Abschied in Ebersberg:Ein Glückskind geht

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Leopold Henneberger hat die Musikschule Ebersberg in mehr als 30 Jahren mitgestaltet wie kaum ein anderer

Von Anja Blum

Was tun, wenn der Abschied naht, wenn Lehrer und Schüler sich ein letztes Mal begegnen? Ein Eis essen gehen? "Auf keinen Fall!", sagt Leopold Henneberger und reißt die Augen auf. "Das würde komplett gegen mein Ethos gehen." Er gestaltet die letzte Stunde lieber musikalisch, indem er etwas ganz Besonderes mitbringt, eine 200 Jahre alte Gitarre. "Die hat zwei Weltkriege überlebt, da werden ihr ein paar Schülerhände schon nichts ausmachen", sagt Henneberger und lacht. Seit 45 Jahren bringt er jungen Menschen das Gitarrespielen bei und nimmt diese Aufgabe sehr, sehr ernst. Bis ganz zuletzt. Mit diesem Schuljahr nämlich endet seine Zeit an der Ebersberger Musikschule, die er in den vergangenen Jahrzehnten mitgeprägt hat wie kaum ein anderer. Nun aber geht Henneberger in den Ruhestand - ein Moment, um zurückzublicken.

Nicht nur am Beispiel der letzten Stunden wird klar: Leopold Henneberger ist keiner jener Musiker, die im Unterrichten nur ein notwendiges Übel zum Broterwerb sehen. Nein, der Grafinger ist Künstler und Pädagoge gleichermaßen, in seiner Brust ist Platz für zwei Passionen. "Ich wusste schon als Jugendlicher, dass ich Lehrer werden wollte", erzählt er, seiner vielen tollen Vorbilder wegen. Dass es die Musik werden würde, stellte sich erst später heraus, denn Hennebergers Herkunft prädestinierte ihn nicht unbedingt dafür. Zwar leitete der Vater einen Kirchenchor, in dem auch der junge Leopold mitsang, doch für Instrumentalunterricht mangelte es der Familie an Geld. "Außerdem gab es im Bayerischen Wald keinen einzigen klassischen Gitarrenlehrer", erklärt Henneberger. Dieses Instrument aber hatte es ihm angetan, also versuchte er sich zunächst als Autodidakt. Offenbar mit Erfolg, schon bald durfte der Gymnasiast an der Realschule das Wahlfach Gitarre leiten. Die letzte Initialzündung aber war eine LP des spanischen Gitarristen Santiago Navascués. "Die Noten dazu gab es nur in Paris, die habe ich über meinen Französischlehrer bestellt - in jugendlicher Hybris", erzählt der heute 63-Jährige. Außerdem las auf der Platte, dass das Idol am Konservatorium in München lehrte - und schon war ein Traum geboren. Also spielte der junge Henneberger bei Navascués vor und wurde genommen, zu seiner eigenen Überraschung. Der Professor sagte: "Sie können zwar nichts - aber sie sind sehr musikalisch." Eine Einschätzung, die Henneberger heute teilt. "Und ich weiß auch, wem ich das zu verdanken habe: Heinz Friedl, dem damaligen Leiter des Kötztinger Kammerchors, das war mein Mentor. Von seinem Erbe habe ich ein Leben lang gezehrt." Und das, obwohl aus dem Sängerknaben ja bald ein formidabler Gitarrist werden sollte.

In München legte Henneberger sowohl die pädagogische als auch die künstlerische Reife ab, in Salzburg hängte er noch zwei Jahre Mozarteum dran. Trotzdem bezeichnet er es heute als großes Glück, dass dem Studium auch eine künstlerische Laufbahn folgte. 1982 gründete Leopold Henneberger mit Kollegen eines der ersten reinen Gitarrenensembles in Deutschland, das Hense-Quartett, mit dem er mehr als 20 Jahre lang sehr erfolgreich war. Das Ensemble konzertierte in ganz Deutschland, Österreich, Norditalien und in der Schweiz, nahm Alben auf und spielte sogar mit dem BR-Orchester. "Vor sich ein toller Dirigent, im Rücken 40 Mann - das ist das größte Erlebnis, das ein Gitarrist haben kann."

Überhaupt schwärmt Henneberger sehr viel, während er auf sein "pralles Leben" zurückblickt. Familiengründung, die eigene Kunst, das Unterrichten, die Leitung der Musikschule - all das habe bei ihm wunderbar ineinandergegriffen. "Das ist ein großes Geschenk." Selbst im Unglück habe er Glück gehabt, sagt er und hebt die rechte Hand: Vom kleinen Finger fehlt ein Stück, wegen eines Unfalls. "Das ist der einzige Finger, den man zum Gitarrespielen nicht unbedingt braucht. Bei jedem anderen wäre es vorbei gewesen." Als schwerste Krise seines Berufslebens bezeichnet Henneberger die Schließung des Grafinger Musikschulhauses in der Rotter Straße: "Da mussten wir in den Keller des Gymnasiums umziehen, doch diese Räume sind für Unterricht kaum geeignet." Kein zusätzliches Instrumentarium, wenig Platz, mangelnde Akustik.

