Anzing/Vaterstetten:Schlamassel mit Schlüssel

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Die Täter suchen schicke Autos, die ohne Schlüssel zu starten sind. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Im Landkreis Ebersberg häuften sich zuletzt Fälle von geklauten Autos. Die Täter haben es dabei auf Edelfahrzeuge abgesehen, die sie mit einem simplen Trick aufsperren. Die Polizei ist machtlos, die Autohersteller lehnen Hilfe ab

Von Korbinian Eisenberger, Anzing/Vaterstetten

Es war gegen 23 Uhr, ein Sonntagabend in Anzing. Der Mann, um den es geht, parkte seinen schwarzen Mercedes auf der Straße vor seinem Anwesen, stieg aus, ließ die Autotür zufallen, drückte im Reingehen auf den Knopf, wahrscheinlich blinkte das Auto nach dem Abschließen noch kurz auf, bevor er ins Haus ging. Um kurz vor Mitternacht ahnte der Mann noch nicht, dass all dies Teil eines Polizeiberichts werden würde. Nach dem Aufstehen am nächsten Morgen war der Wagen nämlich weg. Die Polizei fand schnell heraus, dass dort bereits eine Stunde nach Mitternacht kein Auto mehr gestanden hatte. Längst läuft die Fahndung nach Fahrzeug und Dieb, so teilte es die Erdinger Kriminalpolizei am Dienstag mit. Den Wert des Autos beziffert die Polizei auf 65 000 Euro.

So oder so ähnlich ergeht es Autofahrern in der Region immer wieder. "In den vergangenen Monaten haben wir mehr Diebstähle gemeldet bekommen als sonst", erklärt Helmut Hintereder, Polizeichef im nördlichen Landkreis Ebersberg. Seit 2014 zählt die Polizei jedes Jahr um die 20 Autos, die aus dem Landkreis Ebersberg verschwinden, allein in der vergangenen Woche wurden in Anzing und Vaterstetten mindestens sechs Autos aufgebrochen. Auch dort gibt es keine Anhaltspunkte, wie die Täter vorgingen. Die Polizei steht in allen sechs Fällen vor einem Rätsel. Die Polizei hat eine Vermutung, Beweise gibt es aber nicht.

Seit Jahren überlisten Diebe Schließsysteme von Autoherstellern mit einem einfachen Trick. "Die Täter leiten das Funksignal des Schlüssels wie mit einem Reichweitenverlängerer weiter", sagt Experte Udo Hagemann, der für Polizei und Behörden Sicherheitslücken erforscht. "Autodiebe brauchen dazu nur noch einen Komplizen, einen Funksender und einen Empfänger", sagt er. Einer hält sich unweit des Schlüssels auf, etwa in der Nähe eines Hauses oder einer Wirtschaft, der andere wartet mit seinem Gerät vor dem Auto, das geklaut werden soll. Das Gerät scannt dann alle Daten, die der Schlüssel aussendet und schickt sie an den Komplizen. "Damit kann der das Auto öffnen, als wäre es der Originalschlüssel", sagt Hagemann. Also: Wegfahrsperre entriegeln, die Alarmanlage deaktivieren und den Motor starten.

Ob die jüngsten Fälle aus dem Landkreis Ebersberg allesamt so abliefen, ist für die Polizei kaum ermittelbar, das Beweisstück ist schließlich meistens weg. Bei Wagen, die mehr als 30 000 Euro wert sind, übernimmt dann die Kriminalpolizei Erding. Dort kennt man das Problem auch aus anderen Regionen: "Wir gehen von überörtlichen Tätergruppen aus, die es gezielt auf teure Wagen abgesehen haben", sagt ein Kripo-Sprecher. Diese hätten fast alle einen Öffnungs- und Fahrmechanismus, bei dem es keinen herkömmlichen Schlüssel mehr braucht. Im jüngsten Fall in Anzing bittet die Polizei um Hinweise von Zeugen, die in der Nacht auf Montag zwischen 23 und ein Uhr Verdächtiges im Bereich der Lärchenstraße gesehen haben.

Udo Hagemann wundert es nicht, dass gerade in einer wohlhabenden Region wie dem Münchner Umland Autodiebe unterwegs sind. "Die Methode ist relativ einfach und günstig", sagt er. Das Equipment inklusive eines Apparates, mit dem man sich nach dem Diebstahl innerhalb weniger Sekunden einen neuen Funkschlüssel programmieren könne, bekomme man für weniger als 1000 Euro zusammen. Hagemann sieht hier ein Versagen in der Automobilindustrie. "Das Problem ist seit fast 18 Jahren bekannt, die Hersteller unternehmen aber nichts dagegen", sagt er.

Hagemann hat alle größeren Autobauer mit seinen Vorwürfen konfrontiert, in TV und Fachpresse berichtet er, wie er den Funkverstärker-Trick den Konzernen vorführte. Und wie er ihnen zeigte, dass es technisch für sie mit einigen Investitionen möglich wäre, das Problem in den Griff zu kriegen. Funk braucht über eine längere Strecke mehr Zeit. "Wenn der Empfänger im Auto die Millisekunden zählen würde, bis das Signal ankommt, dann würde der Trick nicht mehr klappen", sagt er. Einige Hersteller antworteten auf seine Anfragen, ihre Autos hätten die Sicherheitslücke nicht, geändert hat sich nichts, niemand räumte die Mängel ein. Im Gegenteil:

Manche Hersteller verlangen mittlerweile einen Aufpreis für Analogschlüssel, weil sie nicht mehr serienmäßig hergestellt werden. Hagemanns Berliner Labor "Bundpol Security Systems" hat deshalb Systeme entwickelt, wie man sich vor den Trickdieben schützen kann. "Am einfachsten ist es, wenn man den Schlüssel dreimal mit Alufolie umwickelt", sagt er. Zudem hat sein Institut eine Metallbox entwickelt, deren spezielle Schicht die Funkwellen des Schlüssels nach außen isoliert. Am sichersten sei aber immer noch der normale Schlüssel. "Den kann man zwar auch kopieren", sagt Hagemann. "Da wird es für Diebe aber wesentlich komplizierter."

© SZ vom 18.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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