Ebersberger Forst:Holz zu Holz

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Das Waldkonzert des Arkadien-Festivals beschert dem "Voyager Quartet" und seinem Publikum eine Reihe von Überraschungen.

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberger Forst

In den 1980er-Jahren gab es eine, vorübergehende, Erscheinung bei der Gestaltung von Schallplatten-Covern: Die Fotografen platzierten die Musiker am Strand, im Garten, im Wald oder in diversen Wildnissen. Eine Botschaft war damit nicht verbunden, es ging allein um den Hingucker. Wer sich die Aufnahmen vom "Waldkonzert" des Arkadien-Festivals am Mittwoch im Ebersberger Forst ansieht, könnte daher auf den Gedanken kommen, auch dort heiligte der Blickfang-Effekt die Mittel, so mächtig wirkt der Kontrast zwischen dem Voyager Quartet im musikalischen und dem Wald im natürlichen Gewand.

Die Wirklichkeit entzog dem Gedanken jedoch jeden Grund, das Konzert "Boten der Liebe" erwies sich als vollendeter Kunstgenuss, reich an arkadischem Symbolismus: Instrumente inmitten des Holzes, aus dem sie geschnitzt sind. Eine poetisch-paradiesische Evolution vor Augen und Ohren geführt, Chapeau. Sollten der Kunstverein Ebersberg und Kulturverein Grafing, die hier kooperierten, irgendwelche Zweifel über die Tragfähigkeit des Konzepts gehabt haben, dürfen sie sich nicht nur durch den Zuspruch von mehr als 60 Konzertgästen ermutigt fühlen, auf diesem Naturpfad fortzuschreiten.

Bei der Auswahl der Stücke hatte sich das Quartett auf Favoriten aus dem eigenen Repertoire konzentriert. Nico Christians und Maria Krebs, Violinen, Andreas Höricht, Viola, und Klaus Kämper, Violoncello, präsentierten vier Werke, bei denen dreimal Höricht das Arrangement vorgenommen hatte: Wagners Vorspiel zu "Tristan und Isolde", vier zum Streichquartett Nr 1.0 a-moll gefügte Mahler-Sätze und fünf Wagnersche Wesendonk-Lieder. Einzig das Streichquartett a-moll von Robert Schumann erklang in der ursprünglichen Form. Dem Ensemble auf den Leib geschrieben, erfreute sich die Aufführung daher großer stilistischer und menschlicher Geschlossenheit. Was dem Publikum das Hineinleben in die sinnliche Wirkung von Natur und Kunst sichtlich erleichterte. Gerade bei den Wesendonk-Liedern erzeugte die geistreiche Bearbeitung der Singstimme eine hinreißende Metamorphose des Kunstlieds in einen Zustand, der mehr Raum für Fantasie ließ. Die Worte schwebten für den Kenner erkennbar im Raum, lenkten Gelegenheits-Hörer aber nicht von den eigenen Gedanken ab. Anstiftung zur inneren Poesie? Sehr arkadisch!

Die Themen voller unglücklicher Liebe, leidenschaftlichem Regelbruch und trügerischen Gefühlen schienen in ihrer Zerrissenheit und Schwermut zunächst als schwere Kost, zumal die Zueignung des Auftritts "an Alma, Clara, Mathilde und Isolde" am Motiv der gebrochenen Herzen keine Zweifel ließ. Allein: Welch einen Unterschied der Spielort mit sich bringt! Wenn die Vögel takt- und tonartgerecht ihren Gesang beisteuern oder die Stanzen summend das Ohr betören, fügt sich das wunderbar ineinander. Auch das Crescendo eines Airbus verschafft den letzten Takten im Mahler'schen Allegro eine verblüffende Erweiterung im Grenzgebiet von Natur und Technik. Selbst ein Jogger, der sich der Lichtung nähert, verändert Tempo und Schrittfolge, um nicht zu stören - fügt aber dennoch eine Komponente hinzu, die den Klangraum erweitert. Vieles ist hier unberechenbar, fordert Musiker wie Publikum in der Wahrnehmung des Gespielten, verleiht dem Überraschenden einer Live-Aufführung eine zusätzliche Dimension.

Der Forst erweist sich als gut geeignet für Streicher, die Sorge, der Klang könnte sich zwischen den Bäumen verflüchtigen, erfüllt sich nicht. Im Gegenteil scheinen die Hölzer, Büsche und Böden einen schützenden Klangraum zu schaffen, der das Hörerlebnis bereichert - außer vielleicht für die Instrumentalisten, denen das Echo vom Nebenpult manchmal fehlt. Der Spielort hat indes auch Schattenseiten: Mehr noch als bei regulären Open-Air-Konzerten müssen sich die Musiker mit den Begleitumständen auseinandersetzen, hier mit einer ziemlich hohen Luftfeuchtigkeit. Die macht die Finger klebrig, die Saiten glitschig und fordert ziemlich viel Kraft, vor allem wenn man auf so hohem Niveau antritt wie das Voyager Quartett. Selbst häufiges Abtrocknen hilft da irgendwann nicht mehr und zehrt an den Kräften - was zu Lasten der einen oder anderen Feinheit geht und, gegen Ende, jene individuellen Akzente verhindert, die im Konzertsaal die Lichter zum Brennen bringen.

Allerdings fügte dies dem Musikerlebnis im Forst keinen Schaden zu, waren die anderen Sinneseindrücke doch stark und tiefgründig genug, um Ausgleich zu schaffen. So ist das eben in Arkadien, dem Land mit eigenen Gesetzen, selbst für Streichquartette. Dass das Ensemble unter diesen Umständen von einer stürmisch herbeiapplaudierten Zugabe Abstand nahm, war verständlich. "Das war es, mehr gibt es nicht", sagte Christians. Brauchte es auch nicht.

© SZ vom 09.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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