Kritik an der CSU:"Der Vorschlag ist erschreckend"

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Georg Knufmann, 60, ist Einrichtungsleiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes in Ebersberg. Die Stelle bietet unter anderem Beratung für Menschen mit psychischen Erkrankungen und ihre Angehörigen. Der Sozialpädagoge leitet die Einrichtung seit 1988. (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Warum der Entwurf der CSU für ein bayerisches "Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz" daneben ist? Der Ebersberger Sozialpädagoge Georg Knufmann gibt Antworten.

Interview von Viktoria Spinrad

Stigmatisierend", "Polizeigesetz", wie im "Überwachungsstaat": Seit der Entwurf des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes (PsychKG) für Bayern öffentlich ist, laufen Ärzte, Wohlfahrtsverbände und Opposition Sturm. Der Grund: Der Gesetzentwurf, der das Unterbringungsgesetz von 1992 ablösen und Bayerns Psychiatriewesen eigentlich modernisieren soll, sieht unter anderem eine Art Gefährderdatei vor.

Demnach sollen die Namen aller Menschen, die auf Anordnung eines Gerichts in die Psychiatrie eingewiesen wurden, Einzug in eine Unterbringungsdatei finden. Zur Verhinderung und Verfolgung von Straftaten sollen diese auch an die Polizei weitergegeben werden. "Wie Straftäter behandelt" würden Hilfsbedürftige damit, kritisiert die SPD-Fraktion im Landtag.

Im Ministerium rudert man derweil schon teils zurück: Sozialministerin Kerstin Schreyer (CSU) schlug vor, dass die Daten auch anonymisiert und nur für wenige Monate gespeichert werden könnten; Ministerpräsident Markus Söder gab an, die Bedenken "ernst zu nehmen." Was das neue Gesetz für Betroffene im Landkreis bedeuten würde, erklärt Georg Knufmann vom Sozialpsychiatrischen Dienst in Ebersberg.

SZ: Herr Knufmann, was war Ihre erste Reaktion, als Sie den Entwurf gelesen haben?

Georg Knufmann: Je mehr ich mich eingelesen habe, desto unruhiger wurde ich. Dieser Entwurf dreht die Zeit zurück. Er wäre ein Rückschritt für die Psychiatrie. Ich mache mir große Sorgen.

Warum?

Wir haben in den letzten 30 Jahren im Landkreis daran gearbeitet, Menschen mit psychischen Erkrankungen zu entstigmatisieren: mit niederschwelliger, unbürokratischer Hilfe und Prävention. Wer zu uns kommt, braucht noch nicht einmal eine Krankenkassenkarte, Namenslisten bleiben unter Verschluss. Diese Errungenschaften werden nun mit Füßen getreten.

Die Staatsregierung schreibt im Entwurf, dass Zwangseinweisungen in psychiatrische Kliniken möglichst vermieden, Prävention gestärkt und Menschen in psychischen Krisen stärker unterstützt werden sollen.

Das Gegenteil würde passieren. Die Vorschläge orientieren sich viel zu sehr am Strafvollzug psychisch kranker Täter, also am Maßregelvollzug. Der Großteil des Entwurfs besteht nicht aus Hilfe für psychisch Kranke - sondern aus dem Teil, der öffentlichen Schutz regelt. Das mag daran liegen, dass die gleichen Juristen, die den Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter überarbeitet haben, nun den Entwurf für das PsychKG formuliert haben. 35 Paragrafen entfallen auf die Unterbringung zu Zwecken der Gefahrenabwehr, aber nur vier auf die Hilfe für Kranke. Damit ist der Hilfeteil für Prävention viel zu kurz.

Das Gesetz sieht einen bayernweiten Ausbau des Krisendienstes vor. Was ändert das für einen Landkreis wie Ebersberg, der dank des Modellprogramms des Bezirks schon seit 2015 einen solchen Krisendienst hat?

Der Krisendienst ist der einzig zielführende Aspekt im Entwurf - und einer, der uns stärkt. Das Modellprojekt läuft zum August 2020 aus. Hier würde uns das neue Gesetz finanzielle Sicherheit geben.

Wie stehen Sie zur Unterbringungsdatei?

Der Vorschlag ist erschreckend. Nichts rechtfertigt ein Register über psychisch kranke Personen, die nicht straffällig geworden sind. Selbst eine Ebersbergerin, die unter postnatalen Depressionen nach der Geburt leidet und sich Hilfe sucht, könnte in der Datei landen. Psychische Diagnosen sind relativ. Von einer zeitlich begrenzten Depression oder Psychose eine Gefährdung für andere abzuleiten, ist absurd.

Was würde das neue Gesetz in seiner jetzigen Form für Ihre Arbeit bedeuten?

Unsere Anti-Stigma-Arbeit, die wir auch mit Workshops an Schulen im Landkreis leisten, würde ad absurdum geführt. Wird sich eine Frau, die sich wegen postnataler Depressionen freiwillig Hilfe holt und in einer Unterbringungsdatei landet, wieder Hilfe holen? Bestimmt nicht! Und welche Angehörigen von psychisch Kranken werden noch im Notfall den Krisendienst oder die Polizei rufen, wenn ihren Verwandten persönlichkeitseinschränkende Konsequenzen drohen? Das Gesetz in seiner jetzigen Form würde unsere Arbeit, die auf Vertrauen fußt, enorm zurückwerfen.

Wie sähe ein besseres Gesetz aus?

Zum Beispiel wie bei unseren Nachbarn in Baden-Württemberg. Das dortige Gesetz ist strikt vom Maßregelvollzug getrennt. Es gibt Patientenfürsprecher, unabhängige Beschwerdestellen, Ombudsstellen für Beschwerden und Schlichtungen von Konflikten - und keine Unterbringungsdatei. Zudem ist der SPDI dort offiziell Teil der psychiatrischen Grundversorgung. Wichtig wäre auch noch, vor einer sofortigen Unterbringung den Krisendienst hinzuzuziehen, bevor Polizisten entscheiden. Insgesamt wäre es besser, die Staatsregierung würde sich noch einmal Zeit nehmen, um die vielen Kritikpunkte aus der Öffentlichkeit aufzunehmen.

Die Regierung will das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode durchbringen.

Das ist das Problem. Leider wurden unsere Vorschläge ja nicht berücksichtigt. Aber jemand, der unter Drogeneinfluss eine psychische Störung entwickelt, sollte ein vernünftiges Gesetz vorfinden dürfen. Eines, das ihm hilft, statt ihn als gefährlich zu brandmarken. Das Gesetz in seinem jetzigen Entwurf brauchen wir nicht - und wir sollten es nicht zulassen. Der Landtag muss ein Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz auf den Weg bringen, das seinen Namen verdient.

© SZ vom 23.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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