Ebersberg:Als wäre es das erste Mal

Lesezeit: 2 min

Michael Lerchenberg setzt in der "Heiligen Nacht" berührende Glanzpunkte

Von Ulrich Pfaffenberger, Grafing

Vermutlich haben einige gedacht: Ach, die "Heilige Nacht", die kennen wir ja schon, da waren wir ja erst vorigen Advent. . . " So lässt es sich auch erklären, dass fast die Hälfte der Sitzreihen in der Grafinger Stadthalle unbesetzt blieben, obwohl kein Geringerer als Michael Lerchenberg an diesem Abend Ludwig Thomas Geschichte zur Hand nahm, um die bairische Version der Geburt Christi zu erzählen. Selten haben sich jedoch Ferngebliebene mehr geirrt - und sich damit eingereiht in die Irrenden von Bethlehem, deren Vorurteile sie daran hindern, ein Wunder zu erkennen, wenn es ihnen begegnet. Wie sich dieses Wunder zuträgt? Indem ein Erzähler den Raum vergessen lässt, der sein Publikum umgibt. Indem seine Sprache geradeheraus und ungekünstelt einen eigenen, vertrauten Raum schafft. Indem er die Melodien und Bilder der Mundart wirken lässt. Indem er bei Mimik und Gestik die feinen Dosen serviert und auf Scherenschnitte verzichtet. Indem er sich die Erzählung zu eigen macht, zum Boten des Geschehens wird und in Dialog mit den Gedanken seiner Zuhörer tritt. So entsteht eine "Heilige Nacht", als hörte man sie zum ersten Mal. Während der man gespannt das nächste Geschehnis erwartet.

Der Kabarettist Lerchenberg bleibt dabei draußen vor der Tür. Nicht einmal im Stall ist Platz für ihn. Dafür gibt es einen beseelten Schauspieler und Sprecher zu erleben, der sich vor einem großen Stück bairischer Kulturgeschichte verneigt. Unverkennbar auch, dass er die Vorlage Thomas genießt: die wechselnden Rollen, die verschiedenen Charaktere, die es mit Leben zu füllen gilt und deren Charaktere in die Gegenwart hinein zu tragen. Er nähert sich jedem Individuum der Erzählung mit Leidenschaft und einer Staunen machenden Intimität, als kennte er sie alle persönlich. Er nutzt dabei das breite Spektrum seiner Stimme, das eben nicht nur einen keifenden Stoiber umfasst, sondern auch einen grundgütigen Fritz Straßner. Elegante, fliegende Wechsel sind da zu genießen. Auf diesem Weg bringt der Erzähler auch die zeitlose Gesellschaftskritik ins Schwingen, die der ursprünglichen Weihnachtsgeschichte genauso innewohnt wie Thomas Fassung. Etwa bei Josias Tirade gegen die vermeintlich gierige Verwandtschaft, der er mit seiner persönlichen Obergrenze begegnet: "I mog ned." Oder in der schlichten Erkenntnis des Handwerksburschen Hansei, die angesichts des schutzlosen Kinds in der Krippe lautet: "So nackt und so arm." So eindringlich ist die Botschaft, da geht einem mehr als eine Adventskerze auf, warum wahres Christentum nichts mit Grobheit zu tun hat, sondern mit Güte.

Was die "Heilige Nacht" zu Grafing über Lerchenbergs Erzählkunst hinaus erstrahlen lässt, sind seine musikalischen Wegbegleiter. Marlene Eberwein an der Harfe, Max Seefelder am Kontrabass und Matthias Klimmer an der Klarinette zeigen ein untrügliches Gespür dafür, wie sich die Worte der Geschichte in der Sprache der Musik spiegeln lassen. Ihre inspirierten Variationen und Improvisationen von "Es wird scho glei dumpa", "Josef, lieber Josef mein" oder "Zu Bethlehem geboren" sind von berührender Natürlichkeit und Kraft. Insbesondere Klimmers klangmalerische Kunst steht in wunderbarem Dialog mit dem Erzähler. Für das stimmige Gesamtkunstwerk gibt es, nach Sekunden ehrfürchtigen Innehaltens, raumfüllenden Applaus.

© SZ vom 14.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: