Das Verschwinden der Fernsprechhäuschen:Abschied von der Zelle

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Weil heute jeder ein Mobiltelefon hat, verwaisen die öffentlichen Fernsprecher: Auch im Landkreis Ebersberg führt das zum langsamen Verschwinden der Telefonhäuschen. Zeit, sich zu verabschieden.

Lena Grundhuber

Es gab eine Zeit, da hatte ein Gespräch noch echten Wert. 50 Pfennig kostete ein sogenanntes Gesprächsbillet im Jahr 1881. Wer fünf Minuten einen der ersten öffentlichen Fernsprecher in Berlin benutzte, zahlte dafür in heutigen Begriffen etwa fünf Euro. Eine Schachtel Zigaretten, eine kleine Mahlzeit also war es wert, eine Nachricht durchzugeben, ein Geschäft abzuschließen, jemandem seiner Zuneigung zu versichern.

Eines der wenigen Telefonhäuschen, das diesen Namen noch verdient: Die gelbe Zelle in der Grafinger Griesstraße. (Foto: EBE)

Wer in der Öffentlichkeit ein Telefon benutzte, der hatte eine Mitteilung zu machen, die den Namen verdient. Gilt multimediale Geschwätzigkeit heute geradezu als Bürgerpflicht, so hieß es einst: "Nimm Rücksicht auf Wartende - fasse dich kurz!" Telefone für den Hausgebrauch setzten sich erst im späten 20. Jahrhundert durch, bis dahin wurden in den "Fernsprechhäuschen" Liebesdramen durchlebt oder Kriminalfälle gelöst. Schlüsselszenen in ungezählten Schwarz-Weiß-Filmen zeugen davon.

Wer heute eine Zelle nutzt, hat wohl nur sein Handy vergessen oder ist Bürgermeister in Markt Schwaben und besitzt gar nicht erst ein Mobiltelefon, so wie Bernhard Winter, ein erklärter Anhänger des Festnetzes: "Da wo ich bin, bin ich dann wirklich", sagt er - und wenn es sein müsse, nutze er öffentliche Telefone.

Wie komfortabel das ist, hängt nicht zuletzt vom Wetter ab: Im Landkreis Ebersberg hat zumindest laut Telekom-Pressestelle jede Gemeinde mindestens einen Fernsprecher. Nur noch etwa die Hälfte dieser rund 60 öffentlichen Telefone aber sind in Häuschen untergebracht - und die sind Auslaufmodelle. Das Geld für die Wartung lohnt nicht, angesichts von 111 Millionen Mobilfunkanschlüssen in Deutschland. Neu aufgebaut würden Telefonzellen also nicht, wie die Telekom-Sprecherin Cordelia Hiller sagt.

Insgesamt werden öffentliche Telefone immer seltener. Zählte die Bundesnetzagentur 2007 noch 107.000, so ist die Zahl bis 2009 auf 94.000 geschrumpft. Die Telekom als "Universaldienstleister" ist zwar verpflichtet, öffentliche Telefone bereitzustellen, darf besonders unrentable Geräte aber in Absprache mit der Kommune abbauen. So wie in Grafing, wo bald die gelbe Zelle in der Griesstraße verschwinden wird, weil sich der Ertrag "im Centbereich" bewege, wie Bauamtsleiter Josef Niedermaier selbst sagt. Von einst zehn Telefonen blieben dann noch sechs in der Stadt übrig, und auch das sei ein Entgegenkommen der Telekom, erklärt Niedermaier.

Vom Häuschen zum "Basistelefon"

Das klassisch gelbe Häuschen wird schon seit den frühen Neunzigern von der grau-magenta-farbenen Zelle verdrängt - zu bewundern etwa am Ebersberger Marienplatz -, und die wiederum weicht vielerorts Geräten an Stahlstelen oder "Basistelefonen". Mit solchen Stationen habe man gute Erfahrungen, sagt Hiller, weil sie weniger anfällig für Vandalismus seien und also auch nicht teuer renoviert werden müssen. Die Stelen haben keine Türen, sondern höchstens kleine Dächer und Seitenwände. "Basistelefone" besitzen nicht einmal einen Stromanschluss und funktionieren nur mit Karten, wodurch man sich die Entleerung des Münzschachts spare, wie es bei der Telekom heißt. Von der Privatsphäre in den Zellen, so übelriechend sie oft war, ist beim Ratsch am Basistelefon freilich wenig übrig.

An den verbliebenen Münztelefonen erfreut die Telekom Nostalgiker dafür mit einem Anachronismus anderer Art, wie Hiller erklärt: Seit 2005 würden Geräte auf Nachfrage vieler Kunden wieder "umgemünzt", so dass man an vielen der insgesamt elf verschiedenen Modelle nicht mehr nur mit Telefon-, Geld-, Kreditkarte oder Euros - je nachdem -, sondern auch mit Deutscher Mark zahlen kann. D-Mark-Hamsterer mögen triumphieren, wer weder Münzen noch Kreditkarten zur Hand hat, steht in der Kreisstadt ratlos vor der Zelle.

Eine Telefonkarte bekommt man weder im Schreibwarenhandel noch im Supermarkt. Die Nachfrage bei der Post-Agentur bewirkt nur Achselzucken und selbst der Telekom-Pressestelle fällt zur Telefonkarte spontan nichts ein. Erst Nachforschungen ergeben, dass man sie in Telekom-Shops, "gut sortierten Kiosken" oder Tankstellen erhalte. Ansonsten ist die Telekom vor allem in Großstädten kommunikationstechnisch ganz vorne mit dabei. An rund 1200 Multimediastationen im Bundesgebiet können User "rund um die Uhr im Internet surfen, E-Mails abrufen sowie SMS oder Foto-Nachrichten versenden" - und, ach ja richtig: "natürlich auch Telefongespräche führen".

Wie gut, dass der Mensch des 21. Jahrhunderts dafür nicht mehr auf öffentliche Apparate angewiesen ist. Twittern, chatten, simsen und mailen mag hingehen für einen Stopp an der Stele. Die wichtigen Gespräche werden wohl auch heute hinter verschlossener Türe und in vier Wänden geführt. Und wenn es die eigenen sind.

© SZ vom 22.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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