Digitalisierung:Weiße Flecken im Klassenzimmer

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Im Schulunterricht kommt immer mehr Technik zum Einsatz. Unterhalt und Wartung der Geräte wird immer aufwändiger. (Foto: Stephan Goerlich)

In den Schulen kommt immer mehr Elektronik zum Einsatz - oder eben auch nicht. Denn oft bleibt die teure Technik hinter ihren Möglichkeiten zurück, was auch an fehlender Wartung liegt

Von Victor Sattler, Ebersberg

"Smartboard", "Activboard", mit diesen und ähnlich schicken Namen bezeichnen die Hersteller das, was sie für die Zukunft des Lernens halten: Sogenannte Whiteboards, elektronische Schultafeln mit vielen Funktionen. Am Markt Schwabener Franz-Marc-Gymnasium dagegen wird das Whiteboard noch für seine Kernkompetenz geschätzt: Einfach eine weiße Fläche, auf die man etwas projizieren kann. Dass die teure Gerätschaft theoretisch zur interaktiven Steuerung fähig wäre, wolle hier niemand so recht in Anspruch nehmen, berichtet Lehrer und Grünen-Kreisrat Reinhard Oellerer. Denn an der "anfälligen, unverlässlichen Technik" verbrenne man sich schnell mal die Finger. "Die Whiteboards werden nicht so genutzt, wie die Technik es ermöglichen würde", sagt Oellerer.

Diese kuriose Zweckentfremdung, die zwar das Erstellen von Folien für den herkömmlichen Overhead-Projektor erspart, dafür aber die Konzentration der Schüler durch - im Vergleich zur Schiefertafel - schlechtere Lesbarkeit strapaziert, ist ein Ausdruck der Diskrepanz zwischen Ausrüstungsstand der Schulen und Kompetenz-Level der Lehrer. Vor allem ist sie aber eine kleine Rebellion gegen die Zukunft.

"Unsere Schulen im Landkreis sind damit noch sehr skeptisch." Diesen Eindruck hat auch Brigitte Keller, die Abteilungsleiterin für Zentrales und Bildung im Landratsamt, gewonnen. "Für eine Weile dachten wir, ein Whiteboard-Konzept für alle Schulen erarbeiten zu müssen, aber dann war der Druck schon wieder aus dem Kessel. Die Begeisterung fand ihre Grenzen." Oftmals hänge es von der Lehrerstruktur ab, wie die Schulen der Hightech gesinnt sind. So zeichnet sich ein vielseitiges Bild im Landkreis: Die Realschule Poing mit ihrem relativ jungen Kollegium setze ausschließlich auf Whiteboards, während die Realschule Markt Schwaben ganz an ihre Projektoren halte und das Gymnasium Vaterstetten ein reges Mischsystem beheimate. Die unterschiedlichen Vorlieben erschweren es laut Keller, bei der Planung stets wirtschaftlich zu bleiben.

Außerdem muss ihnen allen, egal ob Technik-Pionier oder -Muffel, noch hin und wieder unter die Arme gegriffen werden. Zusätzlich zur Betreuung der schulischen Verwaltungsnetze, zu der das Landratsamt als Sachaufwandsträger verpflichtet ist, helfen noch je nach Bedarf rund zwei IT-Vollzeit-Fachkräfte aus der Ferne oder vor Ort bei den pädagogischen, schulinternen Netzen und ihrer Wartung mit, so Keller - dies ist ein rein freiwilliger Service des Landratsamts.

