Ebersberg:Arzt verliert Haus, Praxis, Zulassung und Prozess

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Die Praxiszeiten des 60-Jährigen sind vorbei. (Foto: Stephan Jansen/dpa)

Ein Mediziner rechnet Behandlungen ab, die er auch gemacht hat - allerdings zum falschen Zeitpunkt. Deswegen ist er jetzt ein verurteilter Betrüger - und seine Kasse um einige 100.000 Euro reicher.

Aus dem Amtsgericht von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

Er war ein beliebter Arzt im Landkreis Ebersberg, ein Spezialist für Herz- und Lungenerkrankungen, eigene Praxis, langjährige Erfahrung. Dann bekam die Praxis plötzlich finanzielle Probleme - und so traf der Arzt eine folgenschwere Entscheidung: Er trickste fortan gut drei Jahre lang bei den Abrechnungen, ehe die Prüfer der Kassenärztlichen Vereinigung (KVB) dahinterkamen und knapp 700 000 Euro zurückforderten. Die Folge: Mittlerweile hat der Mann seine Praxis aufgegeben, sein Haus verkauft und seine kassenärztliche Zulassung verloren. Zudem stand der 60-Jährige mit einem Bein im Gefängnis - bisher.

Am Freitagnachmittag hat das Ebersberger Amtsgericht den Mediziner wegen Betrugs verurteilt. Nach insgesamt zwei Verhandlungstagen entschied sich das Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Markus Nikol für eine zweijährige Freiheitsstrafe, die jedoch zur Bewährung ausgesetzt wird. Der Staatsanwalt hatte drei Jahre ohne Bewährung gefordert. In der Urteilsbegründung sagte der Richter, dass man bei einem Abrechnungsbetrug in der Regel zwar ins Gefängnis müsse. Wegen "besonderer Umstände" könne das Gericht hier aber eine Ausnahme machen.

Was ist passiert? Bereits im ersten Teil des Prozesses vor zehn Tagen hatte der Angeklagte eingeräumt, zwischen 2009 und 2012 knapp vier Jahre lang Tausende Behandlungen anders abgerechnet zu haben, als in den Bestimmungen der KVB vorgesehen. Unter anderem wegen Änderungen dieser Bestimmungen zu den Abrechnungen sei seine Praxis finanziell zunehmend in Bedrängnis geraten. Um die Praxis für seine Patienten und auch die Mitarbeiter zu retten, habe er fortan etwas anders gemacht, gab er über seine Verteidiger bekannt.

Der Trick funktionierte so: Der Arzt nahm bei einem Patienten zwei verschiedene Behandlungen in einer Sitzung vor, gab aber in der Abrechnung zwei unterschiedliche Tage als Termin an. Korrekt wäre gewesen, die Behandlungen in zwei Sitzungen zu zwei Terminen vorzunehmen, so erklärten es mehrere Zeugen von der KVB. Die Honorarprüfer der Kasse waren nur deswegen auf den Trick aufmerksam geworden, weil die Umdatierungen den Eindruck vermittelten, dass er übermäßig viele Überstunden machen würde. Im "Plausibilitätsgespräch" mit KVB-Prüfern räumte er dann "einen Fehler" ein.

Einblicke in die Untiefen der kassenärztlichen Bürokratie

Interessant ist dieser Fall aber nicht in erster Linie, weil hier ein Arzt beim Tricksen erwischt wurde. Sondern weil der zweitägige Strafprozess in Ebersberg tiefe Einblicke in die Untiefen der kassenärztlichen Bürokratie bot. Richter Nikol bestätigte im Urteil, dass der Angeklagte alle Leistungen, die er bei der Kasse angab, tatsächlich auch erbracht hatte. Allerdings eben nicht nach Vorschrift. Hätte der 60-Jährige die Patienten zu zwei unterschiedlichen Terminen in seine Praxis zu je einer Behandlung bestellt, wäre es nie zum Prozess gekommen. Weil er aber alles in einem erledigte, ist er vor Gericht nun ein Straftäter und Betrüger.

Ebersberg
:700.000 Euro von der Kasse: Arzt trickst bei Abrechnungen

Ein Mediziner aus dem Landkreis Ebersberg will seine Praxis retten. Nun ist er wegen Betrugs angeklagt - auch, weil er ein Detail übersehen hat.

Von Korbinian Eisenberger

Die beiden Verteidiger des Arztes gaben sich Mühe, diese Absurdität in den Vordergrund zu rücken. Tatsächlich sei es ja so, dass die Kasse ein "gutes Geschäft mit ihm gemacht" habe, weil sie für einen Teil der Leistungen nun gar nicht bezahlen müsse, sagte Rechtsanwalt Hans-Jörg Weber. Dies war zwar überspitzt formuliert, im Kern jedoch zutreffend. Tatsächlich, so wurde im Verfahren deutlich, bezahlte die Kasse schlussendlich lediglich immer nur eine der beiden Behandlungen, die der Arzt in Ordnern und auf CDs dokumentierte. Und zwar die deutlich günstigere. Die etwa dreimal so teure Behandlung ließ sich die Kasse vom Arzt hingegen als "Schaden" inklusive diverser Folgekosten zurückerstatten.

Insgesamt kam so eine Forderung von knapp 700 000 Euro zusammen, von denen der Großteil bezahlt ist - 120 000 Euro muss der 60-Jährige noch zurückzahlen. Von seinen 6000 Euro Nettogehalt werden ihm monatlich 4000 Euro gepfändet. Der zweifache Großvater arbeitet nun wie früher wieder im Krankenhaus.

© SZ vom 29.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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