Folgenschwerer Unfall:Hand gebrochen: Julius Garbe aus Ebersberg verpasst Olympia

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Julius Garbe, 25, ist Deutschlands bester Buckelpistenfahrer. In Südkorea hätte er zum ersten Mal bei Olympia dabei sein können. Jetzt kommentiert er die Wettkämpfe fürs Fernsehen. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Kurz vor den Spielen in Südkorea zerplatzen alle Hoffnungen des 25-Jährigen. Bei einem Weltcup in den USA nimmt das Drama seinen Lauf.

Porträt von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

Die Piste ist hart, über Nacht hat es gefroren. Der Ski läuft, das Tempo stimmt, der erste Sprung, ein Flat-Spin-360-Japan-Grab. Er wirbelt zwei Sekunden durch die Luft, ein klasse Sprung, nahezu perfekt gelandet, die Skier sind wieder in der Spur. Weiter geht's, Buckel für Buckel - jetzt noch den zweiten Sprung überstehen. Er hebt ab, zum Cork-720, eine doppelte Körperdrehung gut fünf Meter über der Pistennabe. Eine Bewegung nach links, erste Drehung, zweite Drehung, "ich bin zu weit abgedriftet", sagt er. Dann die Landung, weit neben der Spur, fast ein Sturz, beim Aufkommen stützt er sich ab und prallt mit der Hand auf einen Eisbuckel. Ein stechender Schmerz.

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(Foto: Harald Marbler/OH)

Julius Garbe, 25,...

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...ist Deutschlands bester Freestyle-Skifahrer.

In Südkorea hätte er zum ersten Mal bei Olympia dabei sein können.

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(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Sein Traum von Olympia zerplatzt, als er sich bei einem Weltcup-Sprung den Handknochen bricht.

Julius Garbe erinnert sich an die Sekundenbruchteile, in denen sein Traum von Olympia zerplatzte. Ausgerechnet auf einer früheren Olympiapiste, bei einem Weltcup-Rennen in Salt Lake City, verletzte sich der Ebersberger Freestyle-Skifahrer vor zwei Wochen an der Hand. Die Spiele in Südkorea sind für ihn schon vorbei, bevor sie begonnen haben - aus der Traum, als einziger Sportler aus dem Landkreis Eberberg dabei zu sein. Während sich die Kollegen auf die Olympia-Buckelpiste von Pyeongchang vorbereiten, verbringt Garbe die Wochen vor den Rennen daheim in Ebersberg. Die Reisetasche liegt im Zimmer, die Skier stehen in der Garage. Am Handgelenk ist jetzt eine Schiene.

Ein Vormittag in Ebersberg, Julius Garbe trägt Kapuzenpulli und Baseball-Cap. Unschwer zu erkennen, dass hier ein Leistungssportler daheim ist, spätestens in der Garage: Gut zwanzig Paar Ski sind hier gestapelt, die meisten gehören ihm. Er fährt mit der gesunden Hand über die Stahlkante seines Rennskis. "Ich habe versucht, trotz Verletzung zu fahren", sagt er. "Der Arzt hat mir wegen Olympia das Okay gegeben."

Doch die Belastung auf die Hand ist auf der Buckelpiste zu groß. "Es tat bei jedem Stockeinsatz weh", sagt Garbe, da halfen keine Schmerzmittel. "Ich war nicht konkurrenzfähig", sagt er. Damit war es mit der ersten Olympiateilnahme erledigt, nach vier Jahren Vorbereitung. Wenn seine Teamkolleginnen Lea Bouard und Katharina Förster die Olympiapiste herunterfahren, wird Garbe in einem Münchner TV-Studio sitzen und die Rennen als Eurosport-Experte kommentieren. Ein gequältes Lächeln. So ganz ist das alles noch nicht verdaut.