Nötig wurde er so erst durch das wachsende technische Equipment an den Schulen, mit dem manche Lehrer nicht mehr Schritt halten konnten. Heute stünden in den verschiedenen Teilen des Franz-Marc-Gymnasiums sowohl ältere als auch modernere Einrichtungen in einer bunten Mischung zusammen, erzählt Reinhard Oellerer. Den Überblick soll der sogenannte Systembetreuer behalten, ein Lehrer, der laut Oellerer vormals drei, mittlerweile vier Wochenstunden von seinem Hauptberuf freigestellt würde, um in dieser Zeit die Computeranlagen zu pflegen. Der Rest des Kollegiums hätte nie die Chance gehabt, sich damit wirklich vertraut zu machen, sie seien ins kalte Wasser geworfen worden und reagierten entsprechend mit Schulterzucken auf den Fremdkörper im Klassenzimmer, so Reinhard Oellerers Erfahrung. "Learning by doing" sei die Devise gewesen: Die langsame Gewöhnung, nachdem einem nichts anderes übrig blieb. Aber Oellerer findet, das reiche einfach nicht. "Wer einmal einen Industrieexperten fragt, was für ein Personalaufwand bei diesen technischen Anforderungen so üblich sei, dann werden einem gleich zwei Vollzeit-Ingenieure veranschlagt. Und das macht hier ein einzelner Lehrer so ganz nebenbei?"

Rektor Peter Popp betont hingegen, dass der Systembetreuer viel mehr eine pädagogische Rolle ausübe, indem er sinnvolle Verwendungsweisen für die Innovationen vermittelt, als dass er tatsächlich für den technischen Support zuständig wäre. Der obliege nämlich einer externen Firma, die beim Landratsamt unter Vertrag stehe. Von deren Assistenz spürt wiederum Reinhard Oellerer im Alltag herzlich wenig, sondern moniert noch eine Vielzahl an defekten Buchsen und Kabeln in den Klassenzimmern. Teil- und Totalausfälle inklusive. Seine ersten interaktiven Whiteboards besitzt das Franz-Marc-Gymnasium schon seit 2011. Der Wunsch nach einem zweiten Set war bei den Lehrern zwar "eher verhalten", gesteht Popp ein, die vier neuen Boards, die im Sommer 2017 angeschafft wurden, könnten mit interaktivem Beamer statt Infrarotsensoren aber schon deutlich mehr Lehrer hinter dem Ofen hervorlocken.

Systembetreuer Jürgen Petzold kommt gleich mit Unterstützung von Rektor Popp ans Telefon: Von zehn Wochenstunden Arbeitsaufwand erzählt Petzold, auch an Wochenenden und in den Ferien. Es sei eine "dauernde Baustelle" im Franz-Marc-Gymnasium, weil man alle finanziellen Modernisierungsmittel, die das Landratsamt zur Verfügung stellt, auch dankend annehme und umsetze, so Petzold. Aber so gäbe es wenigstens immer neue Herausforderungen für den Systembetreuer, meint Peter Popp dazu, der nach vorn blickt; und der bereits mit einer Zukunft liebäugelt, in der jeder Schüler sein eigenes, mit dem Schulnetz verbundene Tablet besitzt. Die Hersteller haben das längst im Angebot.

CSU-Kreisrat Tobias Scheller, der am Gymnasium Kirchseeon Latein und Religion unterrichtet, tut sich manchmal schwer, die beiden Rollen - sein Politikerherz und die nüchterne Schulrealität - miteinander in Einklang zu bringen. Klar, für digitale Bildung ist er als junger Mann aufgeschlossen. Mehr als das, sie ist ihm ein Anliegen geworden. Aber: "Technik ist nur dann gut, wenn sie funktioniert", stellt Scheller trocken fest, "was bringt mir sonst die beste, teuerste Ausstattung?" Am Gymnasium Kirchseeon seien bisher ausschließlich die Naturwissenschaftler mit den interaktiven Boards ausgestattet und schon jetzt habe der hiesige Systembetreuer über die veranschlagten Stunden hinaus alle Hände voll zu tun.

Tobias Scheller und Reinhard Oellerer sind sich deshalb trotz verschiedener Perspektiven einig: Der Bedarf an technischem Support, Updates und Instandhaltung könne mit den bisherigen Ressourcen - namentlich den Systembetreuern, externen Firmen und Landratsamts-Aushelfern - nicht adäquat gedeckt werden. Schellers Fazit ist: "Digitalisierung muss immer im Dialog passieren. Jede Schule muss sich einigen, welchen Weg sie gehen will. Und wenn man die Boards haben will, muss man sie eben auch benutzen."

© SZ vom 09.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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