Ukrainische Geflüchtete:"Einfach ein Bett hinstellen reicht nicht"

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23 ukrainische Flüchtlinge sind in Herrmannsdorf untergekommen. Zusammen mit ihrem Gastgeber Karl Schweisfurth schauen sie den Schweinen zu. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

In den Scheunen der Herrmannsdorfer Landwerkstätten leben seit Anfang März sieben ukrainische Familien. Ein Besuch.

Von Alexander Karam, Glonn

"Abtrennungen? Die brauchen wir nicht", sagt Nina Kretsu. Die Ukrainerin steht im Dachgeschoss einer großen Scheune der Herrmannsdorfer Landwerkstätten neben ihrem Bett. Auch ihre Mutter Valentina Mashyr wohnt hier. Zwischen den Betten hängen Spannbetttücher als Sichtschutz. Doch die seien gar nicht notwendig: "Wir freuen uns, wenn alles offen ist, und man sich sehen kann", sagt Kretsu.

Es sieht wohnlich aus im Dachgeschoss der Herrmannsdorfer Scheune. Die Vorhänge bräuchte es eigentlich gar nicht, sagen die Ukrainer, die hier untergekommen sind. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Kretsu lebt mit ihrer Familie seit knapp zwei Monaten in Herrmannsdorf, geflohen vor den Schrecken des Krieges aus Mykolajiw in der Ostukraine.

Der Biohof ist mit dem Besuch von Prinz Charles und Herzogin Camilla 2019 international bekannt geworden. Hier gibt es eine Gaststätte, Bäckerei, Brauerei, Metzgerei und eine Käserei. Seit Anfang März dient zudem eine Scheune als neue Heimat für ukrainische Geflüchtete. Alle aus Herrmannsdorf hätten gemeinsam angepackt, um den neuen Bewohnern ein einfaches Ankommen zu ermöglichen.

In den Scheunen, in denen bisher bereits sieben Familien untergekommen sind, findet normalerweise der Ostermarkt statt. "Mit Corona war sowieso nichts möglich", sagt Karl Schweisfurth von den Herrmannsdorfer Landwerkstätten, der die Scheunen bereitgestellt hat.

Auch wenn es bald möglich sein sollte, die Scheunen für anderes zu nutzen, steht für Schweisfurth fest: "Rausschmeißen werden wir unsere Gäste nicht."

Karl Schweisfurth prüft, ob auch alle Geräte funktionieren. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Während des Gesprächs informiert sich der Unternehmer bei den ukrainischen Frauen, ob der Herd gut funktioniere - alles einwandfrei. Licht hingegen bräuchte man mehr: "Da müssen neue Lampen hin", sagt er mit einem Blick an die Scheunendecke.

Für Schweisfurth stand nach Ankunft der ersten Geflüchteten schnell fest zu helfen, sagt er. Die freien Kapazitäten in Herrmannsdorf trug er in die Liste der Münchner Freiwilligenhilfe ein. Erst kamen Olena Husieva und Maryna Saienko, dann deren Freundinnen und Bekannte. Mittlerweile ist die Scheune voll.

Der Internet-Übersetzer hilft bei der Verständigung

Das Ankommen in der Unterkunft war nicht leicht. "Das Landleben ist schon etwas anderes als das Leben in der Stadt", sagt Husieva. Sie behilft sich mit dem Google-Übersetzer bei der Verständigung, "besonders für die Kinder".

Die Stimme des Übersetzers aus dem Handy ist schwer verständlich, denn nebenan steht eine Tischtennisplatte, um die Makzym und Deniz Saienko, 13 und zehn Jahre, und Jarek Husieva, 14, einen Tischtennisrundlauf spielen. Die große Scheune dient als Aufenthaltsraum für die Kinder. Zwischen Schafskulpturen und Holzbalken kann man hier essen und toben. Der fünfjährige Vova saust mit seinem kleinen Fahrrad durch die Scheune. Er umkurvt die Beine der Anwesenden und testet die Fliehkraft.

In der Tenne ist viel Platz zum Spielen und Toben. Da testet schon mal ein Fünfjähriger die Fliehkraft mit einem kleinen Fahrrad. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

"In den ersten Tagen saßen alle Kinder noch am Handy", sagt Ute Böhner, "doch nach ein paar Tagen ging bei den Kindern die Post ab." Die 54-Jährige koordiniert das Ankommen und den Aufenthalt. Sie sei überzeugt, sagt sie, dass die Nähe zur Natur den Platz zu einem "Ort der Freude" machen.