Manchmal reicht ein kleiner Riss für den einen großen Bruch

Es ist nur eine kleine Verletzung, und doch ist es der bitterste Tiefschlag in der Sportlerkarriere des 25-Jährigen. Garbe war zwar noch nicht qualifiziert, doch die entscheidenden Rennen dafür standen da gerade an. "Er war schon sehr knapp an Olympia dran", sagt Nationalmannschafts-Trainer Harald Marbler am Freitag, das Handy am Ohr, er sitzt in einem Flugzeug nach Schweden zum Trainingscamp. "Es wäre alles für ihn möglich gewesen", sagt Marbler. Wäre der Unfall in Utah nicht passiert, wahrscheinlich säße Garbe mit im Flieger. So hockt er daheim am Küchentisch und schaut Röntgenbilder an. Die Fraktur unterhalb des kleinen Fingers ist kaum zu erkennen. Manchmal reicht ein kleiner Riss für den einen großen Bruch.

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Von Victor Sattler

Es lief gut bei Garbe, sportlich und auch sonst. Im Herbst hat er ein BWL-Studium begonnen, "das passt gut", sagt er. Vor allem aber hat er sich im Weltcup etabliert, in den vergangenen Jahren war der Ebersberger dort der beste und konstanteste deutsche Fahrer. Kein anderer bewältigt die 250 Meter lange Buckelpiste mit den beiden Kickersprüngen hierzulande so geschmeidig und flink wie der Mann vom WSV Glonn, zuletzt wurde er viermal in Folge deutscher Meister. International gehört Garbe immerhin zu den besten 30 Fahrern - was für einen deutschen Athleten in dieser Sportart durchaus eine Leistung ist.

Garbe hat die verletzte Hand mit der gesunden umschlungen. "Unter die Besten kommen ist echt schwer", sagt er. An der Weltspitze der Buckelpistenfahrer sind andere Nationen der Maßstab: Kanadier, Norweger und Franzosen - "dagegen haben wir kaum eine Chance", sagt Garbe. Und das hat seine Gründe: Deutsche Fahrer, egal ob bei den Männern oder den Frauen, sind hier benachteiligt, weil der Deutsche Skiverband (DSV) der Buckelpisten-Abteilung seit 2014 keine Zuschüsse mehr zahlt. Wirtschaftliche Gründe wurden damals vom DSV genannt. Seither hat sich in dieser Sache nichts mehr getan.

Der Deutsche Skiverband verweigert Julius Garbe und Co. die Fördergelder

Julius Garbe hat die Stirn in Falten, das leidige Thema Geld. Er weiß, dass er es gut erwischt hat, dass sich andere Familien einen Buckelpisten-Weltcupfahrer hierzulande nicht leisten könnten. Seine Mutter Christiane Garbe sitzt jetzt mit am Tisch, 25 000 Euro investiert die Familie pro Saison in den Sport, sagt sie. Das sechsköpfige Nationalteam muss sich um alles selbst kümmern - Material, Flüge, Unterkünfte. Selbst den Nationaltrainer zahlen Garbe und Co. aus eigener Tasche. Umso mehr fiebere sie mit ihm mit, sagt die Mutter. Und jetzt leidet sie mit.

Wie macht man weiter nach so einem Rückschlag? Macht man überhaupt weiter? Julius Garbe hätte genügend Gründe auszusteigen, allein schon aus finanzieller Sicht. Aufhören? Garbe hat sich auf seine Ellenbogen gestützt, er überlegt. "Ich war froh, dass ich nach dem Unfall kurz alleine war", sagt er. Weil es Momente gibt,wo einen niemand trösten kann. Manche Dinge muss man mit sich selbst ausmachen, als Skirennläufer lernt man das recht schnell.

Garbe richtet sich auf, lüpft die Kappe. "Nach Olympia sind noch zwei Weltcup-Rennen", sagt er. Bis dahin müsste der Knochen zusammenwachsen, das sagte der Arzt. Und dann? Nächste Saison steht die Weltmeisterschaft an. In Salt Lake City, wo sie 2002 einen Olympiasieger kürten - und wo 16 Jahre später die Hoffnungen eines Ebersbergers an einem Eisbuckel zerschellten. Alle Hoffnungen? Garbe sagt: "Mit dieser Piste habe ich noch eine Rechnung offen."

© SZ vom 27.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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