Die andere Perspektive:Sie hat uns alle überrascht

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In ihrem Buch "Black & White" drückt Annabel ihre Gefühle zu uns Flüchtlingen aus. Von 2015 an kam sie ins Camp in der Turnhalle des Gymnasiums Kirchseeon. Zu Beginn dachte ich, dieses Mädchen ist für Flüchtlingsarbeit zu jung, dann wurde ich eines besseren belehrt.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Als Annabel Lang-Ennerst anfängt, in ihrem Roman zu blättern, bin ich ziemlich aufgeregt - und ein wenig unsicher. Ich beobachte die Leute, die um mich herum in der Kirchseeoner Bücherei sitzen. Werden sie dadurch besser verstehen, wer wir sind? Was unser Schicksal ist, und was das mit so manchen Startschwierigkeiten in Deutschland zu tun hat? Oder ist diese literarische Form immer noch zu distanziert, um die Feinheiten zu erkennen?

In ihrem Buch "Black & White" drückt die 16-Jährige Annabel ihre Gefühle zu uns Flüchtlingen aus und beschreibt ihre zwischenmenschlichen Beziehungen zu uns. Sie hat in diese nur teils fiktive Geschichte ihre eigenen Erfahrungen eingewoben. Vom Sommer 2015, als viele Flüchtlinge verschiedener Hautfarbe und Herkunft in Schulturnhallen zusammengeführt wurden, so auch am Gymnasium Kirchseeon.

Annabel kam mit ihrer Mutter Christina und Schwester Julia zweimal in der Woche ins Camp in der Turnhalle. Ich erinnere mich noch, als sie mich in ihrer offenen Art zum ersten Mal umarmte, wovon ich rote Wangen bekam, weil das in Syrien tabu wäre. Zunächst dachte ich, dass dieses Mädchen doch viel zu jung und kindlich für diese Aufgabe sei. Doch Annabel überraschte uns alle.

Oft hatten die beiden Schwestern irgendwelche Mitbringsel dabei. Ganz einfache Gebrauchsgegenstände wie Zahnbürsten oder Duschgel. Oder Stifte und Papier, für einen gemeinsamen Deutsch- und Bairisch-Crashkurs. Mit ihren guten Englisch- und Französischkenntnissen half Annabel vielen von uns, ein erstes Gefühl für dieses komplizierte Konstrukt aus Buchstaben und Lauten namens Deutsch zu bekommen. Ihre Geduld mit uns war bewundernswert, auch nach Rückschlägen. Als uns im Camp Tische und Stühle genommen wurden, kam Annabel Lang-Ennerst unermüdlich weiter zum Deutschkurs - nur dass die Stunden nun auf dem Boden stattfanden.

Bei ihr fühlte ich von Anfang an diese Bereitschaft. Die Bereitschaft eines Menschen, sich ehrlich und ernsthaft mit jemandem auseinanderzusetzen, mit dem einen zunächst nicht viel verbindet. Nur, dass der eine Hilfe braucht, und der andere dafür Kapazitäten hat. Ja, das fühlte ich, als Annabel zu uns kam, um uns zu helfen. In Kirchseeon, wo auch ich damals wohnte - und bis heute lebe.

In ihrem ersten Roman geht es um die 17-jährige Josephine - und wahrscheinlich hat Annabel noch viele weitere solcher eindrucksvoller Geschichten im Repertoire.

© SZ vom 11.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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