Caritas Grafing:Gemeinsam zur Abstinenz

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Astrid Karbè (links) und Margit Schwarz verantworten zusammen mit fünf Kollegen die ambulante Suchtbehandlung. (Foto: Christian Endt)

Die ambulante Suchtbehandlung ist eines der ältesten Angebote der Ebersberger Caritas. Die Therapie besteht aus Einzel- und Gruppengesprächen

Von Johanna Feckl, Grafing

Eines Tages ist Peter Mayer im Krankenhaus aufgewacht. Erinnern, wie er dorthin gekommen ist, kann sich der 58-Jährige nicht. Nur eine Platzwunde am Kopf war Zeuge von dem, was geschehen war. Mayer, dessen echter Name anders lautet, bezeichnet diesen Moment als "Albtraum". Und trotzdem: "Was auch immer genau passiert ist: Gott sei Dank ist es passiert", sagt er. Beinahe zwei Jahre ist das nun her. Es war dieses Erlebnis, das Aufwachen im Krankenhaus, verletzt, ohne zu wissen wieso, das ihn eingestehen ließ: Er hat ein Problem. Ein Problem mit Alkohol. Mayer begann eine ambulante Suchtbehandlung bei der Caritas.

Die Möglichkeit zu dieser Therapieform gibt es bei der Ebersberger Caritas bereits seit 1997. Neben der Bereitschaft zur Therapie gibt es eigentlich nur eine weitere Bedingung: Abstinenz vom Suchtmittel, meistens Alkohol oder illegale Drogen. "Wenn derjenige dazu nicht fähig ist, dann ist eine ambulante Behandlung noch nicht das Richtige", erklärt Margit Schwarz. Sie ist die stellvertretende Fachdienstleiterin und eine der Suchttherapeutinnen der ambulanten Behandlung. In solchen Fällen werde zunächst an stationäre Einrichtungen vermittelt - vielleicht passt es nach einem dortigen Aufenthalt, so Astrid Karbè, eine Kollegin von Schwarz.

Peter Mayer war in der Lage, auf Alkohol zu verzichten. Der 58-Jährige war Wirkungstrinker, wie er sagt. "Alkohol war Mittel zum Zweck." Als Betriebsrat in einem Großunternehmen hat er einen emotional anstrengenden Job. "Die Balance zu finden aus sich tagsüber bedingungslos für Angestellten-Belange einzusetzen und abends die Rüstung abzustreifen, das konnte ich einfach nicht." Alkohol half ihm, die emotionale Belastung zu ertragen. Wie ein Rettungsanker, so beschreibt es Mayer.

Dreimal war der 58-Jährige wegen Burnout in Behandlung. Seinen Alkoholmissbrauch stritt er jedes Mal ab. "Alle anderen trinken ja auch!" So habe er seinen Konsum vor sich selbst gerechtfertigt und ihn in den Therapien nie zum Thema werden lassen. Als seine Abstürze häufiger und das Trinken alleine zu Hause die Regel wurden, das Krankenhaus-Erlebnis und seine Frau, die ihm klar machte, dass die Ehe mit seiner Trinkerei nicht mehr funktionieren würde - erst da begriff Mayer seine Lage. Er suchte sich Hilfe.

Er landete bei der ambulanten Suchtbehandlung der Caritas. In der Regel treffen sich die Betroffenen jede Woche zu einem Gruppen- und einem Einzelgespräch mit einer der sieben beteiligten Caritas-Kräfte. "Wir kleben aber nicht dogmatisch an diesen Vorgaben", so Margit Schwarz. Mittlerweile gibt es vier Gruppen mit sechs bis zehn Mitgliedern, die meisten davon zwischen 40 und 60 Jahre alt. Drei Gruppen richten sich an Menschen mit einem missbräuchlichen Konsum eines Suchtmittels, zwei davon treffen sich in Grafing, eine in Markt Schwaben. Das Verhältnis von Männern zu Frauen liegt ungefähr bei eins zu drei, bei gut 85 Prozent von allen drehen sich die Probleme um Alkohol. In Markt Schwaben gibt es noch eine vierte Gruppe, bei der die Mitglieder an Essstörungen leiden - meistens sind dort nur Frauen.

Für gewöhnlich findet eine ambulante Therapie von Krankheiten, wie Depressionen oder Angststörungen, nur in Einzelgesprächen statt. Dass es Gespräche in der Gruppe gibt, ist ungewöhnlich - es ist suchtspezifisch, wie Schwarz erklärt. "Gruppen haben den unschlagbaren Vorteil, dass man in den Austausch kommt, es geht um eine gemeinsame Lösungsfindung." Etwa bei der Gruppe, in der es um Essstörungen geht: "Der Hintergrund ist bei allen der gleiche", sagt Astrid Karbè: ein ungesundes Verhältnis zu Essen und zum eigenen Körper. Die Betroffene mit Anorexie profitiere von der Sitznachbarin mit Adipositas und umgekehrt.

Für Peter Mayer waren die Gruppensitzungen "unheimlich wichtig", wie er sagt - obwohl er zu Beginn skeptisch war. "Aber ich habe versucht, mich einfach darauf einzulassen." Und jetzt, nachdem vor wenigen Monaten seine Behandlung abgeschlossen hat, sagt er: "Durch die Gruppe ist mir unglaublich viel klar geworden." Zu Beginn hat er sich einen anderen Teilnehmer, der in seiner Therapie bereits weiter fortgeschritten war, als eine Art Vorbild auserkoren. "So wie er das macht - das wollte ich auch schaffen." Durch die Erzählungen der übrigen Teilnehmer hatte er das Gefühl, zu sehen, durch welche Strategien und Verhaltensweisen er sein Ziel, die endgültige Abstinenz, erreichen kann.

"Alles, was bislang nur mit Substanzen bewältigt wurde, soll man auf einmal nüchtern schaffen, darüber sollte man sich mit Gleichgesinnten austauschen", erklärt Schwarz. Meistens bringen die Betroffenen die Themen zu den Gruppen- und Einzelgesprächen mit. Vorbereitet haben die Suchttherapeutinnen und -therapeuten trotzdem immer etwas. Das können nachgespielte Trinksituationen sein, Möglichkeiten für den Umgang mit Emotionen jeglicher Art oder Tipps für die Freizeitgestaltung. "Wenn der Alkohol wegfällt, dann hat man auf einmal ziemlich viel Zeit für andere Dinge", so Karbè. Viele wüssten nicht, mit welchen Aktivitäten sie die gewonnene Zeit füllen können.

Und danach, wenn die Behandlung offiziell als abgeschlossen gilt? "Wir verabschieden hier jeden mit einer offenen Türe", versichert Schwarz. Erfahrungsgemäß werden zwei Drittel rückfällig, die Hälfte davon fängt sich aber wieder. Ein Drittel schafft es, direkt abstinent zu bleiben. Eines sei aber klar, so Schwarz. "Es gibt eine klare Indikation zwischen regelmäßiger Teilnahme an den Sitzungen und einer Abstinenz." Dessen ist sich auch Peter Mayer bewusst. Bis heute trifft er sich regelmäßig mit anderen ehemaligen Teilnehmern aus seiner Gruppe. "Dadurch bin ich immer am Thema dran."

© SZ vom 07.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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