Sie hat ihren Freund auf das Übelste beschimpft, sie hat einer völlig Unbekannten ins Gesicht gespuckt, anschließend auf die Frau eingeschlagen und sie an den Haaren durch die S-Bahn gezerrt - und sie hat an all das keinerlei Erinnerungen mehr. Bereits im Mai vergangenen Jahres musste sich eine junge Frau vor dem dortigen Amtsgericht in Ebersberg wegen Körperverletzung und Beleidigung verantworten. Damals war allerdings nicht klar, ob sie auch wirklich schuldfähig ist. Ein psychologisches Gutachten stellte fest: sie ist es.
Statt die 24-Jährige in eine geschlossene psychiatrische Einrichtung einzuweisen, verurteilte sie Richterin Vera Hörauf deshalb zu einer Bewährungsstrafe. Grund dafür waren die Vorkommnisse an einem Oktoberabend im Jahr 2019. Damals war die Frau aus dem Nachbarlandkreis Rosenheim laut Anklageschrift in stark alkoholisiertem Zustand mit der S-Bahn aus Haar kommend in Richtung Ebersberg unterwegs. Zwischen Zorneding und Grafing habe sie damit begonnen, eine völlig unbeteiligte Mitfahrerin zu beleidigen. Es seien die Worte "Schlampe" und "Fotze" gefallen. Schließlich, so der Staatsanwalt, habe die Angeklagte der Frau zunächst ins Gesicht gespuckt und sie dann angegriffen. Unter anderem habe sie ihrem Opfer dabei mehrere Haare ausgerissen, ehe die beiden von anderen Fahrgästen getrennt wurden.
Seine Mandantin habe aufgrund ihrer Alkoholisierung - ein später durchgeführter Test zeigte knapp über zwei Promille an - nur sehr schwammige Erinnerungen an den Vorfall, sagte der Verteidiger der 24-Jährigen nun vor Gericht. Grundsätzlich räume sie die Vorwürfe aber ein. Die Angeklagte selbst sagte, sie habe an dem Tag einen Termin im Klinikum Haar gehabt. Anschließend habe sie sich in einem Supermarkt eine Flasche Cognac gekauft und diese zusammen mit einigen Tabletten komplett alleine getrunken - dann verschwinden die Erinnerungen, gab sie an.
Für die Frau selbst stand vor Gericht viel auf dem Spiel. Ihr Bundeszentralregister weist einige, teils einschlägige Vorstrafen auf. Derzeit steht sie noch unter Bewährung. Dazu kommen starke gesundheitliche Probleme, die neben Alkoholsucht auch psychischer Natur sind. Vor allem deshalb stellte sich bereits im Mai vergangenen Jahres die Frage, ob die 24-Jährige überhaupt schuldfähig ist. Ein psychologisches Gutachten bescheinigte ihr aber nun, auf einem guten Weg zu sein. Es gebe "eine positive Prognose bezüglich der Überwindung ihrer Suchterkrankung", schreibt eine Therapeutin über die junge Frau. Ihr Bewährungshelfer gibt an, sie habe sich in ihrem Verhalten deutlich stabilisiert.
Insofern sah das Gericht keinen Grund, warum die Angeklagte nicht für ihre Taten vom Oktober 2019 geradestehen soll. Was damals genau vorgefallen war, schilderten nun mehrere Zeugen in der Verhandlung. Die Frau habe ihren vermeintlichen Freund bereits am Bahnhof als "Kinderschänder" und "Arschloch" beschimpft, sagte das 23-jährige spätere Opfer der Angeklagten. Diese habe sich im Zug dann zu ihr gesetzt und sodann damit begonnen, auch sie zu beleidigen. Schließlich habe die Angeklagte ihr unvermittelt ins Gesicht gespuckt. "Ich bin Hypochonder und habe mich total angegriffen gefühlt", sagte die 23-Jährige. Als sie versucht habe, die Frau von sich wegzustoßen, sei es zur Rangelei gekommen, was für sie ein Hämatom im Gesicht, eine leichte Gehirnerschütterung und Kratzwunden zur Folge hatte.
Die junge Frau habe ausgesehen, als habe sie gerade einen Boxkampf gehabt, gab eine weitere Zeugin zu Protokoll. Auf sie habe die Angeklagte einen sehr aggressiven Eindruck gemacht, ein Mann beschrieb ihren Zustand vor Gericht als "desorientiert" und "nicht ganz bei sich". Auf eine weitere Zeugin habe die Frau "nicht voll zurechnungsfähig" gewirkt. Alle schilderten die Vorkommnisse aber in etwa so, wie in der Anklageschrift vermerkt. Lediglich bei der Reaktion auf das Anspucken gab es unterschiedliche Wahrnehmungen: Einige wollten erkannt haben, dass daraufhin zuerst das vermeintliche Opfer zugeschlagen habe.
Für das Urteil mache das aber wenig Unterschied, wie sich Richterin, Verteidiger und Staatsanwalt einig waren. Denn von Notwehr sei hier kaum auszugehen. Ihre Verfehlungen sah schließlich auch die Angeklagte ein, die sich unter Tränen für ihre Taten entschuldigte, "auch wenn ich nichts mehr davon weiß", wie sie sagte. Richterin Hörauf verurteilte sie schließlich zu einer fünfmonatigen Bewährungsstrafe. Das sei angesichts der Vorstrafen die letzte Warnung, so die Vorsitzende. Außerdem muss sich die Frau regelmäßigen Drogen- und Alkoholscreenings unterziehen. Von einer zusätzlichen Geldauflage sah die Richterin ob der sehr prekären Finanzlage der Frau jedoch ab.