Auf das nächste Jahrhundert:Selbstironisch in die Zukunft

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In Feierlaune: Zum 100. Jubiläum des Grafinger SPD-Ortsvereins konnte Ortsvorsitzender Christian Kerschner-Gehrling (von links) neben zahlreichen Gästen auch Landtagsabgeordnete Doris Rauscher und Münchens ehemaligen Oberbürgermeister Christian Ude beim Kastenwirt begrüßen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auch der Grafinger SPD-Ortsverein feiert sein 100-jähriges Bestehen mit einem großen Festakt. Neben Münchens Alt-OB Christian Ude gibt vor allem ein junger Sozialdemokrat die Richtung vor

Von Andreas Junkmann, Grafing

Im Festsaal des Kastenwirts mutet an diesem Abend vieles historisch an: Von den schweren Ölgemälden an der Wand grüßen so illustre Persönlichkeiten wie Kurfürst Maximilian III., auf dem Plattenteller der nostalgischen Anlage drehen sich alte Schellackscheiben und auch der Aktenkoffer von Münchens Ex-Oberbürgermeister Christian Ude hat seine besten Jahre schon lange hinter sich. Alles in allem war es ein recht passendes Ambiente, um auf 100 Jahre Sozialdemokratie in Grafing zurückzuschauen. Doch bei dieser Feierstunde am Donnerstag wurde auch deutlich, dass die Genossen nicht in der Vergangenheit verharren wollen, sondern durchaus optimistisch in die Zukunft blicken.

Die SPD-Ortsvereine in Ebersberg und Markt Schwaben haben ihr 100. Jubiläum in diesem Jahr bereits hinter sich gebracht, nun machten die Grafinger die insgesamt 300 Jahre voll - und die Genossen haben für ihr Fest einen ganz passenden Zeitpunkt gewählt. Denn erst vergangene Woche haben sie den Ortsvorsitzenden Christian Kerschner-Gehrling als ihren Bürgermeisterkandidaten für die Wahl im nächsten Jahr präsentiert.

Kerschner-Gehrling war es schließlich auch überlassen die Feier, zu der etwa 90 Gäste gekommen waren, zu eröffnen. "Mut und Entschlossenheit muss es gewesen sein, was ein paar wackere Recken in Grafing dazu bewegt hat, die SPD zu gründen", so der Ortsvorsitzende. Schließlich seien die Zeiten nach der Abdankung des Kaisers geradezu unmenschlich gewesen. Aber auch heute, 100 Jahre später, würden es die Sozialdemokraten nicht leicht haben. Es gebe zwar viele SPD-Themen, so Kerschner-Gerhrling, die Anstöße seiner Partei würden aber häufig ungehört bleiben. Dennoch wolle man sich davon gerade an der Basis nicht entmutigen lassen: "Wir in Grafing haben uns jedenfalls noch einiges vorgenommen."

Wie schon bei ihren Festreden in Markt Schwaben und Ebersberg nutzte Doris Rauscher die Gelegenheit, um auf die Errungenschaften der Sozialdemokraten für die Frauen zu verweisen. Außerdem forderte die Landtagsabgeordnete ihre Parteifreunde dazu auf, weiterhin für Demokratie und Solidarität zu kämpfen, ehe sie noch eine kleine Spitze in Richtung Grafings Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) parat hatte: "Wir schätzen uns ja wirklich sehr, aber trotzdem wär mir ein Roter in Grafing lieber als eine Grüne."

Auf Obermayrs Konter allerdings mussten die Genossen nicht lange warten. Sie habe zwar heute Abend extra ihr rotes Jäckchen angezogen, aber "wenn es die Grünen nicht gäbe, wäre ich trotzdem nicht in der SPD". Die Rathauschefin wehrte sich dagegen, dass sie und ihre Parteikollegen häufig als abtrünnige Sozialdemokraten angesehen würden. Dennoch hatte Obermayr auch ein paar halbwegs versöhnliche Worte im Gepäck: "Wir brauchen die SPD. Bitte berappelt euch wieder - aber nicht auf Kosten der Grünen."

Nachdem SPD-Stadtrat Franz Frey die Gäste auf einen historischen Streifzug zu den Gründungszeiten des Ortsvereins mitgenommen hatte, steuerte der Abend mit der Festrede von Christian Ude langsam aber sicher auf seinen Höhepunkt zu. Und der ehemalige Münchner Oberbürgermeister präsentierte sich - wie schon einige Wochen zuvor in Markt Schwaben - erneut als großartiger Rhetoriker. Stets mit dem Schalk im Nacken arbeitete sich Ude an großen Persönlichkeiten der sozialdemokratischen Geschichte ab. Angefangen vom ersten Vorsitzenden der bayerischen SPD und "glühenden Katholiken", Georg von Vollmar, der sich bei Versammlungen gerne kritische Ortspfarrer vorgeknöpft hat. "Das führte dazu, dass die Pfaffen ihren Frust an der Theke runtergespült und SPD-Veranstaltungen künftig gemieden haben."

Für die Grafinger Genossen gab es zudem eine kleine Nachhilfestunde in Sachen Geschichte. "Ich mahne zur Zurückhaltung was die Behauptung angeht, die SPD habe die bayerische Monarchie abgesetzt", so Ude. Es sei vielmehr der unabhängige Sozialist Kurt Eisner gewesen, der das Ganze auf eigene Faust durchgesetzt habe. Nachdem er auch zu "Verfassungsvater" Wilhelm Hoegner und Amtsvorgänger Thomas Wimmer noch einige Anekdoten parat hatte, trieb Ude mit seinem schon legendären satirischen Text über das Wesen von politischen Ortsversammlungen den Grafingern reihenweise die Lachtränen in die Augen.

Genau diese Art von Humor sei es, den die Politik heutzutage brauche, sagte zum Abschluss der Festveranstaltung Lukas Müller. Der 24-Jährige ist eines der jüngsten Mitglieder der Grafinger SPD, und nach seiner erfrischend flapsigen Einführung, er würde den Altersschnitt hier "ja echt pervers nach unten reißen", appellierte er an seine Parteifreunde, sich im Sinne der Jugend konkrete Visionen zu stecken. Er, so Müller, müsse schließlich die nächsten Jahrzehnte noch selbst erleben. Und mit Verweis auf den Auftritt von Christian Ude beendete der Juso-Vertreter den Festakt mit den Worten: "Wenn wir uns diese Selbstironie, die wir eben gehört haben, zu Herzen nehmen, dann halten wir auch noch die nächsten 100 Jahre durch."

© SZ vom 06.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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