Nicht immer fällt das Lächeln leicht. "Man denkt oft an die Heimat", sagt Kedys. Ihr Mann ist bei der Luftwaffe

"Man kann hier gut relaxen", sagen Alyona Zherdieva und Maryna Saienko. "Wir versuchen uns daran anzupassen, hier öfter zu lächeln als zu Hause. In der Ukraine sind wir in der Begegnung eher nüchtern zueinander." Doch nicht immer fällt das Lächeln leicht: "Man denkt oft an die Heimat und an die Familie, die noch dort ist", sagt Tetjana Kedys. Ihr Mann ist bei der Luftwaffe. Dass er sich verletzen oder gar sterben könnte, ist ihre größte Sorge.

Trotz des friedlichen Lebens in Herrmannsdorf gibt es auch hier Verletzungen: Vladi, ein "super Fußballspieler" hat sich bei einer seiner Aktivitäten am Bein weh getan. Der Zwölfjährige muss sich nun erst mal schonen.

Für Lionel, den 14-jährigen Sohn von Böhner, der in Herrmannsdorf lebt, ist die Ankunft der neuen Bewohner eine Bereicherung: "Ich habe schon viele Freunde gefunden." Erst vor kurzem hat er als DJ zum 14. Geburtstag von Jarek in der großen Scheune ukrainische und deutsche Charts abgespielt.

Ute Böhner organisiert den Aufenthalt der ukrainischen Flüchtlinge, ihr Sohn Lionel freut sich über die neuen Freunde. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Seinen Lieblingsplatz hat Lionel den neuen Freunden bereits vorgestellt: "Von dort hat man einen super Blick auf die Alpen." Die Erwachsenen schätzen die Panoramalandschaft ebenfalls, doch die Abgeschiedenheit ist mit Nachteilen verbunden. "Einige der Frauen mussten einmal zu Fuß nachts von Grafing kommen- weil kein Bus mehr fuhr", sagt Böhner. Die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr sei ausbaufähig.

Hier haben sie ihren eigenen Bus. Einen Minibus. Und Böhner ist die Busfahrerin: "Das macht riesig Spaß, ich sammle alle ein, schmeiß die Musik an und wir fahren mit wackelndem Kopf zur Schule." Der Minibus ist eine Spende, er sei jeden Morgen im Einsatz.

Die neuen Kinder besuchen die Freie Schule Glonntal. Das dort angewandte Lehrkonzept mit großen Anteilen an Erlebnispädagogik sei unter den Umständen der Flucht und der mangelnden Sprachkenntnisse eine gut angenommene Lehrmethode, so Böhner.

Vorübergehend in Herrmannsdorf zu Hause: Sieben ukrainische Familien, Karl Schweisfurth (hinten mit Mütze) und Ute Böhner (links) sorgen dafür, dass sie sich wohlfühlen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Zuhause in der Ukraine standen viele der Erwachsenen fest im Beruf. Marina ist Immobilienmaklerin, hier in Deutschland suche sie erst mal nach einem Job in der Servicebranche, als Einstieg in das Berufsleben in Deutschland. Die 27-jährige Olena Petrenko ist als ausgebildete Tätowiererin bereits in Kirchseeon in einem Tattoostudio angestellt.

Neben allem, was für die Neuankömmlinge zu erledigen ist, hat das Deutschlernen eine besonders hohe Priorität. "Unsere Sprachlehrer sind super, besser als die ukrainischen, die sind uns immer zu gelangweilt", sagt Kedys.

Deutschlernen ist das Gebot der Stunde. Die Lehrer Sepp Wörndl und Michaela Eder bereiten sich auf den Unterricht vor. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Sepp Wörndl, 77, und Michaela Eder, 52, sind die beiden Deutschlehrer. Wörndl hat als ehemaliger Grundschullehrer heute seinen ersten Tag in Herrmannsdorf. Eder hat schon mehr Erfahrung, sie gibt hier zwei- bis dreimal die Woche Deutschkurse: "Es herrscht eine enorme Lernbereitschaft", sagt sie.

Sprachliche Hürden, Zusammenleben auf engem Raum: Viele Gastfamilien sind nach Wochen mit ukrainischen Geflüchteten erschöpft. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Böhner wirkt zufrieden mit dem, was in Herrmannsdorf bisher erreicht wurde. Auf die Frage, warum sie sich denn engagiere, sagt sie: "Es ist ein Privileg, helfen zu können, man kann doch nicht einfach nur ein Bett hinstellen und behaupten, dass das reiche."

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