Barrierefreiheit:Über Schwellen und durch Schlaglöcher

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In Anzing treffen Menschen, die nicht gut zu Fuß oder auf den Rollstuhl angewiesen sind, auf etliche Hindernisse. Betroffene weisen beim Ortstermin Gemeindepolitiker auf die Probleme hin

Von Marc Dimitriu, Anzing

Im strömenden Regen schiebt sich Ursula Frey in ihrem Rollstuhl eine Rampe zu einem Geschäft hoch, sie müht sich, schafft es aber ohne Hilfe. Seit 27 Jahren sitzt die Rentnerin im Rollstuhl. Nach einer Wirbelsäulenoperation war die ehemalige Behindertenbeauftragte von Anzing dazu gezwungen. "Ich habe mich damit arrangiert, ich muss ja", sagt sie.

Frey begleitet einen Rundgang anlässlich des Wheelmap-Tages in Anzing, der vom Awo-Kreisverband Ebersberg veranstaltet wird. Auch Bürgermeister Franz Finauer, einige Gemeinderäte und interessierte Bürger der Gemeinde sind trotz des schlechten Wetters gekommen. Bei den Rundgängen, die in verschiedenen Gemeinden des Landkreises stattfinden, geht es darum, die Barrierefreiheit zu erhöhen oder wenigstens bei den Bürger ein Bewusstsein dafür zu schaffen. Dazu haben sich die Awo, das BRK, das Landratsamt und die VHS Grafing zu einem Verbundprojekt zusammen geschlossen. Sie kooperieren mit der Website "Wheelmap.org", auf der man eine Weltkarte findet, die Google Maps ähnelt.

Über die Schwelle zur Apotheke kommt Ursula Frey mit ihrem Rollstuhl mühelos. (Foto: Christian Endt)

Alle möglichen Orte wie Gaststätten, Arztpraxen, Ämter, Spielplätze, Geschäfte, Kinos oder Bahnhöfe sind darin eingetragen. Man kann auch selbst noch nicht vorhandene Punkte auf die Karte stellen. Diese Orte können dann mit einem Ampelsystem auf ihre Barrierefreiheit bewertet werden. Grau markierte Orte sind noch nicht bewertet worden. Rot sind sie, wenn sie nicht barrierefrei zugänglich sind. Orange bedeutet, dass sie teilweise zugänglich sind, also eine Stufe höchstens sieben Zentimeter hoch ist. Grün markierte Plätze sind komplett rollstuhlgerecht. Zusätzlich können auch öffentliche Toiletten bewertet werden.

In einigen Läden ist eine Rampe notwendig, um hinein zu kommen. (Foto: Christian Endt)

Die Gruppe unter einer Ansammlung von tropfnassen Regenschirmen zieht unter der Führung von Billy Lord, dem Behindertenbeauftragten der Gemeinde, durch Anzing, um den Ort auf seine Barrierefreiheit zu überprüfen. An den einzelnen Stationen erklären Gerhard Schönauer und seine Kollegin Marlies Huber von der Offenen Behindertenarbeit der Awo die Probleme, während Frey mit ihrem Rollstuhl testet, ob sie über Schwellen an den Eingängen von Geschäften kommt oder ob Rampen zu steil für sie sind. Wie in den meisten Gemeinden des Landkreises sind hier viele Häuser zu einer Zeit gebaut worden, in der auf behindertengerechte Zugänge nicht geachtet worden ist. "Die modernen Gebäude sind natürlich optimal, da ist es ja Vorschrift, barrierefrei zu bauen", sagt Schönauer. Er hat auch eine leichte tragbare Rampe dabei, die er bei den Stationen auf die Stufen legt. Sie ist einen Meter lang, was aber bei den meisten Stufen zu kurz ist, weil die Steigung dann zu steil wird. Sechs Prozent Steigung sind offiziell für einen Rollstuhlfahrer machbar. "Eine Standardstufe ist 18 Zentimer hoch, da würde dann eine drei Meter lange Rampe benötigt", erklärt Ursula Frey. Das verdeutlicht die Probleme, nicht nur für mobile Rampen, sondern auch für bauliche Veränderungen, für die oft kein Platz da ist. "Die Mieter können auch nicht einfach sagen, wir bauen um", sagt Marlies Huber. "Und die Hausbesitzer zeigen sich oft uneinsichtig, das ist eine Katastrophe", ergänzt Frey.

Bürgermeister Franz Finauer, einige Gemeinderäte und interessierte Bürger der Gemeinde sind trotz des schlechten Wetters zum Wheelmap-Tag in Anzing gekommen. (Foto: Christian Endt)

Ziel der Rundgänge ist es, in jeder Gemeinde ein paar Freiwillige zu finden, die sich bereit erklären, die Wheelmap aktuell zu halten. Schönauer erklärt der Gruppe, dass es ein großer Vorteil ist, dass jeder sofort die Einträge auf der Karte machen kann. So etwas war früher nicht möglich. Er und Ursula Frey haben vor 20 Jahren schon einmal einen Wegweiser für Rollstuhlfahrer für den gesamten Landkreis erstellt. "Aber sobald der gedruckt war, war er schon nicht mehr aktuell." Ein weiterer Vorteil ist laut Frey, dass die Karte international ist. "Bevor ich in eine andere Stadt fahre, kann ich mich informieren, in welche Hotels ich kann oder welche Restaurants und Museen ich besuchen kann." Auch die stundenlange Suche nach geeigneten Toiletten in fremden Orten kann dank der Wheelmap, die es auch als App gibt, vermieden werden.

Der wichtigste Punkt für den Bürgermeister ist es, die Leute zu sensibilisieren. "Uns fällt es ja nicht auf, wenn etwas nicht barrierefrei ist", sagt er und weist darauf hin, dass das Rathaus mittlerweile vollständig zugänglich ist für Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Jedoch gibt es in Anzing einige nicht zugängliche Gebäude, auch der Gehweg auf der rechten Seite der Högerstraße in Richtung Norden ist für Rollstuhlfahrer kaum zumutbar. Er ist schmal und voller Schlaglöcher, die an diesem regnerischen Tag auch noch voller Pfützen sind. Als jemand Ursula Frey auf dem Weg helfen und sie schieben will, weist diese darauf hin, dass das eine schlechte Idee ist, weil sie dann leichter in den Schlaglöchern hängen bleibt. "Ich bin da schon zweimal vorne rausgeflogen, ich mach das lieber selber", sagt die Rentnerin selbstbewusst.

© SZ vom 28.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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