Armutsrisiko in Ebersberg steigt:Alarmglocken im Wohlfühlkreis

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Obwohl der Landkreis in Sachen Armut statistisch gesehen gut dasteht, mahnt eine neue Studie zur Vorsicht. Demnach sind auch Menschen aus der Mittelschicht verstärkt vom sozialen Abstieg bedroht

Von Andreas Junkmann, Ebersberg

Auch in Kindergärten und Grundschulen ist es häufig schon gute Tradition, dass zu Geburtstagen ein Kuchen mitgebracht wird. Doch was, wenn sich die Familie das nicht leisten kann? Es komme vor, dass Eltern ihre Kleinen an dem Tag einfach krank melden, um ihnen die Blamage zu ersparen, sagt Ulrike Bittner. Die Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft (Arge) Wohlfahrt beschreibt damit ein Szenario, wie es auch in der vermeintlich wohlhabenden Region Ebersberg immer wieder vorkommt. Um darauf hinzuweisen und für das Thema zu sensibilisieren, hat ein Gremium deshalb nun die erste Armutserhebung für den Landkreis erstellt. Und auch wenn die Region darin statistisch gesehen gut wegkommt, sollen konkrete Maßnahmen dafür sorgen, dass dieser Zustand so lange wie möglich andauert.

Armutserhebungen werden normalerweise vom Bund und von den Ländern vorgenommen. Auf kommunaler Ebene sehe es dagegen recht dünn aus, wie Landrat Robert Niedergesäß (CSU) im Jugendhilfeausschuss des Kreistags sagt. Bayernweit ist der Landkreis nur eine von insgesamt vier Kommunen, die eine solche Statistik erstellt haben. Dabei sieht der Landrat den Bericht als ein wichtiges Werkzeug: "Wenn wir uns mit der Armut in unserem Landkreis auseinandersetzen, können wir den Menschen, die davon betroffen sind, auch besser helfen."

Zunächst einmal gilt es aber zu klären, was Armut überhaupt bedeutet. Für die Familienbeauftragte am Landratsamt, Tanja Eckle, die zusammen mit Sozialplanerin Hanna Kohlert die Ergebnisse der Erhebung im Gremium präsentiert, handelt es sich dabei um einen "Mangel an Mittel, um im Landkreis Ebersberg so zu leben, wie es üblicherweise möglich ist". Für den Armutsbericht haben die Autoren ihren Fokus vor allem auf Kinder- und Altersarmut gelegt - und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass beides im Landkreis nur sehr selten auftritt. Nimmt man als Maßstab den prozentualen Bevölkerungsanteil der jüngeren Leute, die Sozialgeld beziehen, sowie den Anteil der älteren Menschen, die Grundsicherung bekommen, zeigt sich, dass jede einzelne Landkreiskommune in beiden Bereichen deutlich unter dem bayernweiten Schnitt liegt.

Also alles bestens in Ebersberg? Nein, sagen Eckle und Kohlert. Es gebe durchaus Hinweise darauf, dass sich auch die Situation in der Region verschlechtern werde - und dann vor allem auch Menschen aus der jetzigen Mittelschicht in die Armut rutschen. Ein Warnindikator ist etwa der Siedlungsdruck in der Region. "Das führt dazu, dass in Zukunft eine immer höhere Kaufkraft nötig sein wird, um adäquaten Wohnraum zu finden", so Kohlert. Außerdem bemängeln die Autoren die Verteilung der Arbeit. Es herrsche zwar Vollbeschäftigung und die Arbeitslosigkeit im Landkreis liege seit Jahren unter dem bayernweiten Niveau, dennoch seien vor allem Frauen immer häufiger in Teilzeit angestellt. Das führe auch dazu, dass Männer im Schnitt über eineinhalb Mal so viel Rente bekommen, wie Frauen - das genaue Verhältnis liegt bei 1196 zu 765 Euro. Nicht zuletzt deshalb gehe man davon aus, dass sich in den nächsten Jahren der Anteil der Empfänger von Hilfen zur Pflege erhöhen wird. "Noch steht der Landkreis statistisch sehr gut da, aber damit sollten wir uns nicht zufrieden geben", so Hanna Kohlert.

Dieser Meinung ist auch Arge-Sprecherin Ulrike Bittner, die deshalb im Ausschuss konkrete Handlungsempfehlung vorstellt, um steigender Armut entgegenzuwirken. Neben der Forderung, dass das Thema verstärkt auf die politische Agenda gesetzt wird, sollen alle Gemeinden Bauland für soziale Wohnungsbauprojekte zur Verfügung stellen. Zudem sollten etwa Schulen ihr Angebot bei Ausflügen überdenken. "Man muss sich die Frage stellen, ob es immer die teure Reise ins Ausland sein muss", so Bittner. Zudem könnte man durch einheitliche Unterrichtshefte erreichen, dass die Schulen einzelnen Kindern im Bedarfsfall ohne großes Aufsehen aushelfen können, sollten sich deren Eltern die Materialien nicht leisten können.

Das Armutsrisiko im Allgemeinen könne man dadurch mindern, indem man die Arbeitgeber verstärkt in die Pflicht nimmt. Etwa in Form eines Extra-Zuschusses für die Kinderbetreuung oder der Schaffung betrieblicher Kitas. Um bereits von Armut betroffene Menschen zu unterstützen, können sich die Studien-Autoren vorstellen, Projekte wie "Pfand gehört daneben" auch im Landkreis einzuführen - ein vielerorts bereits gängiges Konzept, bei dem Pfandflaschen zur Mitnahme neben die Mülleimer gestellt werden. Das, so Bittner, seien einige erste Ideen. "Da steckt aber noch viel Arbeit und Überzeugung dahinter."

Darauf, dass einige Handlungsempfehlungen im Ebersberger Raum bereits gelebte Praxis sind, weist Landrat Niedergesäß hin, unter anderem die Wohnbaugenossenschaft, mit deren Hilfe schon in vielen Gemeinden günstige Wohnungen entstanden seien. Dennoch bekomme man durch den Bericht gut vor Augen geführt, dass noch was zu tun ist. Vor allem weil, wie Thomas Kroll (SPD) vermutet, die Dunkelziffer der von Armut Betroffenen deutlich höher sein dürfte, als in der Erhebung dargestellt. Diese stütze sich nämlich nicht auf Befragungen, sondern lediglich auf statistische Daten, wie Hanna Kohlert einräumt.

Nichtsdestotrotz soll die Zusammenstellung als Basis dafür dienen, um die Gesellschaft im Landkreis Ebersberg für das Thema Armut zu sensibilisieren. Deshalb sollen die Inhalte der Studie auch an die einzelnen Gemeinden weitergetragen werden. Landrat Niedergesäß kann sich etwa eine größere Infoveranstaltung nach der Wahl vorstellen, wenn alle neuen Mandatsträger der Kommunen in ihren Ämtern sind. Denn: "Das ist eine super Grundlage, die wir jetzt nutzen müssen."

© SZ vom 09.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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