An die Ebersberger Musikschule kam Leopold Henneberger 1986, von Anfang an engagierte er sich als Personalrat, später wurde er Fachbereichsleiter und stellvertretender Chef, die rechte Hand von Peter Paff. Die Zusammenarbeit sei von Beginn an fantastisch gewesen, erzählt der 63-Jährige, "außerdem bin ich erst hier in Ebersberg richtig Pädagoge geworden". Denn Pfaff ermögliche den Instrumentallehrern stets viele gute Fortbildungen, die "Handwerkszeug für alle möglichen Situationen" vermittelten. Außerdem, sagt Henneberger, habe er sehr viel von seiner Frau gelernt, vor allem über den Umgang mit jüngeren Schülern. Denn auch Gudrun Henneberger ist vom Fach, sie lehrt Blockflöte und elementare Musikpädagogik. Gerade auf diesen Bereich wird in Ebersberg bereits seit Langem großen Wert gelegt: "Wir haben da nur hervorragende Leute, darum haben uns die anderen schon vor 20 Jahren beneidet", sagt Henneberger und grinst.

Doch was hat sich verändert in den mehr als 30 Jahren, die Henneberger nun Teil der Ebersberger Musikschule war? Die Größe freilich, und damit der verwaltungstechnische Aufwand, aber auch viel Inhaltliches. "Früher hat man halt für die Pädagogen den Unterricht organisiert, es gab ein Lehrerkonzert im Jahr - das war's", sagt Henneberger. Heute sei die Musikschule ein dichtes Geflecht aus diversen Unterrichts- und Konzertformaten. Es gebe zahlreiche interdisziplinäre Projekte, Ensembles, ein Instrumentenkarussell zur Orientierung, Kooperationen mit anderen Institutionen und, und, und. "Ich weiß noch, als Peter Chef wurde, gab es gleich ein erstes großes Sommerkonzert, an dem alle mitgewirkt haben", erinnert sich der Gitarrist. "Da stand ich hinter der Schenke."

Anna Napieralla, Michael Beschorner und Jakob Skudlik (von links) wurden mit dem "Kompetenznachweis" ausgezeichnet, überreicht von Bürgermeister Christian Bauer. (Foto: Veranstalter)

Henneberger selbst lag als Stellvertreter vor allem das Thema "Leistungsentwicklung" am Herzen, also die Förderung und Wertschätzung besonderer Talente. Zum Beispiel durch eigene, interdisziplinäre Konzerte unter dem Titel "Musik pur": "Da war es mir immer eine Freude, den Schülern als Roadie auf der Bühne einen professionalen Rahmen zu bieten", sagt der Grafinger. Auch das System der freiwilligen Leistungsprüfung führte er als einer der ersten ein, genauso wie den "Kompetenznachweis", ein Zertifikat für herausragendes Können und Engagement am Instrument, das - dank Henneberger - vom jeweiligen Bürgermeister überreicht wird. "Das ist ein tolle Möglichkeit, den Schülern und Eltern zu zeigen, wie sehr sie geschätzt werden." Der neueste Coup aber ist eine "Förderklasse" für besonders Begabte: Von Herbst an werden drei Mädchen 60 Minuten im Hauptfach und 30 Minuten im Nebenfach unterrichtet, müssen aber nur 45 Minuten Einzelunterricht bezahlen. Gerade hat der Initiator die Bescheide für die Aufnahme verschickt.

Nun aber steht der Musikschule ein Generationswechsel bevor. Nach Henneberger werden diverse altgediente Lehrer in den Ruhestand gehen, in zwei Jahren folgt sogar Leiter Pfaff. Trotzdem sieht der Gitarrist der Zukunft der Institution gelassen entgegen: Wolfgang Ostermeier, der dritte Mann im Führungstrio, sei ein toller Kollege, außerdem habe man ja noch genug Zeit, den Wechsel gut vorzubereiten.

Auch was seine persönliche Zukunft angeht, ist dem 63-Jährigen nicht bang, ganz im Gegenteil. Er habe zwei erwachsene Kinder und einen Enkel, sagt er und lacht - außerdem verspüre er durchaus "einen gewissen Drang zur Bühne". Henneberger hat immer auch selbst gespielt, "der Mittwochvormittag war meine Übe-Insel". Mit Erfolg: der Gitarrist war des öfteren in Solokonzerten zu erleben. "Ich möchte mir meine Spielfähigkeit erhalten, so lange es das Gestell mitmacht, und mich mit der großen Literatur auseinandersetzen", sagt er. Was dabei herauskommen wird, weiß Leopold Henneberger noch nicht. "Aber das ist auch nicht so wichtig." Wie immer geht es ihm vor allem um die Musik.

© SZ vom 23.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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