Bühne:Verbale Implosionen

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So viel Alltäglich-Schreckliches wird in "Lantana" erzählt, dass sogar ein mögliches Verbrechen in den Hintergrund tritt. (Foto: Theater Zwischenton/oh)

"Theater Zwischenton" probt für die Premiere von "Lantana", einem komplexen Stück über die menschliche Seele

Von Victor Sattler, Ebersberg

Der Menschen Mitleid gilt, das weiß die Emotionspsychologie, eigentlich einem erweiterten Selbst, jemandem, mit dem man sich identifizieren kann. Mitleiden ist somit immer auch Selbstbemitleidung. Lebender Beweis sind die umtriebigen Charaktere in Andrew Bovells Theaterstück "Lantana" ab dem Moment, als sie anfangen, sich und ihren Partnern Anekdoten von merkwürdigen Begegnungen mit Fremden zu erzählen, in denen sich ihr eigenes Schicksal verstrickt: ein weinender Mann beim Joggen, ein Damenschuh, der nachts über einen Zaun geworfen wird. Die Darsteller des Ebersberger Theater Zwischenton wiederum erweitern ab dem 26. Oktober ihr Selbst, wenn sie sich im Leid ebenjener Wirrköpfe aus dem Stück verlieren werden und im Alten Kino Premiere feiern.

Bovells Stück ist eine Geduldprobe, weil es dauert, bis die einzelnen Fragmente und losen Fäden ein großes Ganzes ergeben, das den Zuschauer mit Aha-Effekt belohnt. Für Regisseurin Bina Schröer ist es deshalb schon während der Proben oberstes Gebot, die Aufmerksamkeit eines vorgestellten Publikums aufrechtzuerhalten. "Wir müssen klare Bilder im Kopf des Zuschauers entwickeln", sagt Schröer über die Szenen, in denen lange, atmosphärische Monologe vorgetragen werden. In der zweiten Hälfte stehen diese beschworenen Bilder dann aber schon wieder auf dem Prüfstand, denn alles ist viel "ausgefuchster" als zuerst gedacht. Deutlich wurde das beim Kürzen des Originaltexts, der erst unlängst vom Verlag auch für Amateur-Ensembles freigegeben wurde: Das Streichen scheinbar nebensächlicher Informationen riss an späteren Stellen tiefe Lücken in den Zusammenhang. "Lantana" will ein Puzzle bleiben. "Werden die Zuschauer es ganz verstehen? Man weiß es nicht", lacht Schröer.

Beziehungen und Kommunikation sind der Kern dieses Stücks, sie waren maßgeblich für den Inhalt, aber auch für die Form: Bis zu vier Schauplätze kann der Zuschauer parallel beobachten, Telefonaten lauschen und Briefen beim Entstehen zuhören. Zwei Dialoge entspinnen sich über Kreuz und manchmal ist es, als könnte einer den anderen beantworten. Formal und dramaturgisch ist "Lantana" eine komplexere Alternative zur "Kommune", die Schröer und die Zwischentons mit der anderen Hälfte der Schauspieler bereits aufführen, jedem war freigestellt, in welcher Inszenierung er oder sie sich lieber sähe. Thematisch liegen die beiden Stücke nämlich nah beieinander, mit ihren vielen Seitensprüngen, offenen Beziehungen und dem Infragestellen der Ehe, als Auslaufmodell, als Unglückskonstrukt. "Seine Version von meinem Leben ist ganz anders als meine!", erschrickt Sarah Phelan (Manuela Ingerl) in "Lantana" über ihren Mann.

Ausgehend von den dysfunktionalen Beziehungen machen sich die Figuren bei Fremden auf Seelsuche, sie blicken von außen aufs Leben, immer mit tief gerunzelter Stirn über das menschliche Dilemma. Dazwischen ein Drink, eine Rückenmassage - "und die nächste Frau tanzt", winkt Regisseurin Schröer sie schon auf die Bühne. Das Verbrechen, das in "Lantana" erzählt wird, rückt in den Hintergrund bei all den Implikationen, die es für die Beziehungen der Protagonisten hat. "Ich beobachte, dass Leute immer lieber über- als miteinander reden", verrät Schröer. Im Stück gerät das Übereinandersprechen auch oft zum Selbstgespräch.

Das Publikum wird die letzte Variable in diesem Versuchsaufbau bilden, in dem jedes Wort einer kleinen Implosion gleichkommen soll. Spannend wird dabei nicht bloß die Frage sein, wie viele Ebersberger den verworrenen "Lantana"-Strängen noch folgen und auf dem Heimweg vom Alten Kino Erklärungen präsentieren können, sondern auch, mit welchen Gefühlen die Zuschauer einer so homogenen Figurenmasse begegnen: Einer Gruppe, in der zwar jede Figur etwas Alltäglich-Schreckliches benennt, das man selbst auch schon gefühlt hat, aber davon gleich soviel, dass man leicht mit dem kathartischen Mitleiden aufhört.

"Theater Zwischenton" spielt "Lantana" erstmals am Donnerstag, 26. Oktober, um 20 Uhr im Alten Kino Ebersberg.

© SZ vom 21.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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