Barrierefreiheit:Ins Rollen bringen

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Eine Ortsbegehung in Zorneding zeigt, wie wenig geeignet dort viele Gebäude für Menschen mit Behinderung sind. Auf lange Sicht will die Gemeinde nun Verbesserungen im Rathaus, in Lokalen und Geschäften schaffen

Von Viktoria Spinrad, Zorneding

Der Rundgang hat noch gar nicht begonnen, da haben die drei Rollstuhlfahrer schon das erste Hindernis hinter sich: Die Türen zum Rathaus in Zorneding, die sich nicht automatisch öffnen. "Ich bin's gewohnt", sagt die 29-jährige Camila Klerner, die im Rollstuhl sitzt. Ein Selbstversuch zeigt, wie sich das anfühlt: Rechte Hand am Rad, linke an der Tür, erst nach viel Geziehe und Geschiebe quetscht man sich in das Verwaltungsgebäude, ein mühsamer, frustrierender Vorgang. Alltag für Menschen wie Camila Klerner.

Steile Rampen: Die Gemeinde, der VDK-Sozialverband und der Einrichtungsverbund Steinhöring bei der Begehung am Freitag am Dachsberg. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Damit sich das verändert, sind an diesem Freitag auch Vertreter der Gemeinde, des VDK-Sozialverbands und vom Einrichtungsverbund Steinhöring gekommen. Sie sind daran beteiligt, den Grad der Barrierefreiheit von Rathäusern, Lokalen und Geschäften auf einer weltweit ausgelegten Online-Karte zu vermerken - der sogenannten Wheelmap. Sie wurde vor sieben Jahren von einem gemeinnützigen Verein in Berlin ins Leben gerufen, ähnlich wie Wikipedia ist Wheelmap ein Mitmachprojekt. Ein Blick auf den Landkreis Ebersberg, der seit diesem Jahr teilnimmt, zeigt viele graue, also nicht bewertete Einrichtungen - es gibt also noch viel zu tun.

Platzproblem: Die Aufzüge bieten oftmals nicht genügend Raum, um sie mit dem Rollstuhl zu nutzen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Es regnet an diesem Freitagnachmittag, Zornedings Zweite Bürgermeisterin Bianka Poschenrieder (SPD) wird viele Stolperfallen in ihr Heft notieren. Diese wolle das Rathaus dann langfristig angehen. Bereits nach ein paar Metern tut sich eine erste Hürde auf: "Da kommt keiner rauf, und runter höchstens einmal", konstatiert Gregor Schlicksbier, der Behindertenbeauftragte der Gemeinde, zu einer Abkürzung zwischen Wiesenweg und Lindenstraße, die Rollstuhlfahrern höchstens als Flugrampe dienen würde. Ein paar Meter weiter demonstriert Camila Klerner, kurze Haare, Mütze, dass man oft nur mit Tricks weiterkommt: Geübt schiebt sie sich rückwärts über eine kleine Kante. "Jede Kante birgt eine Verletzungsgefahr - und zwar für alle, die auf Rollen unterwegs sind", sagt Werner Retzlaff vom Einrichtungsverband. Seine Position ist klar: "Auch jeder Senior, jede Familie mit Kinderwagen profitiert von mehr Barrierefreiheit."

Hohe Bordsteine erschweren Rollstuhlfahrern den Weg. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Beispiel Herzogplatz zeigt, dass Zorneding weit davon entfernt ist. "Die Geschäfte haben kleine Schwellen", sagt Poschenrieder; Schlicksbier deutet in Richtung des auf Wheelmap rot markierten Café Herzog: "So schön es auch wäre, Livemusik zu hören, wir hören von außen zu." Eine Lösung dafür wäre eine Rampe, wie sie Wheelmap für 200 Euro vertreibt, wozu Schlicksbier aber oft auf taube Ohren stoße. "Wir können leider nur mit den Wirten und Ladenbesitzern reden und argumentieren, dass mehr Gäste kommen", sagt Poschenrieder, Schlicksbier sagt später: "Manche sind froh, uns nicht zu sehen."

Dann deutet er auf die Wohnhäuser, sie zeigen das Problem, das in seinen Sprechstunden am häufigsten angeprangert werde. Zu wenige barrierefreie Wohnungen für die 320 Zornedinger mit Behinderung - "oft mit Preisen, da kann man am Viktualienmarkt wohnen", so Schlicksbier. Ein Freund habe nur eine Wohnung im ersten Stock gefunden; "der kam ein halbes Jahr nicht raus, so etwas kann sich eine Gesellschaft nicht leisten". Ob der geplante Neubau auf der Wimmerwiese in Pöring Abhilfe leisten könne? "Das Problem ist, dass niemand vom Landratsamt kontrolliert, ob wirklich barrierefrei gebaut wird", so Poschenrieder. Das Ergebnis der Wohnsituation: Menschen wie Camila Klerner ziehen in Wohnheime, "obwohl wir doch nah an die Normalität ran wollen", so Schlicksbier.

Die Entwicklung im Ort sehe er aber positiv: "In den Köpfen der Verwaltung hat sich viel getan", sagt er, bei der Bürgerversammlung am Donnerstagabend hatte er sich zufrieden gezeigt: Sie war nach einem Beschluss des Gemeinderats in das barrierefreie Feuerwehrhaus in Pöring verlegt sowie von Gebärdendolmetschern übersetzt worden. Auch Camila Klerner war zu Wort gekommen; sie prangerte den Bahnhof an, den die Gruppe am kommenden Freitag gemeinsam begehen will. "Vorher gab es uns gar nicht", sagt Schlicksbier. "Jetzt werden wir auf einmal wahrgenommen."

© SZ vom 13.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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