die weniger als 1000 Reaktionen aufweisen. Auf Facebook hat "Fräulein Draußen" bald 15 000 Abonnenten, auf Twitter 2900 Follower. Irgendwann trudelten bei Heckmann deshalb die ersten Kooperationsanfragen von Firmen und Tourismusverbänden ein. Willst du unsere Uhr testen? Willst du diesen Wanderweg mal versuchen? "Drei Jahre später war es dann so, dass ich neben meinem Job zu wenig Zeit hatte, all das zu machen und zu testen, was ich hätte machen können", erzählt sie. Das Können scheint aber nicht der entscheidende Punkt gewesen zu sein: Sie hatte zu wenig Zeit für all das, was sie hätte machen und testen wollen.

Die 32-Jährige aus Poing kommt bei ihren Reisen durch die Natur nicht nur sich selbst nahe, sondern auch der Tierwelt. (Foto: Privat)

Die Jahre zuvor hatten in Kathrin Heckmann jedenfalls eine Erkenntnis wachsen lassen, die sie nun klar sehen konnte: "Ich bin schlecht darin, etwas auszuhalten, was ich nicht machen will - und in dem Fall war das mein Bürojob." Sie wollte nach draußen. Heckmann fällt es schwer zu erklären, wie sie sich da so sicher sein konnte. Es sei einfach ein Wunsch, ein Gefühl von "da gehöre ich hin". Dafür gebe es letztlich keinen Grund oder Auslöser. "So etwas fühlt man einfach oder eben nicht." Im Prolog ihres Buchs schildert die 32-Jährige diese Zeit so: "Ich wusste, dass ich keine andere Wahl hatte, als an diesen Wunsch zu glauben und ihn in die Tat umzusetzen, wenn ich glücklich werden wollte." Heckmann kündigte. Das war 2016. Seitdem ist sie hauptberuflich Bloggerin.

Sorge, dass sie einmal finanzielle Nöte zwingen könnten, eine unliebsame Kooperation einzugehen, hatte sie nicht. "Ich lehne tatsächlich die allermeisten Anfragen ab, weil es einfach nicht zu mir passt", sagt Heckmann. "Das ist bis heute so." Sie ist davon überzeugt, dass sich ihre gründliche Auswahl an Geschäftspartnern langfristig auszahlt. "Die Leser würden das sofort merken, wenn ich für etwas werbe, hinter dem ich gar nicht stehe." Sollte es finanziell wirklich einmal mehr als knapp werden, würde sie einfach für ein paar Monate etwas anderes arbeiten, sagt Heckmann ganz entspannt. "Mein Job als Bloggerin ist ja ohnehin immer mit einer gewissen Unsicherheit verbunden." Und mit ihrer Berufserfahrung im Marketingbereich habe sie immer etwas in der Hinterhand.

Das Eichhörnchen verirrte sich beinahe in ihre Wanderschuhe. (Foto: Privat)

Seit Juni ist Heckmann nun also auch Autorin, und für dieses Projekt hat sie sich viel Zeit genommen. Schon früh wurde die Bloggerin mit Angeboten, ein Buch zu schreiben, konfrontiert. Jedes Mal lehnte sie ab. "Ich hatte das Gefühl, dass ich dazu noch nicht genug erlebt hatte", erklärt die 32-Jährige. "Die Geschichte für ein Buch war sozusagen noch nicht fertig erlebt." Bis sie vor gut eineinhalb Jahren wieder einmal ein Literaturagent kontaktierte und ihr eine grobe Skizze für ein Buch vorschlug. Eine ähnliche Idee hatte sie bereits in ihrem Kopf - dieses Mal passte es einfach. "Ich wollte nie einen klassischen Wanderbericht schreiben, sondern meine Erlebnisse auf eine Metaebene heben." Nicht über die Wege, die sie durch die ganze Welt führten, sondern ihre innere Reise, die damit einherging - darüber wollte sie schreiben: Wie wurde sie der Draußenmensch, der sie heute ist?

Es stimmt: Heckmanns Buch ist kein Reise- oder Wanderbuch im klassischen Sinne. Lediglich im Anhang beschreibt sie auf etwas mehr als zehn Seiten fünf Routen "zum Nachwandern". Darunter fünf Wanderungen, um die sich auch einige der 237 Seiten zuvor drehen, etwa der Nordseewanderweg in Dänemark, der Bibbulum Track in Australien oder der South West Coast Path in England. Wenn Heckmann im Hauptteil ihres Buches von diesen Wanderungen erzählt, dann nehmen die Schauplätze aber eine Nebenrolle ein. Im Mittelpunkt steht die Natur, das Draußensein. So beschreibt sie etwa das schottische "Moor-Glossar", in dem hunderte von gälischen Begriffen aufgelistet sind, mit denen die Vielfalt der Moorlandschaft beschrieben werden kann. An anderer Stelle erfährt man Interessantes über die Bärenpopulation Alaskas, etwa 30 000 Grizzlys und dreimal so viele Schwarzbären leben dort. Gefährlich für eine Solowanderung? Deutlich weniger als eine Autobahnfahrt, wie Heckmann schreibt. Begegnet ist sie während ihrer vierwöchigen Wanderung jedenfalls keinem einzigen Bären.

Dass die Natur der Dreh- und Angelpunkt von Heckmanns Draußen-Arbeit ist, erkennt auch, wer einen Blick auf ihre Videos und Fotos wirft: Wenn die 32-Jährige überhaupt einmal zu sehen ist, dann meist aus der Ferne und oft von hinten, umgeben von Bergen, Wäldern, Wiesen oder Meer.

Der 32-Jährigen geht es weniger ums Reisen, nicht um ein paar Selfies an einem sensationsträchtigen Hotspot, die sich gut auf Instagram oder beim nächsten Small Talk machen. Es geht allein um das Draußensein, um diese "ganz besondere Freiheit", die sie nur in der freien Natur erlebt. In ihrem Buch schreibt Heckmann: "Einfach meinen Rucksack packen, draufloslaufen, irgendwo mein Zelt aufbauen und damit nicht nur diesen Platz, sondern die ganze Welt zu meinem Zuhause erklären." Das Wo ist also gar nicht so wichtig - das wird beim Lesen schnell klar. "Draußensein kann ich überall."

Nun war Heckmann also gut zwei Monate in Schweden und Norwegen mit dem Fahrrad unterwegs, mittlerweile ist sie wieder zurück in Deutschland. Dass sie ihre Wanderschuhe einmal gegen ein Rad eintauschen könnte, diese Idee schwirrte ihr schon seit einiger Zeit durch den Kopf. Als sie in diesem Frühjahr Corona-bedingt in Holland festsaß, gehörte das Radeln schnell zu ihrer täglichen Routine - es gab schließlich nicht viel, was man ansonsten hätte tun können. Wieder zurück in Deutschland begann sie mit den Plänen ihrer Schweden-Norwegen-Tour. Und weil die Infektionszahlen es zuließen, radelte sie los. "Ich schlafe meistens in meinem Zelt und treffe niemanden", sagt sie. Nur manchmal kehre sie in eine Unterkunft ein, so wie an diesem Tag im Hochsommer. Einem Pausentag.

© SZ vom 02.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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